Interview: Dr. Christoph Bieber

Politik Digital - Online zum Wähler

Am 1. Oktober erscheint Ihr neues Buch „politik digital. Online zum Wähler„. Für Querleser: Wie würden Sie die Kernthese Ihres Buchs in drei Sätzen zusammenfassen?

Da genügt beinahe schon ein Satz: „Das Internet verändert unser Handeln, und nicht nur unser Denken.“ Die Grundidee dabei ist, dass in den vergangenen Jahren bereits so viele Dinge geschehen sind, die im Netz oder durch das Netz hindurch den Alltag vieler Menschen unmittelbar beeinflusst hat. Die Wahl Barack Obamas, der Online-Wahlkampf zur Bundestagswahl, die Zensursula-Debatte oder der Aufstieg der Piratenpartei sind dabei die dominieren Themen der letzten beiden Jahre. In Zukunft dürften die „Szenen“ und „Milieus“ hinter den digitalen Eliten eine wichtige Rolle für die Entwicklung einer „Netzpolitik“ spielen, ebenso die wird sich die Organisation der politischen Parteien noch stärker an den Möglichkeiten der Online-Kommunikation orientieren. Und wir werden angesicht der sinkenden Wahlbeteiligung wohl auch wieder Wahlgeräte reden müssen.

[Das gesamte Interview folgt nach dem Sprung.]

Sie haben untersucht, wie sich die zwei Welten „Politik“ und „Netz“ zueinander verhalten. Was haben Sie entdeckt?

Die gerade genannten Beispiele bieten auch beim zweiten oder dritten Hinsehen viel spannendes – vor allem zeigt sich, dass das was sich seit 2008 entwickelt hat, keineswegs nur eine Reaktion auf die US-Präsidentschaftswahl ist. Sicher, es gibt einen „Obama-Effekt“, doch bringen nationale Strukturen und Diskussionen immer wieder Besonderheiten hervor, die anderswo nicht ohne weiteres replizierbar sind. So wirken die Parteien in Deutschland bisher eher als Hemmschuh bei der politischen Entwicklung, begünstigen dadurch aber zum Beispiel das Aufkommen Piratenpartei – die wiederum sind ganz und gar nicht als „transnationale“ Organisation zu begreifen, sondern als ein nur sehr lose über eine „Dachmarke“ zusammengehaltenes Sammelsurium politischer Aktivisten. Ein zentrales Moment scheint also der Dialog zwischen dem Zustand des politischen Offline-Systems und einer mehr oder weniger diskussions- und aktionsfreudigen Online-Öffentlichkeit zu sein.

Gab es besonders überraschende Befunde?

Mich hat vor allem die große Bandbreite der Positionen zum Umgang mit Wahlgeräten überrascht. In Deutschland und den Niederlanden scheint das Thema ja längst erledigt zu sein, doch anderswo gibt es aus ganz unterschiedlichen Motivationen eine teilweise sehr konsequente „Medialisierung des Wählens“. Schauen sie nur nach Brasilien, wo am 3. Oktober gewählt wird. Dort werden bereits seit dem Jahr 2000 Wahlcomputer eingesetzt, bei gut 135 Millionen Wahlberechtigten. Und dabei handelt es sich hier bestenfalls um ein „Medienschwellenland“, in dem das Fernsehen noch eine massive Rolle spielt und das Internet erst allmählich an Bedeutung gewinnt – wobei allerdings schon 75 Millionen Menschen online sind. Eine zweite Überraschung sind die Entwicklungen in den USA: dort streiten sich gerade „Online-Linke“ und „Online-Rechte“ um die Vorherrschaft im Netz – man erlebt dort eine Renaissance großer Mitgliederorganisationen, die in ihrer Struktur den großen Mitgliederparteien europäischer Prägung nicht unähnlich sind. Diesseits des Atlantiks gilt genau dieses Modell aber fast schon als „bedrohte politische Lebensart“.

Wäre ein Internetministerium die Lösung für die Netzprobleme der Politik?

Aus meiner Sicht ist das keine funktionsfähige Lösung. Einerseits ist schon auf Bundesebene der Konkurrenzdruck zwischen den Ressorts recht hoch, wenn es um Internet-Themen geht und dann kommt immer auch noch die föderale Ebene hinzu. Trotzdem hielte ich es für sinnvoll, wenn stärker mit neuen Organisationsstrukturen experimentiert werden würde. Das muss ja nicht gleich ein Ministerium sein, auch kleinere Einheiten mit besonderen Befugnissen wären ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings brauchen sie Entscheidungsspielräume und eine entsprechende Kompetenz.

