Ohne digitale Dienste und Werkzeuge wäre im Corona-Homeoffice tote Hose. Gegen stillstehende Fabriken am anderen Ende der Welt haben aber selbst die smartesten Gadgets nichts ausrichten können. Und hier vor Ort ist es vor allem die menschliche Wissenschaftsexpertise und Tatkraft in Sozialberufen statt Hochtechnologie, die uns durch die Pandemie half und hilft. Was können Unternehmen daraus für ihre digitale Transformation lernen, die durch Corona wieder an Fahrt aufnimmt? Wie werden sie moderner, krisenfester und bleiben dabei trotzdem menschlich? Das haben wir Andreas Schwend gefragt. Er ist Co-Gründer und Managing Director von Diconium, einer der führenden deutschen Digitalberatungen. Zur Digitalisierung in der Post-Corona-Zeit haben sein Team und er gerade einen Blog und Podcast gestartet. Trotz der technischen Natur des Themas stehen überraschend viele menschliche Faktoren im Vordergrund.
Zur Lösung der Corona-Pandemie haben viele gehypte Technik-Konzerne mit ihren schönen Gadgets und Netzwerken bisher nichts Maßgebliches beizutragen. Trotzdem scheint der Glaube an Technologie als Problemlöser ungebrochen, wie man etwa an den Massen-Hackathons #WirvsVirus sieht. Wie sehen Sie die Perspektive für die Digitalisierung in der Zeit nach Covid-19?
Ich sehe das durchaus optimistischer. In vielen kleinen und großen Projekten werden Menschen in der Pandemie durch Technologie unterstützt. Hunderttausende Menschen stellen zum Beispiel über „Folding@home“ oder „Dreamlab“ die Rechenleistung ihrer Smartphones oder Computer zur Verfügung, damit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schneller Medikamente und Impfstoffe gegen COVID-19 erforschen können. Historisch betrachtet wird eine Impfung hoffentlich in Rekordzeit verfügbar sein, da ist die technologische Entwicklung ganz klar ein Faktor.
Mein Optimismus gilt aber auch für die Zeit nach der Pandemie. Mein Eindruck ist, dass in unserer Gesellschaft mehr Menschen als zuvor neuen Technologien offen begegnen und vielleicht auch Ängste überwunden haben. Denken Sie an die vielen älteren Menschen, die zum ersten Mal ein Tablet in die Hand genommen haben, weil sie nur so mit ihren Enkeln sprechen und sie sehen konnten. Oder an die vielen Lehrerinnen und Lehrer, die mit viel Leidenschaft ihren Unterricht digital gestaltet haben. Diese Erfahrung wird sicher einen positiven Effekt auf die Akzeptanz von neuen Technologien haben. Eine Vielzahl von Bildungsprojekten hat einen erheblichen Schub erhalten. Wir müssen das als Chance begreifen.
Inwiefern ist es Zeit für einen neuen realistischen Blick auf das Verhältnis zwischen Mensch und Technologie? Schließlich waren in der Corona-Krise bisher die menschliche Intelligenz von Wissenschaftlern und die Belastbarkeit von Personal in Krankenhäusern, Kindertagesstätten und Supermärkten viel wichtiger als die von Künstlicher Intelligenz und Robotern.
Die große Chance der Digitalisierung ist, dass all diese Menschen mehr Zeit haben für das, was ihre Arbeit wirklich ausmacht. Genau das ist doch auch die eigentliche Definition von „New Work“. Fürsorge statt Formulare ausfüllen – das kann Technologie ermöglichen. Es gibt viele Beispiele, wie Maschinen unsere Arbeit und unser Leben erleichtern. Ein realistischer Blick heißt auch, dass wir nicht zu skeptisch auf technologischen Fortschritt schauen sollten.
Welche digitalen Hausaufgaben stellt Covid-19 Unternehmen, denen die Fragilität von Lieferketten, Produktion, Vertrieb und Endkundennachfrage aufgezeigt wurde?
Fast die Hälfte aller Industrieunternehmen hat bereits Pay-Per-Use und Production-as-a-Service-Modelle eingeführt, das wird sicher zunehmen. Die Flexibilität hilft Unternehmen, sich schneller auf Veränderungen einzustellen. Ich glaube, Unternehmen fokussieren sich in Zukunft mehr darauf, weniger zu benötigen, statt alles zu haben.
Inwiefern ist Glokalisierung eine Maßnahme für mehr Resilienz? Kommt im Zuge der Digitalisierung die große Automatisierungswelle, bei der Fertigungsroboter die Rückholung der Produktion nach Deutschland bezahlbar machen?
Das wäre eine Möglichkeit, ja. Der Absatz von Robotern steigt in Deutschland. Und das ist ein wichtiger Schritt, solange wir die notwendige Infrastruktur und Bildung nicht vernachlässigen. Aber man darf auch nicht vergessen, dass die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie noch gar nicht endgültig absehbar sind. In so einer Situation wird jede Investition kritisch hinterfragt – und das ist auch gut so.
Veränderung ist wichtig, aber Solidarität sollte dabei ein zentrales Element bleiben. Es darf niemand auf der Strecke bleiben. Weder im privaten und familiären Umfeld, noch in der Industrie. Das gilt auch für junge Unternehmer und Start-up-Gründer, deren Geschäftsmodell durch die Pandemie stark gefährdet wurde.
