Interview mit carta.info: Meinungen statt Nachrichten

Carta hatte es in kurzer Zeit zu einiger Berühmtheit gebracht. Mit der Mischung aus prominenten Autoren, soliden Artikeln und einer wachsenden Leserschaft zeigte das Multi-Autoren-Blog, dass auch jenseits klassischer Redaktionen Qualitäts-Journalismus stattfinden kann. Im Sommer 2011 verordnete der Gründer Robin Meyer-Lucht Carta eine Denkpause. Nach seinem unerwarteten Tod im September 2011 sah es so aus, als ob die Pause nie endet. Doch seit einigen Wochen ist Carta wieder aktiv. Die Interviewpartnerin Tatjana Brode war mit Robin Meyer-Lucht verheiratet und ist eine der vier Herausgeber von Carta…


In der Vergangenheit gab es eine Auszeit „zur Neujustierung“ von Carta, schon vor dem Tod des Gründers Robin Meyer-Lucht. Was war los?

Robin hatte damals Probleme mit „Skalierbarkeit und Refinanzierung“ als Gründe genannt. Er hat von Anfang an viel Energie in Carta investiert. Gleichzeitig arbeitete er als Medienökonom, Publizist und Wissenschaftler. Als Einzelperson skaliert man einfach schlecht. Wenn ein Bereich expandiert, bleibt weniger Zeit für andere. Um Carta gemeinsam mit dem Team neu aufzustellen, hat er die „Sommerpause“ genommen.

Ich war der Meinung, dass Robin sich und Carta über das Agentur-Modell gut finanzieren konnte. In einem FAZ-Artikel wurde er als Prototyp für dieses Geschäftsmodell bezeichnet. Hat das nicht funktioniert?

Das Prinzip kann funktionieren, wenn man Einzelblogger ist: Man refinanziert die Zeit, die man in das Blog steckt, durch den „Ruhm“ und daraus folgende Aufträge für eine eigene Beratungsagentur. Mit diesem Prinzip hat Robin seine eigene Arbeitskraft sowie die Redaktionsassistenz für Carta eine Zeitlang finanzieren können. Jedoch ist Carta ein Multi-Autoren-Blog. Je erfolgreicher es wurde, desto wichtiger wurde ein stabiles Redaktionsteam als Hub zwischen den Autoren. Das konnte dieses Modell nicht schaffen.

Carta hatte sich an dem Modell Huffington Post orientiert und wollte ein ähnliches, sich selbst tragendes Multi-Autoren-Blog werden. Warum hat das so nicht geklappt?

Publizistisch war Carta ja sehr erfolgreich. Aber es ist zu klein, um sich allein über Anzeigen zu tragen. Ich glaube, auch in Zukunft wird sich Carta kaum direkt refinanzieren können.

Was ist das Problem, ist der deutsche Medienmarkt zu klein?

Der Markt ist möglicherweise da, aber aus verschiedenen Gründen haben sich in Deutschland freie Medien oder Blogs nicht mit solch einer Vehemenz wie in anderen Ländern durchsetzen können.

Auf dem vergangenen Autoren-Treffen von Carta haben wir darüber diskutiert. Vielleicht gibt es aufgrund der starken Online-Ableger der Printmedien und der Öffentlich-rechtlichen nur eine kleine Lücke für Medien wie Carta. Es ist nichts dagegen einzuwenden, dass es verschiedene publizistische Kräfte gibt. Man kann aber die Frage stellen: Wie kann man in Deutschland eine Medienlandschaft schaffen, in der auch andere, kleinere Player gefördert werden?

Dass die Autoren nicht oder kaum für die Artikel bezahlt wurden, schien nie ein Problem zu sein. Was sind die Anreize, auch ohne Honorar komplexe Artikel zu schreiben?

Das Autorennetzwerk ist das, was Carta ausmacht. Das Grundprinzip war und ist, dass die Autoren nebenberuflich bei uns schreiben. Robin hat Carta als qualitative Marke etabliert, über die Autoren ein größeres oder anderes Publikum erreichen können. Wissenschaftler etwa stellen Thesen zur Diskussion. Junge Autoren steigern ihre Reichweite, und für Blogger, die ihre Artikel auf Carta crossposten, ist es interessant, sie in einen neuen Kontext einzustellen. Hier wird nicht nur eine Sichtweise aus dem Netz heraus formuliert, gleichzeitig können die Autoren quasi auch ins Netz hinein publizieren.

Carta scheint eine Lücke gefüllt zu haben, es ging nach dem Start im Jahr 2008 rasant bergauf. Welche Lücke war das?

In der Zeit, als die Online-Ableger klassischer Medien vor allem auf Nachrichten setzten und damit gefühlt redundante Inhalte publizierten, ging es bei Carta – wie bei anderen Blogs – um Meinungsjournalismus und Debatten. Zudem hat Robin es geschafft, interessante Autoren zu Carta zu bringen, von denen die Leser immer wieder wissen wollten, wie sie über bestimmte Aspekte des Zeitgeschehens denken. Carta war und ist nicht nur themen-, sondern auch stark personenorientiert.

Was soll jetzt bei Carta anders werden?

Wir haben Carta vor allem wieder gestartet, weil wir Robins Werk fortsetzen wollten. Nach Robins Tod haben sich viele Leute gemeldet, die dabei sein wollten, wenn es weitergeht. Das war eine Motivation für Wolfgang Michal und mich zu sagen: „Okay, wir versuchen es“. Hinzu kamen positive Signale von Seiten der Autoren. Vielleicht muss man jetzt fragen, was man anders oder auch besser machen kann. Wir werden versuchen, die Strukturen dezentraler zu organisieren, die Arbeit stärker zu verteilen. Natürlich wäre es schön, wenn wir einen guten Vermarkter finden, und noch besser, wenn wir außerdem eine Förderung bekämen. Aber wir haben nicht den Anspruch, dass sich Carta unbedingt sofort tragen muss.

Wie wird die Struktur aussehen?

Wir haben vier Herausgeber, und wir haben unter den Autoren viele Experten für bestimmte Bereiche, die Themen und weitere Autoren benennen können. Wir wollen einen Beirat etablieren, und wahrscheinlich wird es darauf hinauslaufen, dass wir einen Förderverein gründen.

Inwiefern wird es publizistische Änderungen geben?

Carta wird die Summe der Leute sein, die daran arbeiten. Thema von Carta ist der Wandel der Öffentlichkeit, neben dem Schwerpunkt Netzpolitik widmen wir uns Themen anderer Politikbereiche, aber auch aus Kultur und Wissenschaft. Die erfolgreichsten Texte auf Carta waren übrigens nicht unbedingt netzpolitische Debatten, sondern beispielsweise die um zu Guttenberg oder Sarrazin.

hat Publizistik und Soziologie studiert und lebt als freier Journalist in Berlin.


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