Die Musikerin Imogen Heap hatte immer schon einen Hang zum Experiment und dieser könnte nun zu einer Revolution der Musikindustrie führen. Der entscheidende Schlüssel könnte dabei die Blockchain-Technologie darstellen. Diese ist vor allem durch Bitcoins bekannt geworden, soll nun aber, wenn es nach Heap geht, für die Erschaffung einer dezentralisierten, offenen und vor allem für die Künstler fairen Musikplattform Einsatz schaffen. Die Idee besitzt viel Potenzial, aber auch noch viele Ungewissheiten, die es nun mit Hilfe einer Community aus Techies, Hackern und Kreativen zu klären gilt.
Time for Change
Was war das Gejammer von der Musikindustrie Anfang der 00er Jahre groß. Napster, Bit Torrent und andere neue Technologien sorgen dafür, dass niemand mehr Musik kauft, da ja alles plötzlich kostenlos verfügbar ist. Die ganze Industrie und natürlich auch die Künstler werden in den Ruin stürzen, war die wohl beliebteste Endzeitvision dieser Zeit. An allen Ecken wurde sich über die Situation beklagt, aber auf die Idee, die neue Technologie für die eigenen Zwecke zu nutzen, kam niemand – stattdessen wurden erbitterte Kämpfe gegen die Nutzer und Technologien gefochten. Dann kamen iTunes und viel wichtiger noch YouTube und Spotify, denen das Kunststück gelang, die Piraten in zahlende Nutzer zu verwandeln. Alles was nötig war, war eine große Musikbibliothek, und ein günstiges Abomodell und schon zahlen die Nutzer im Schnitt monatlich mehr für Musik, als sie jemals zuvor für physische Datenträger ausgegeben haben. Eigentlich sollten alle glücklich sein, allerdings jammern nun die Künstler, denn bei ihnen kommt, gerade aus dem Streaming-Geschäft, kaum Geld an. Und wie damals bei der jammernden Musikindustrie fehlt bisher die zündende Idee, wie man die Misere beheben und die Künstler fair bezahlen kann.
Die Musikerin Imogen Heap hat nun möglicherweise die zündende Idee, wie man das undurchschaubare Wirrwarr, das die Musikindustrie derzeit ist, übersichtlicher machen kann. Für Künstler ist es kaum nachvollziehbar, wo das Geld auf dem Weg vom Streaming-Anbieter oder Online-Store zu einem bleibt. Plattenfirmen kennt man, aber dann gibt es noch diverse Distributoren, außerdem müssen diverse Lizenzgebühren bezahlt werden, dann gibt es noch die Verwertungsgesellschaften und Verlage, die allesamt ein Stück vom Kuchen abhaben möchten – dazu kommt noch eine Vorliebe für Geheimhaltungsvereinbarungen seitens der Plattenfirmen. All dies macht es für Künstler nahezu unmöglich herauszufinden, wie viel Geld ihnen eigentlich zusteht. Und dies beklagen die Künstler allerorts, ohne jedoch zu wissen wie man die Situation ändern kann. Als Reaktion und um ein Zeichen zu setzen, ziehen immer mehr Künstler ihre Musik von Streaming Anbietern wie Spotify oder Apple Music zurück. Auch Imogen Heap hat sich oft über die Situation beklagt, bis sie es satt hatte, sich ihre Klagen anzuhören. Als sie sich mit der Musikerin Zoë Keating darüber unterhielt, ließ diese das Stichwort Blockchain fallen. Heap begann sich in die Thematik einzulesen und Ideen zu entwickeln, wie man das Rauschen in der Musikindustrie reduzieren kann.