Inwiefern können neue Impulse aus der Sharing Economy die Nachfrage von Endkunden stabilisieren, etwa in Form von Pay-per-use- oder Mietmodellen?
Die Pandemie führt jeder und jedem vor Augen, wie schnell sich unsere Umgebung verändern kann, Unternehmen wie Menschen. Und natürlich welches Gut die eigene Gesundheit ist. Wie bereits erwähnt, im B2B-Segment nehmen solche Angebote zu.
Auch Privatkundinnen und -kunden sehen ich jetzt noch deutlicher die Vorteile der Flexibilität von Pay-per-use-Angeboten, zum Beispiel beim Thema Mobilität. Die Pandemie hat das Reise- und Pendelverhalten vieler Menschen ganz plötzlich verändert. Das erzeugt eine große Nachfrage nach Mietmodellen und wird die Mobilität sicher verändern. Es ist nun spannend zu sehen, wie aus dem „New Normal“ ein „New Possible“ wird.
Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach der Zukunft des Digital Workplace. Viele Bürobeschäftigte wollen auch nach Corona zumindest teilweise im Homeoffice bleiben – trotz ruckelnder Videochats und zickender VPN-Verbindungen. Hat der Zwangsumzug ins Heimbüro aus Ihrer Sicht funktioniert oder die Effektivität digitaler Telearbeit eher infrage gestellt?
Ich bin überzeugt, dass ganz allgemein niemand weniger effektiv zu Hause arbeitet als im Büro. Das werden viele Führungskräfte jetzt auch erlebt haben. Aber das war natürlich schon eine ganz außergewöhnliche Situation, besonders für Eltern, als die Schulen und Kitas geschlossen waren. Effektivität von Telearbeit in diesem Ausnahmezustand bewerten zu wollen, ist schwierig.
Manches hat gut funktioniert, manches schlechter, aber viele werden daraus für die Zukunft gelernt haben, wenn die Umstände wieder etwas normaler sind. Die wichtigste Währung von Führungskräften für ihre Mitarbeiter sind aber nicht Workspace-Lösungen wie Slack oder Microsoft Teams, sondern Vertrauen. Wenn das nicht vorhanden ist, liegt das Problem tiefer begraben.
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Eigentlich ist es für Arbeitgeber ja eine erschreckende Offenbarung, dass viele Menschen zwar gern arbeiten – aber bitte lieber nicht im Präsenzbüro. Kann man nur noch jenseits des Großraumbürostresses kreativ und innovativ sein? Was ließe sich daran ändern?
Der Wunsch, auch nach der Pandemie mehr außerhalb des Büros zu arbeiten, hat, denke ich, wenig mit dem Büro an sich zu tun. Technologie macht es möglich, die Arbeit und unser Privatleben besser zu verbinden, flexibler zu sein. Wer jetzt zum ersten Mal auch von zu Hause arbeiten kann, wenn das Kind mal zum Arzt muss, für den ist das eine riesige Erleichterung.
Auf Dauer werden hybride Arbeitsmodelle erfolgreich sein. Ich habe kürzlich ein Interview mit Allianz-Chef Oliver Bäte gelesen, der davon ausgeht, dass sich die Büroflächen seines Konzerns auf längere Sicht um ein Drittel reduzieren lassen. Menschen sind also glücklicher, wenn sie individuell entscheiden können, ob sie zu Hause, unterwegs, oder im Büro arbeiten wollen – und glückliche Menschen sind kreativ und innovativ. Gewinnen wird aus meiner Sicht die Souveränität über Zeit und Ort, wie das in vielen Technologie-Konzernen weltweit schon gelebte Praxis ist.
Aber natürlich verstehe ich, dass Branche, Form und Größe von Unternehmen verschieden sind und der Weg in ein hybrides Arbeitsmodell beschwerlich ist. Hier rate ich zu mehr Mut und Offenheit, im Zuge der Digitalisierung neuen Dingen eine Chance zu geben.
Was kommt auf Unternehmen durch die Digitalisierung zu, wenn Sie Beschäftigte im Homeoffice mit IT und digitalen Skills ausstatten wollen?
Natürlich ist die technische Ausstattung wichtig, ohne Laptops oder moderne 2-in-1-Devices klappt Homeoffice vermutlich nicht. Das gleiche gilt für digitale Werkzeuge. Wie viele von uns haben wirklich schonmal mit digitalen Whiteboard-Lösungen gearbeitet? All das muss nun aus der ungeplanten Situation der Pandemie in eine Struktur überführt werden.
Aber ich denke, die Unternehmenskultur ist viel wichtiger für den Erfolg neuer Arbeitsmodelle, als manche glauben. Gegenseitiges Vertrauen, ein gemeinsames Ziel und gute Kommunikation sind besonders wichtig, wenn Menschen aus der Ferne miteinander arbeiten. Daran müssen wir alle arbeiten.
Das Interview zur Digitalisierung nach Corona haben wir in Kooperation mit Diconium schriftlich geführt.
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Schlagwörter: Coronavirus, Diconium, digitalisierung