Seit 2006 stellt Jens Schröder wöchentlich die Blogcharts auf. Er ordnet deutschsprachige Blogs nach der Zahl der Backlinks und bringt so etwas Übersichtlichkeit in den Weiten der Blogosphäre. Deswegen war er neben Frank Westphal von Rivva einer der zwei Experten zur Bedeutung von Links, die ich für meine Magisterarbeit zur Ökonomie von Blogs befragt habe. Die Experteninterviews habe ich sukzessive zu klassischen journalistischen Interviews ausgearbeitet. Im ersten Teil des Interviews spricht Jens Schröder über Strukturen und Auffälligkeiten der Deutschen Blogcharts und über seine Definition eines Blogs.
Was sagen die Deutschen Blogcharts aus?
Die deutschen Blogcharts zeigen, welche 100 deutschsprachigen Blogs innerhalb der Blogszene am populärsten oder, wenn man so will, einflussreichsten sind.
Wie legst du fest, was ein Blog ist und was nicht?
Das ist immer schwierig. Es muss irgendwie aussehen wie ein Blog, es sollte eine normale Blogsoftware verwendet werden, es schadet nicht, wenn man kommentieren kann, und auch die umgekehrt chronologische Reihenfolge der Einträge ist ein wichtiger Punkt. Viele sagen, das Bildblog ist kein Blog, weil man nicht kommentieren kann. Aber für mich gibt es kein endgültiges Ausschluss-Kriterium, ich entscheide das von Fall zu Fall.
“Die meisten Blogs in den Top 100 sind Fachblogs oder journalistische Blogs und eben nicht die kleinen Tagebuchblogs von Leuten, die das hauptsächlich als ihr Privatvergnügen ansehen.”
Welche thematischen Gruppen erkennst du in den Top 100?
Der mit Abstand größte Komplex besteht aus Blogs, die ich unter Web und Technik zusammenfassen würde. Alles was mit dem Internet zu tun hat, von Mac-Blogs über Gadgetblogs bis hin zu Blogs, die die neuesten Tools im Internet vorstellen. Dahinter gibt es keinen richtig großen Trend. Im letzten Jahr vor der Bundestagswahl waren etwas mehr Politikblogs als vorher drin, doch die sind teilweise wieder aus den Charts verschwunden. Ansonsten sind es hauptsächlich Einzelphänomene, Blogs zu verschiedenen Themen, die besonders gelungen sind.
Wie würdest du das Verhältnis der Blogcharts zur restlichen Blogosphäre beschreiben?
Sie sind natürlich nicht repräsentativ. Die meisten Blogs in den Top 100 sind Fachblogs oder journalistische Blogs und eben nicht die kleinen Tagebuchblogs von Leuten, die das hauptsächlich als ihr Privatvergnügen ansehen.
Du sprichst diesen starken Widerspruch zwischen Blogcharts und Blogosphäre an: trotz starker Präsenz von Tagebuchblogs in der Blogosphäre, sind sie in den Charts nur sehr schwach (*) vertreten. Wie erklärst du dir das?
Ich kann es mir nur so erklären, dass die Tagebuchblogger einen viel kleineren potenziellen Leserkreis haben. Wenn jemand bloggt, was er so erlebt oder was er im Fernsehen gesehen hat, interessiert das vielleicht seine Freunde, Verwandten und ein paar Außenstehende, aber nicht so viele wie beispielsweise bei einem Blog über das Iphone.
Und wie erklärst du die ungleiche (**) Geschlechterverteilung?
Meine Hauptthese ist, dass Frauen bei journalistischen oder halb-journalistischen Fachblogs sehr unterrepräsentiert sind, während sie bei den subjektiveren Tagebuchblogs überrepräsentiert sind. Aber die Fachblogs sind die, die am ehesten verlinken und verlinkt werden.
Du meinst, Frauen betreiben einfach eine andere Art von Blogs.
Ja. Ich halte nichts von Verschwörungstheorien, dass Männer nur Blogs von Männern verlinken würden.
