Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin und führt das Blog Kooptech. Im Blogpiloten-Interview spricht sie über die Wandel der Medienbranche, die Misere im (Online-)Journalismus und ihre Studie zu „Kooperativen Technologien“.
Christiane, auf KoopTech bloggst Du über den Wandel in der Mediengesellschaft. Wie hast Du die Veränderungen und den Wandel in den letzten Jahren in Deinem eigenen Leben und Arbeiten wahrgenommen?
Ich bin seit 13 Jahren Online-Journalistin – die Veränderungen waren für mich erstmals mit der Wirtschaftskrise nach 2001 deutlich zu spüren, doch jetzt nehmen sie dramatische Ausmaße an. Um zu begreifen, was passiert und wie man den Veränderungen pragmatisch begegnen kann, habe ich mich daher mit den Hintergründen des Wandels in einer Analyse namens „Kooperative Technologien“ auseinandergesetzt, die bald erscheinen wird.
Kannst Du schon ein paar Kernergebnisse verraten?
Schwierig, das in kurzen Worten zu fassen. Letztlich zeigt die Analyse, dass Kooperation und Kommunikation von Anfang an in der Entwicklung des Internet eine zentrale Rolle gespielt haben und wie sich entsprechend verschiedene Dienste und Techniken in den letzten Jahren evolutionär entwickelt haben. Sie analysiert über 1000 Anwendungen kooperativer Technologien nach ihren Hauptfunktionialitäten, entwirft ein Benchmarking und destilliert hieraus sieben Akzeptanz- und Erfolgsfaktoren, die in einem Modell sinnhaft dargestellt werden. Außerdem zeigt sie in fünf Szenarien (Online-Redaktion, Wissensmanagement in Unternehmen, Forschungsgruppen, Betriebliche Weiterbildung, Nicht-Regierungsorganisationen), dass diese je nach Anwendungsbereich unterschiedlich sind. Dabei stellt sie fest, dass kooperative Technologien in allen beschriebenen Bereichen als dynamische, sich rasch weiterentwickelnde Werkzeuge fungieren, die viele Lebensbereiche beeinflussen, indem sie die Art und Weise der Kommunikation und Koordination, das Planen und Managen, das Teilen und das Entstehen neuer Erkenntnisse sowie die Kollaboration kontinuierlich verändern. Damit verändern sich auch Verhaltensweisen rund um das individuelle Identitäts-, Reputations- und Beziehungsmanagement.
Mit Deinem Themenfokus bist Du sehr nah an technischen, medialen und gesellschaftlichen Entwicklungen dran, die in der breiten Masse noch nicht angekommen sind. Und auch unter Journalisten scheinen diese Themen noch nicht sehr populär zu sein. Oder?
Irgendwie mache ich immer wieder die Erfahrung, dass die Themen, die ich im Moment sehr spannend finde, erst Jahre später im Mainstream landen – wenn überhaupt. Was das journalistische Arbeiten im Online-Bereich anbelangt konnte ich etwa vor zehn Jahren im Zuge der Recherche zur Kryptografie-Debatte und den so genannten Enfopol-Papieren, die der Vorläufer der Vorratsdatenspeicherung waren, eine grenzüberschreitende kollegiale Zusammenarbeit von freien Journalisten erleben, die jetzt im digitalen Mainstream zu spüren ist. Ich glaube, dass Journalisten sich nicht entlang von Marken, sondern entlang von Interessen besser untereinander vernetzen und damit auch wirksamer unterstützen könnten. Wichtig dafür ist natürlich auch ein vertrauensvoller Umgang. Natürlich gibt es heute neue Tools, aber wir haben noch immer kein umfassendes journalistisches Online-Modell entwickelt, das den kompletten Workflow von der Recherche bis zur Produktion sowie zum Feedback umfasst. Wir setzen daher diese Tools noch nicht bewusst genug ein.
Was sind nach Deiner Erfahrung im Privaten wie im Beruf die größten Barrieren, wenn Du anderen versuchst zu erklären, wie die digitale Kultur „funktioniert?“
Es gibt verschiedene Reaktionen, die ich in Summe nicht sehr ermutigend finde. Die eine typische Reaktion ist, alles als Hype zu verschreien, aber nicht genau hinzugucken, was genau passiert. Die andere besteht in purem Desinteresse. Beidem kann man nur durch einfache, pragmatische Erklärungen begegnen.
Zum Beispiel?
Im journalistischen Umfeld gibt es hier das Beispiel Twitter. Am Anfang hat man diejenigen belächelt oder sogar hart kritisiert, die das Tool einfach nur einmal ausprobiert haben. Jetzt ist der Umgang durch die alltägliche Praxis schon etwas souveräner.
Bei welchen wichtigen gesellschaftlichen Themen im Zusammenhang mit medialen Veränderungen versagt der Journalismus aktuell?