Was erwarten Sie von der laufenden Enquêtekommission „Internet und Digitale Gesellschaft“?

Die Enquête-Kommission ist zwar hilfreich, kann aber als Gremium zur parlamentarischen Weiterbildung allerdings nur indirekte Wirkungen entfalten. Vor allen Dingen wird sie dazu beitragen, das neue Politikfeld „Netzpolitik“ dauerhaft in der öffentlichen Diskussion zu verankern. Und die Idee der Einbindung der Online-Öffentlichkeit als „18. Sachverständigen“ zielt schon auf einen „partizipativen Regierungsstil“, wie er auch bei der Aufstellung der Obama-Administration nach der Wahl Ende 2008 zu beobachten war. Was sich davon allerdings innerhalb einer Legislaturperiode umsetzen lässt, muss sich erst noch zeigen – in den USA genauso wie in Deutschland.

Ein Blick in die Kristallkugel: Wie wird sich das Verhältnis von Internet und Politik in den nächsten 5 Jahren verändern?

Vor allem werden die Präsenzen politischer Akteure professioneller daher kommen – was wohl auch daran liegt, dass immer mehr professionell ausgebildete Journalisten in den Politikbetrieb eingebunden werden. Ein Vorgeschmack lieferte der „candidate journalism“ im Obama-Wahlkampf – die klassischen Kanäle der politischen Öffentlichkeit werden umgangen, da sich Amtsinhaber oder Kandidaten immer besser direkt an die Bevölkerung wenden können. Überhaupt befindet sich das Feld der öffentlichen Kommunikation und der Status der so genannten „vierten Gewalt“ in einem raschen Wandel. Die Debatte um Wikileaks ist dabei ein weiterer Ausdruck dieses Prozesses – die Begleitung, Beobachtung und die Kritik politischer Prozesse ist nicht mehr automatisch eine Domäne der traditionellen Medien. Die „watchdogs“ gewinnen an Bedeutung, ganz gleich ob als technische Plattform oder inhaltlich ausgerichteter Spezialanbieter.

Ein Ratschlag in Richtung Politikbetrieb?

Selbstbewusst sein. Nicht so sehr auf das Urteil der alten Medien hören. In Deutschland hat man es als innovationsfreudiger Politiker schwer – man kann sicher sein, dass es Kritik hagelt, wenn man sich frühzeitig mit neuen Diensten und Plattformen befasst. Twitter ist ein schönes Beispiel dafür, die Debatte dazu ist noch längst nicht abgeschlossen.

Ein Ratschlag für die Netzcommunity?

Selbstbewusst sein. Nicht so sehr auf das Urteil der alten Medien hören. Einzelne Bürger können sich durchaus wirksam in politische Prozesse einklinken und inzwischen auch einiges bewegen, selbst wenn sie sich „nur“ im Netz politisch betätigen. Ich freue mich schon auf Germany’s next Franziska Heine.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Christoph Bieber ist Politikwissenschaftler an der Justus-Liebig-Universität, befasst sich seit Mitte der 1990er Jahre mit den politischen Folgen der Online-Kommunikation, bloggt auf „Internet und Politik“ und twittert als @drbieber. Gelegentlich war er schon als Gastautor bei den Netzpiloten tätig. Seit Sommer vergangenen Jahres ist er in Elternzeit, hat aber dennoch Zeit gefunden, ein Buch zu schreiben, das sich nicht mit Kindern, Erziehung oder Medienkompetenz befasst. Am 1. Oktober erscheint „politik digital. Online zum Wähler“ (Amazon). Das Buch greift im Titel die Online-Plattform www.politik-digital.de auf, das ist kein Zufall: Bieber ist seit dem Jahr 2000 Mitglied im Vorstand des Trägervereins pol-di.net e.V.

war Netzpiloten-Projektleiter von 2007-2010. Heute hilft er als freier Berater Unternehmen, ihre Strategien erfolgreich ins Netz zu übertragen. Über Social Media und digitale Kultur schreibt und twittert Peter auch privat unter TheWavingCat.com. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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