Wer erinnert sich nicht an den Bau des Flughafens BER. Das 2006 begonnene Bauprojekt hätte eigentlich bereits 2011 eröffnet werden sollen. Schlechte Bauplanung und eine angelnde Bauaufsicht ließen die ersten Flugzeuge dann doch erst 2020 abheben. Die Digitalisierung der Schule hat auch ein gefühlt ewiges Bauprojekt: Den Informatikunterricht in Deutschland.
Der Vergleich mit dem Flughafen ist jetzt vielleicht ein bisschen weit hergeholt, aber eines trifft auch auf die Digitalisierung der Schulen zu: Ohne einen guten Informatikunterricht wird sie nicht richtig abheben können. Einzelne Bundesländer haben das schon gut umgesetzt, doch es gibt auch noch Bundesländer ohne Pflichtfach Informatik.
Wir schauen darum auf den Informatik-Monitor 2024/25 der Gesellschaft für Informatik, des Stifterverbands und der Heinz Nixdorf Stiftung. Im internationalen Vergleich ist Deutschland trotz Digitalpakt nämlich weiterhin ein Nachzügler.
Informatikunterricht in Deutschland ist ein Flickenteppich
Ein großes Problem ist dabei mal wieder unser föderales System. Bildung ist nämlich Sache der Bundesländer und so auch die Umsetzung des Informatikunterrichts. Das ist zunächst einmal auch nicht schlecht. In der Theorie erlaubt es den Bundesländern verschiedene Wege auszuprobieren und der erfolgreiche Ansätze auf andere Bundesländer zu übernehmen. Der Informatik-Monitor 2024/25 macht aber deutlich, wie weit Theorie und Praxis auseinander gehen. Dafür reicht ein Blick auf die Karte, auf der die Stundenzahl Informatikunterricht in der Sekundarstufe visualisiert wird.
3 Bundesländer haben dort immerhin schon die von der ständigen wissenschaftliche Kommission (SWK) empfohlenen mindestens 6 Pflichtstunden umgesetzt. Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und das Saarland sind dabei weit über Deutschland verteilt und haben auch eine sehr unterschiedliche Größe. Es scheint also auch unter sehr unterschiedlichen Grundvorraussetzungen machbar zu sein. Trotzdem wird es dahinter dünn. Zwei Bundesländer haben mind. 4 Pflichtstunden, aber durch Deutschland zieht sich auch ein orangener Streifen mit Bundesländern, bei denen es nur Informatikangebote an einzelnen Schulformen oder Jahrgangsstufen gibt. Trauriges Schlusslicht ohne Angebot ist außerdem Bremen.
Auch die Prognose für 2027 sieht im Informatik-Monitor nicht besser aus. Bremen führt Informatik an allen Schulen als Pflichtfach mit 2 bis 4 Wochenstunden ein, Hamburg stockt auf 4 Wochenstunden auf. Bis 2027 können aber gerade im Rahmen des Digitalpakt 2.0 noch weitere Projekte folgen. Rheinland-Pfalz hat dieses Jahr zumindest einen neuen Kurs gesetzt. Ausgewählte Schulen sollen bereits im Schuljahr 25/26 Informatik als Pflichtfach mit 4 Wochenstunden bekommen und bis 2028/29 gilt dies für die Jahrgangsstufen 7-10 aller weiterführender Schulen. Der Weg ist aber noch weit.
Darum brauchen wir einen flächendeckenden Informatik-Unterricht
Informatikunterricht ist längst kein Nischenfach mehr, das nur für technikaffine Schüler*innen interessant ist. Im Informatikunterricht werden wichtige Schlüsselkompetenzen gelehrt, die ähnlich wichtig sind, wie lesen, schreiben und rechnen zu können.
Ob im Alltag, im Berufsleben oder im gesellschaftlichen Diskurs – digitale Technologien durchdringen heute nahezu alle Lebensbereiche. Informatikunterricht vermittelt unter anderem Grundlagen von Programmierung, Datenverarbeitung und IT-Sicherheit. Da es mittlerweile nicht mehr eine einzelne „Digitale Kompetenz“ gibt, stellen wir euch an anderer Stelle übrigens die wichtigsten digitalen Kompetenzen für das Jahr 2025 vor.
Ein guter Informatikunterricht beginnt zudem nicht erst in der Oberstufe. Bereits in der Grundschule können Kinder spielerisch mit digitalen Konzepten vertraut gemacht werden – etwa mit logischem Denken, dem Lösen von Problemen in Teilschritten oder dem Verständnis für Abläufe und Automatismen. Das fördert nicht nur technisches Know-how, sondern auch Kreativität und Selbstwirksamkeit.
Informatikunterricht in anderen Ländern
Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt: Deutschland hinkt im internationalen Vergleich deutlich hinterher, wenn es um informatische Bildung geht. Während bei uns viele Bundesländer noch über Pilotprojekte oder die Einführung von Informatik als Pflichtfach diskutieren, haben andere Länder längst gehandelt – strategisch, konsequent und mit messbarem Erfolg.
