Können sich alte Industriekonzerne zu Plattformen wandeln?

Das autonome Fahren sei nicht alleine beherrschbar, zitiert Spiegel Online den BMW-Chef Harald Krüger. Genauso sehe es bei neuen Mobilitätsdiensten aus, also bei der Frage, wie die Menschen sich künftig jenseits des eigenen Autos und des bekannten öffentlichen Nahverkehrs fortbewegen, etwa mit selbstfahrenden Shuttlebussen.

„Das Automobil als Wirtschaftsfaktor reicht nicht mehr. Die Branche muss sich neu erfinden. Denn künftig werden die Autokäufer von heute dank autonom fahrenden Fahrzeugen eher neue Mobilitätsdienste nutzen, um ihr Ziel zu erreichen – und diese verstärkt mit anderen Nutzern teilen“, schreibt Spiegel Online-Redakteurin Kristina Gnirke. Gerade bei der Entwicklung autonom fahrender Autos zeige sich jedoch, wie knifflig dieser Wandel für die Autohersteller wird. Bislang würde jeder Konzern lieber seinen eigenen Weg ausprobieren.

Abwehrschlachten nach alten Rezepten

Und nicht nur das. Die Lobbyisten, wie VDA-Präsident Matthias Wissmann ergehen sich in überflüssigen Abwehrschlachten zur Bewahrung alter Konzepte. Da werden dann mahnende Stimmen sogar als „Feinde des Verbrennungsmotors“ tituliert. Auf diesem Diesel-Niveau sollte man nicht weiter agieren und seine Zeit mit Software-Updates verschwenden, kritisiert D2030-Geschäftsführer Klaus Burmeister bei der Vorstellung des Memorandums ‚Der Zukunft eine Stimme geben‘ in Berlin.

‚Es geht nicht um den Diesel. Es geht darum, bis 2030 ein vernetztes Mobilitätssystem zu erfinden, welches intermodal mit allen Verkehrsträgern in der Lage ist, weltweit zu konkurrieren. Wie bekommen wir einen Wandel hin‘, fragt Burmeister.

Die Gestern-Orientierung von Auto-Lobby und Politik lässt sich auch am Bundesverkehrswegeplan ablesen.

Teer, Beton und keine Infrastruktur für autonome Mobilität

„Da werden bis 2030 fast 300 Milliarden Euro in Teer und Beton investiert. Nur 500 Millionen Euro gehen in die vernetzte Infrastruktur für autonome Mobilität. Da stimmt das Bild nicht“, so Burmeister.

Aber können die Industriekonzerne mit ihrer alten Ego-Logik überhaupt anders agieren? Das bezweifelt Professor Martin Kornberger im Netzpiloten-Interview. „Die Prinzipien des Marktes gelten unternehmensintern nicht.“ Da setze man auf Hierarchie, Fließband-Fertigung und Kommandowirtschaft. Es seien zwei Systeme, die parallel laufen. „Das Versprechen des Marktes soll durch das Gegenteil eingelöst werden. Dieser Widerspruch steckt tief in der marktwirtschaftlichen Theorie und kann nur schwer überwunden werden“, erläutert Kornberger.

Plattformen als Ausweg

Die Auseinandersetzung mit Plattformen sei ein Ausweg. „Es gibt dort Marktelemente, Freiheitsgrade und sogar starke soziale Bindungen. Es gibt Nutzer, die freiwillig mitmachen. Die Autoindustrie braucht ein Ökosystem, das insgesamt Mobilität erzeugt. Diese Herausforderung wird in Wirtschaftskreisen fast überhaupt nicht diskutiert. Das ist aber die komplementäre Seite zur Veränderung der Technologie“, betont der Organisationswissenschaftler. Man könne das nicht nur auf neue Antriebsverfahren reduzieren.

Die Verschiebung in diesem alten Machtgefüge wolle keiner angehen. Man verharrt in der überkommenden Logik. Uber sei vom Ansatz her richtig gewissen. In der Ausführung wirke das allerdings monopolisierend und sei genauso limitierend wie die etablierten Konzepte. Es wäre tausendmal spannender, wenn es dabei Pluralität geben würde. Können die alten Industriekonzerne die Transformation zu Plattformen überhaupt bewerkstelligen?

Kornberger ist skeptisch: „Die Beispiele aus der Wirtschaftsgeschichte belegen eher das Gegenteil. Die Kutscher haben nicht das Automobil erfunden. Genauso wenig waren die Eiswürfel-Lieferanten die Wegbereiter für Kühlschränke. Es steckt unendlich viel Beharrungsvermögen und Macht in den Strukturen. Da ist es einfacher, bis zur letzten Minute Schreibmaschinen herzustellen als zu versuchen, ins Computer-Business einzusteigen. Es passiert relativ selten, dass sich große Unternehmen neu erfinden.“ Das ist ein dystopisches Szenario für die Platzhirsche. Von Einzelakteuren erwartet Kornberger keine Änderungen.

Kollektives Handeln organisieren

Relevant seien einzig und allein organisatorische Stellschrauben. „Das ist etwas Kollektives und das stimmt mich optimistisch, weil man zum ersten Mal kollektives Handeln durch das Internet anders organisieren kann. Es ist viel einfacher geworden, sich zu vernetzen. Projekte wie Wikipedia sind dafür die besten Beispiele. Die Kreativität der Crowd kann schon sehr beeindruckend sein, wenn man sie richtig organisiert.“ Wie kann das traditionelle Management dort hinkommen? Unternehmen wie BMW operieren doch noch nach Methoden des 19. Jahrhunderts. Sie sollten sich diese Methoden anschauen und damit experimentieren. „Das ist nicht Rocket Science. Die Top-Manager sollten endlich ihre Kontrollverlust-Ängste ablegen“, empfiehlt Kornberger von der Lyion Business School. Ob die alte Führungsgarde die dafür nötige Imagination mitbringt, darf bezweifelt werden.

Anstellen und Einstellen – da liegt das Problem im Personalmanagement

Müssen Nachwuchskräfte mit einem anderen Denken rekrutiert werden? „Die ganze Idee mit Anstellen und dann Einstellen ist der Kern der Hierarchie. Der oder die Richtige soll für einen genau definierten Job gefunden werden. Im Netzwerk läuft das anders.“ Wann werde dort jemand mit seinem Wissen relevant? Das sei abhängig von der Resonanz, vom Kontext und nicht vom Organigramm. „Die individualisierte Personalauswahl in Unternehmen tut sich damit schwer. Auf Plattformen ist diese Frage ausgelagert. Die behandeln das sehr viel flüssiger und dynamischer“, resümiert Kornberger im Vorfeld der Kölner Fachmesse Zukunft Personal. Das Notiz-Amt wird dort am 19. und 20. September in Halle 3.1 Stand F27 zum #StudioZ verwandelt und in Interviews mit Experten des Personalmanagements weiter diskutieren.


Image(adapted)„Automobilindustrie“by MikesPhotos [CC0 Public Domain]


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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1 comment

  1. Können sich alte Industriekonzerne zu Plattformen wandeln? Die Frage lautet heute: Wann & wie?

    Bosch oder Trumpf sind längst dabei.

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