Wie entstehen die Deutschen Blogcharts?
Sie basieren auf der Gesamtzahl der unterschiedlichen Verlinkungen in Blogs innerhalb der letzten 26 Wochen. Die Zahlen errechne ich einmal pro Woche mithilfe der Blog-Suchmaschine Icerocket. Ich habe eine interne Liste von etwa 400 deutschsprachigen Blogs, die alle eine bestimmte Anzahl an Verlinkungen überschreiten.
Icerocket checkt Hunderttausende oder Millionen Blogs, die veröffentlichen da keine genauen Zahlen. Soweit ich weiß geschieht das über RSS-Feeds, die Blogs teilen der Suchmaschine automatisch mit, dass es etwas Neues gibt.
Gibt es Verzerrungen?
Icerocket ist im Normalfall recht aktuell, aber es kann immer mal passieren, dass es ein paar Stunden dauert, bis Inhalte ankommen. Verzerrungen kann es bei verkürzten RSS-Feeds geben. Wenn dort nicht alle Links auftauchen, sondern erst im kompletten Blogeintrag, kann es sein, dass sie von der Suchmaschine nicht gefunden werden.
Du hast lange Zeit die Suchmaschine Technorati verwendet und bist dann mit der Aussage „Technorati ist tot“ plötzlich auf Icerocket umgestiegen. Was war los?
Die Macher von Technorati hatten immer Probleme, ihre Suchmaschine zu monetarisieren. Irgendwann sind sie auf die Idee gekommen, dass sie keine Suchmaschine mehr sein wollen, sondern lieber ein Vermarkter von Blogs. Sie haben ihr System so verkrüppelt, dass das Ding gerade für nicht-englischsprachige Blogs völlig unbrauchbar geworden ist. Deswegen musste ich mich nach Alternativen umschauen, und Icerocket hat sich als die beste Lösung herausgestellt. Allerdings ist die Arbeit dadurch schwieriger geworden.
Wieso?
Technorati hat einen Authority-Wert für alle Blogs ausgespuckt, also eine Toplist der Blogs nach der Zahl ihrer Links. Den gibt es bei Icerocket nicht, ich muss die Blogs manuell zusammensuchen und ordnen. Ich muss ständig schauen, dass mir keine Blogs durch die Lappen gehen. Dementsprechend kann ich nicht garantieren, dass die Top 100 zu 100% vollständig sind, aber dafür zu mindestens 98% oder 99%
Seit Beginn der Blogcharts haben insgesamt drei Blogs an der Spitze gestanden. Wie erklärst du dir deren Erfolg?
Es gab das Bildblog, dann Basic Thinking und dann Netzpolitik, Spreeblick ist immer ganz knapp daran vorbeigeschrammt. Bildblog war lange Zeit dominierend und vielleicht das erste Blog überhaupt, das über die Blogszene hinaus bekannt wurde, weil es ein sehr brisantes Thema hatte. Da kommen ein paar Blogger und kritisieren die Bild-Zeitung. Dann gab es den Basic-Thinking-Hype. Robert Basic wurde die populäre Figur in der Blogszene und zu einem kleinen Medien-Darling. Und bei Netzpolitik war es ganz klar die Entwicklung im letzten Jahr, als durch die Zensursula-Debatte und die verschiedenen Petitionen netzpolitische Themen extrem populär wurden und das Thema dementsprechend logischerweise auf Platz Eins gekommen ist.
Blogs sind nach vorherrschener Meinung schwer bis gar nicht zu refinanzieren. Was ist dein Eindruck, wovon die Blogger in den Blogcharts größtenteils leben?
Ich würde sagen, Blogger, die ausschließlich davon leben können, gibt es kaum, in den Blogcharts sind es vielleicht zwei, drei. Im Normalfall sind es Leute, die einen Beruf haben, der nicht Blogger lautet. Es gibt sicherlich eine beachtliche Zahl an Freiberuflern, die ihr Blog als Eigen-Promotion-Plattform verstehen und damit Aufträge für ihren eigentlichen Job heranziehen.