Estland gilt als Vorreiter im Bereich digitaler Bildung. Schon in der Grundschule werden dort informatische Inhalte vermittelt, von einfachen Programmierübungen bis hin zu Projekten im Bereich Robotik. Der Staat verfolgt seit Jahren eine klare Digitalstrategie, die nicht nur Infrastruktur, sondern auch Ausbildung und Lehrpläne umfasst. Das Ergebnis: Schülerinnen wachsen selbstverständlich mit digitalem Denken auf und gehören im europäischen Vergleich zu den kompetentesten Nutzer*innen digitaler Technologien.
Auch Finnland, bekannt für sein innovatives Bildungssystem, setzt frühzeitig auf digitale Kompetenzen. Informatik ist dort fest in die schulischen Curricula integriert – oft nicht als isoliertes Fach, sondern eingebettet in projektbasiertes, fächerübergreifendes Lernen. Ziel ist es, Kinder nicht nur als Nutzer*innen digitaler Medien zu schulen, sondern sie zu reflektierten Gestalter*innen einer digitalen Gesellschaft auszubilden.
Großbritannien wiederum hat bereits 2014 mit der Einführung des „Computing Curriculum“ klare Maßstäbe gesetzt. Informatik wurde dort ab dem fünften Lebensjahr verpflichtender Bestandteil des Lehrplans. Die Kinder lernen den Umgang mit Software, entwickeln ein Verständnis für algorithmisches Denken und setzen sich mit Themen wie Netzwerksicherheit und Datenverarbeitung auseinander.
Außerhalb Europas beindruckt Südkorea. Das Land verfolgt eine hochgradig technologieorientierte Bildungspolitik und integriert digitale Bildung systematisch in alle Schulformen. Informatik ist dort ab der Mittelstufe verpflichtend, in vielen Schulen beginnt die Auseinandersetzung mit digitalen Themen jedoch bereits früher. Neben klassischer Programmierung stehen auch Künstliche Intelligenz, digitale Ethik und Cybersicherheit auf dem Stundenplan. Die technische Ausstattung koreanischer Schulen ist auf einem hohen Niveau, und Lehrer*innen werden gezielt für den digitalen Unterricht fortgebildet. Südkorea versteht digitale Bildung als Grundlage für wirtschaftliche Innovationskraft – und handelt entsprechend.
Die Hürden – Warum es nicht vorangeht
Einer der größten Bremsklötze ist der deutsche Bildungsföderalismus. Jedes Bundesland regelt seine Lehrpläne, Stundentafeln und Fachdefinitionen selbst. Das führt zu einem Flickenteppich: Während Informatik in einigen Ländern ein Pflichtfach ist, existiert es in anderen nur als Wahlmöglichkeit – wenn überhaupt. Eine bundesweite Strategie fehlt. Was in Bayern eingeführt wird, kann in Niedersachsen völlig irrelevant sein. Fortschritt ist so weder planbar noch skalierbar.
Das zeigt sich auch in der Infrastruktur: Laptops im Lehrerzimmer, WLAN im Klassenzimmer, digitale Tafeln oder Softwarelizenzen – all das ist in vielen Schulen keine Selbstverständlichkeit. Der DigitalPakt Schule stellte zwar viele Mittel bereit, verzögert sich aber teils durch Bürokratie und vielerorts fehlt das technische Know-how für die praktische Anwendung.
Und damit wären wir beim großen Elefanten im Raum: Der Lehrkräftemangel. Schon abseits der Informatik gibt es mehr Lehrer die in Rente kommen als neue Lehramts-Absolventen. Das Fach Informatik kämpft zusätzlich mit einem steigenden Bedarf durch mehr Pflichtunterricht in den Schulen. Der Informatik Monitor beziffert die benötigten Lehrkräfte für 6 Wochenstunden Informatik in der Sekundarstufe I auf 32.800 Lehrkräfte. Deutschland kam im Vorjahr allerdings nur auf gut 10.000 Lehrkräfte- nicht einmal ein Drittel. Diese Lücke zu schließen ist eine Mammutaufgabe, die vor allem über Weiterbildungen bewerkstelligt werden soll.
Doch es gibt auch innerhalb des Schulbetriebs noch Hürden. Informatik wird noch oft als Sonderthema an der Schule behandelt. Eine tiefere Verankerung im Schulalltag – etwa durch fächerübergreifende Projekte oder digitale Schulentwicklung – findet selten statt. Ohne die erlernten Fähigkeiten sinnvoll im Unterricht anzuwenden wundert es wenig, wenn der Informatikunterricht als erstes hinten runterfällt, wenn das Personal knapp ist.