Hier gibt es unterschiedliche Ebenen – zum einen die thematische, zum anderen die methodisch-praktische. Bei den Themen vermisse ich das Nachhaken. Vieles wird nur vermeldet, aber man bleibt dann nicht mehr wirklich am Ball. Entsprechend gefallen mir natürlich Formate wie „Was macht eigentlich xy?“ oder „Nachgehakt“. Ich vermisse auch im politischen Raum eine Vorfeldberichterstattung. Oft habe ich schon gehört, dass man das Thema erst machen möchte, „wenn es aktuell ist“ bzw. wenn die Entscheidung kurz bevorsteht. Aber dann ist der Entscheidungsprozess ja schon so gut wie abgeschlossen. Die Medien können so nicht wirklich einen öffentlichen Diskurs gestalten.
Was den Umgang mit digitalen Medien anbelangt, finde ich manches Verhalten in sozialen Netzwerken verantwortungslos. Wenn hier nach Katastrophen wie etwa dem Amoklauf von Winnenden die Bilder von minderjährigen Opfern einfach verwendet werden, ist das eine Art von digitalem Witwenschütteln, die nicht mehr akzeptabel ist.
Warum glaubst Du ist der Qualiätsjournalismus bedroht?
Ein Grundthema, das ich immer wieder in meinen Arbeiten finde, sind die digitalen Bürgerrechte sowie Partizipationsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich die Demokratie als etwas eher zerbrechliches empfinde, das nur durch mündige Bürger lebendig gehalten werden kann. Mündigkeit speist sich aus Wissen und umfassender Partizipation. Wenn das Lernen und die Teilhabe auf irgendeine Weise behindert werden, dann finde ich das alarmierend. Im Moment beispielsweise erlebe ich, dass Zeitungen aufgrund der schlechten Anzeigensituation nur sehr wenig Platz haben und viele Themen, die mir wichtig sind, nicht berücksichtigen können. Auch Online-Medien haben wenig Platz, weil sie ihren Honorartopf am Anzeigenvolumen orientieren. Diese Entwicklung bedroht nicht nur jetzt schon die Existenzgrundlage vieler freier Journalisten, sondern mittelfristig auch die Medienvielfalt, die für unsere Demokratie so wichtig ist. Hoffentlich können die Blogs und Social Networks sich so weiter entwickeln, dass sie einen Teil des so entstehenden Informationsdefizits wieder auffangen.
Welche Potentiale und Einsatzfelder siehst Du für den (Online-)Journalismus in den Social Media Tools?
Die Anwendungen werden sich so weiter entwickeln, dass jeder bzw. jede Gruppe oder jedes Unternehmen sich seine persönliche Öffentlichkeit, sein informationelles Ökosystem schaffen und optimieren kann. Insofern werden auch neue Player in der Medienöffentlichkeit auftauchen. Nicht nur Leute oder Dienste, die Aggregationen auf vielfältigste Weise vornehmen, sondern auch Menschen, Gruppen und Unternehmen, die aufgrund ihrer Glaubwürdigkeit das Vertrauen ihrer Öffentlichkeit gewonnen haben und so als wichtige Netzwerkknoten ein eigenes Agenda-Setting betreiben können. Um diese Knoten herum werden sich neue ökonomische Verwertungsmöglichkeiten entwickeln. Schon heute spielen Werbung und Sponsoring eine Rolle, vorstellbar sind beispielsweise auch Spin-Off-Produkte wie etwa eine gezielte Zusammenstellung von Informationen in ausdruckbaren Handbüchern oder Magazinen oder die Organisation exklusiver Konferenzen, die beispielsweise nur für Premium-Mitglieder stattfinden.
Was das journalistische Arbeiten anbelangt, kann ich mir vorstellen, dass Journalisten gezielt für aufwändige und anspruchsvolle Recherchen engagiert werden. Neue Aufgaben gibt es sicherlich auch im Bereich technisch unterstützter Aggregationsdienstleistungen oder eines Communitymanagements, das mit einer Art Crowd Reporting umgehen muss. All dies wird sich vermutlich zunächst in thematischen Nischen abspielen und über eine Kombination von crossmedialem Verlagsengagement, Sponsoring und Werbung finanzieren. Aber all diese Veränderungen werden wir nicht von einem auf den anderen Tag erleben, sondern nur in einem eher schleppenden, teilweise auch mühsamen Prozess, der sicherlich auch zahlreiche Umbrüche mit sich bringen wird.
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Schlagwörter: Interview, journalismus, kooptech, onlinejournalismus, schulzki-haddouti
5 comments
Sehr schönes Interview, danke!
Bitte bitte besser auf die Formatierung achten! Das Interview ansonsten sehr interessant, musste es mir aber wirklich erst in Wort kopieren und ein paar Absätze einfügen, so ist das eine Zumutung…
Haben das mal nachformatiert. Komisch.