Mycelia
Imogen Heap war schon immer für ihren Erfindergeist bekannt. Sie hat 2005 ihr Album “Speak for Yourself” auf eigene Faust veröffentlicht, bevor dies populär wurde, sie hat als bisher einzige Frau einen Grammy für Tontechnik erhalten und arbeitet seit 6 Jahren an Musikhandschuhen für die Steuerung von Musik auf der Bühne oder im Studio. So beeindruckend all diese Dinge auch sind, ihre neueste Idee hat das Potenzial alles Dagewesene in den Schatten zu stellen und wirklich disruptiv zu sein. Das Problem mit digitaler Musik ist, dass sie ohne großen Aufwand kopiert werden kann und die Dateien deshalb niemand wirklich besitzt. Ein Ansatz der Musikindustrie war DRM, also ein digitaler Kopierschutz – eine Idee, die sich glücklicherweise nicht durchgesetzt hat. Heap hat nun die Idee, dass es eine öffentliche Datenbank geben soll, in der Informationen chronologisch gespeichert werden – ebenso wie bei der Kryptowährung Bitcoin. Auf diesem Wege lässt sich verhindern, dass die Dateien kopiert, manipuliert oder gelöscht werden. Mit dem Unternehmen Ethereum hat Heap dann auch gleich eine Firma gefunden, die genau solche Lösungen anbietet. Das System von Ethereum ist zwar nicht auf Musik zugeschnitten, aber das Team ist sehr von Heaps Vision für ein Blockchain-Modell, das sie Mycelia nennt, begeistert und hilft ihr bei der Umsetzung.
Imogen Heap hat zwar die Idee zu Mycelia gehabt, die Umsetzung schafft sie aber nicht auf eigene Faust, sondern benötigt Entwickler, die ihr bei dem Unterfangen helfen. Aus dem Grund wird Heap ihren neuen Song “Tiny Humans” inklusive Video, Live-Performance und allen nur erdenklichen Daten die potenzielle Klienten (andere Künstler, Werbung, Marken oder Film) interessieren könnten, als Dateien zum Download auf ihre Website stellen, offen für alle, die neue Technologien für die Blockchain entwickeln. Aber noch wichtiger, es werden auch simple Verträge enthalten sein, die Aufschluss darüber geben, unter welchen Bedingungen die Musik heruntergeladen oder von Dritten weiterverwertet wird und wie das damit verdiente Geld zwischen den beteiligten Kreativen verteilt wird. Alle erhaltenen Zahlungen durch Kryptowährungen werden innerhalb von Sekunden an die Empfänger weitergeleitet – eine massive Verbesserung gegenüber den derzeit üblichen Wochen bis Monaten, die es dauert, bis Lizenzgebühren beim Künstler ankommen.
Seit Heap das erste Mal Online über Mycelia gesprochen hat, haben sich bereits viele Unternehmen bei ihr gemeldet, die Technologien für Blockchains entwickeln und ihr bei dem Projekt helfen wollen. Das Potenzial für die Revolution der Musikindustrie ist definitiv vorhanden, aber es gibt noch viele ungeklärte Fragen zu klären und Probleme zu lösen, bevor das dezentralisierte Musiknetzwerk tatsächlich Ausmaße annimmt, die Heap mit der Namensgebung angedeutet hat – Myzel bezeichnet die fadenförmigen Zellengeflechte eines Pilzes, die sich über einen Quadratkilometer ausbreiten können. Wie wird sich dies jedoch auf die Musikindustrie wie wir sie heute kennen auswirken? Kurz gesagt, jeder, der etwas von Wert beisteuern kann, wird auch eine Überlebenschance haben. Plattenfirmen können weiter existieren – wenn sie Talente frühzeitig erkennen oder den Künstlern mit Marketing helfen, können sie diesen Services verkaufen. Wer allerdings keinen Mehrwert für die Künstler bietet, hat auf lange Sicht keine Überlebenschance. Auf diese Weise könnte sich die Musikindustrie wieder auf ein gesundes Maß gesundschrumpfen und ein faires und offenes System für Künstler schaffen.
Image (adapted) „Imogen Heap – PopTech 2010 – Camden, Maine“ by PopTech (CC BY-SA 2.0)
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Schlagwörter: Blockchain, Imogen Heap, Musiker, musikindustrie, Mycelia, Streaming-Plattformen