Positiv-Beispiele aus Deutschland
Nur zu meckern löst noch keine Probleme. Dafür braucht es Lösungen, die im besten Fall auch schon Ergebnisse nachweisen können. Zum Glück gibt es auch in Deutschland einige strahlende Beispiele, wie Informatikunterricht, bzw. überhaupt digitale Bildung in Deutschland aussehen kann.
Alemannenschule Wutöschingen
Die Gemeinde Wutöschingen an der Grenze zur Schweiz umfasst gerade einmal 6738 (Stand 31. Dezember 2023) Einwohner. Mittendrin: Die Allemannenschule Wutöschingen. Trotz der sehr dörflichen Lage zählt die Gemeinschaftsschule zu den großen Vorbildern der digitalen Bildung. Das brachte ihr mehrere Auszeichnungen, darunter auch den Deutschen Schulpreis 2019, ein.
Als Gemeinschaftsschule umfasst sie den gesamten Bildungsweg von Grundschule bis Haupt-, Real- und Gymnasialabschluss. Das besondere an der Schule ist, dass sie sich nicht einfach von ihren eigenen Mauern eingrenzen lässt. Das Orchester probt im Rathaus, Aluminiumwerk und Landwirtschaftsbetrieb sind ebenso außerschulische Lernorte, wie die Bücherei.
Auch innerhalb der Schule läuft vieles anders. Klassenräume sind weitgehend durch Lernatelliers ersetzt. Jeder Schüler hat ein Tablet und einen Arbeitsplatz in den Ateliers. Es gibt kurze Inputphasen, ansonsten arbeiten die Schüler*innen individuell und organisieren sich selbst. So wie es an einigen Schulen Schulsanitäter gibt, hat die Alemannenschule Wutöschingen auch iPad-Assistenten, die anderen Schüler*innen mit den Tablets helfen. Sogar die Verantwortung für das WLAN-Netzwerk liegt in der Hand der Kinder. Das beeindruckende: Das Konzept wurde bereits vor dem DigitalPakt Schule umgesetzt.
Don-Bosco-Schule Rostock
Die Don-Bosco-Schule in Rostock zeigt, dass digitale Bildung auch unter schwierigen Rahmenbedingungen sinnvoll und praxisnah umgesetzt werden kann – mit einem klaren Konzept, technischer Offenheit und pädagogischem Feingefühl. Die katholische Schule in freier Trägerschaft verfolgt dabei einen Ansatz, der nicht auf Technikverliebtheit setzt, sondern auf reflektierten Einsatz digitaler Medien im Unterricht.
Ein zentrales Element ist die Integration der Lernplattform simpleclub, die gezielt in der Oberstufe und für den Abiturjahrgang genutzt wird. Sie dient als Ergänzung zum Präsenzunterricht, nicht als Ersatz. Schüler*innen können mit der App Inhalte nacharbeiten, vertiefen oder im eigenen Tempo vorbereiten – was besonders in heterogenen Lerngruppen zu einer spürbaren Entlastung führt.
Gleichzeitig setzt die Schule klare Regeln im Umgang mit digitalen Geräten: Handys werden vor Unterrichtsbeginn eingesammelt, um Störungen zu vermeiden und einen bewussten Umgang mit Bildschirmzeit zu fördern. Dieses Konzept stärkt die Konzentration im Unterricht und verhindert Ablenkung durch soziale Medien – ohne die Technologie grundsätzlich zu verteufeln. Auch medienkritisches Denken wird aktiv gefördert. Die Schüler*innen setzen sich mit Themen wie Datenschutz, digitaler Ethik und Cybermobbing auseinander.
Für digitale Bildung müssen sich alle Seiten bewegen
Es ist einfach, Bund und Länder für Erfolg oder Misserfolg der digitalen Bildung verantwortlich zu machen. Der Digitalpakt 2.0 und die Ausbildungsstrukturen für Informatiklehrer sind zudem auch noch ausbaufähig. Für den Erfolg müssen aber mehrere Seiten zusammenfinden. Bei der Alemannenschule Wutöschingen hat die Gemeinde stark investiert und die Don-Bosco-Schule hatte mit Gert Mengel bis vor kurzem einen Schulleiter, der sich auch in mehreren Podcasts für digitale Bildung stark macht.
Wir benötigen Gemeinden und Bezirke, die etwas ändern wollen, Schulen und Lehrer, die offen für neue Konzepte sind und Schüler, die mit in die Digitalisierung eingebunden werden, vielleicht sogar ein Stück weit mit Verantwortung übernehmen und damit zugleich die vielerorts überforderte IT auch noch entlasten können. Es braucht aber auch einheitliche Strukturen und Prozesse, die Schulen abzuholen, die nicht selbst vorangehen können oder möchten. Und da haben wir innerhalb Europas eigentlich schon viele Länder, die es vorgemacht haben.
Image via ChatGPT (KI-generiert)
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