Wie hoch ist dein eigener Aufwand für die Deutschen Blogcharts?
Normalerweise sind es drei bis fünf Stunden pro Woche. Allerdings habe ich ungefähr einmal pro Monat mehr Aufwand. Dann recherchiere ich ausführlich, ob Blogs in meiner erweiterten Liste fehlen, die vielleicht demnächst in die Top 100 einsteigen könnten. An solchen Tagen geht der Aufwand durchaus auf zehn, zwölf Stunden hoch.
Gibt es Versuche, auf dich Einfluss zu nehmen? Immerhin ist das, was du machst, für viele Blogger sehr wichtig …
Du meinst Bestechungsversuche? Gab’s keinen einzigen bisher. Weder von Unternehmen noch von Bloggern, die mir ein Bier ausgeben wollten.
Screenshot Deutsche Blogcharts
Reden wir über Backlinks, das Kriterium der Deutschen Blogcharts. Wieso streben Blogs überhaupt nach Links, was ist deren Wert?
Letztlich ist ein Link nichts anderes als eine Empfehlung. Aber es ist ein extrem wichtiges Kriterium, um im Internet wahrgenommen zu werden. Wenn jemand mein Blog empfiehlt, ziehe ich alleine durch diese Empfehlung neue Leser und neue Besucher an. Und je mehr Backlinks ich habe, desto besser werde ich bei Google und anderen Suchmaschinen gerankt. Dementsprechend werden auch da nach und nach meine Zugriffe steigen.
“Ich will mich nicht zu sehr einmischen und sagen, das ist ein guter Link, und das ist ein böser Link, den werte ich jetzt nicht.”
Sanktionierst du manchmal Links? Laut deinem Blog hast du das zumindest in der Vergangenheit bei einigen Vernetzungsaktionen getan.
Vor zwei Jahren waren Blogparaden große Mode, und da gab es welche, bei denen es Zwang war, dass man in seinem Blogeintrag nicht nur das Ursprungsblog, das den Aufruf enthielt, verlinkt, sondern auch alle anderen teilnehmenden Blogs. Aber das war ein Ausnahmefall. In jüngerer Zeit gibt es solche Sanktionen nicht mehr. Das einzige Kriterium ist letztlich, ob die Verlinkung freiwillig geschieht oder nicht. Ich will mich nicht zu sehr einmischen und sagen, das ist ein guter Link, und das ist ein böser Link, den werte ich jetzt nicht.
Seit 2007 ist die durchschnittliche Zahl der Verlinkungen stark zurückgegangen. Das zeigt sich etwa an der Mindest-Zahl an Backlinks, die für einen Einstieg in die Blogcharts erforderlich sind, noch stärker ist der Effekt bei der Spitzenposition. In einem Blogeintrag hast du vermutet, dass es vor allem an Twitter liegt. Was macht Twitter?
Kleine Empfehlungen sind teilweise aus den Blogs in Richtung Twitter oder auch Facebook abgewandert. Das ist eine viel schnellere und direktere Möglichkeit, einen Blogeintrag, den man gelesen hat und gut findet, zu empfehlen. Man muss nicht extra einen Blogeintrag schreiben, sondern haut einfach seine 140 Zeichen raus: „Lesen! Super Blogeintrag“.
Und andere Faktoren?
Mein Gefühl sagt mir, dass es weniger Blogs gibt als noch vor ein paar Jahren. Aber das lässt sich nicht mit Zahlen belegen, weil es höchst kompliziert ist, die Zahl der deutschen Blogs zu erheben.
Blogs sind unterschiedlich erfolgreich, was das Aggregieren von Links betrifft. Was sind deinem Gefühl nach die wichtigsten Faktoren für Links?
Zum einen muss die Thematik passen. Jemand, der über extrem nischige Sachen wie die neuesten Entwicklungen in der Feuerwehrbranche schreibt, hat deutlich geringere Chancen, in die Charts zu kommen, als jemand, der sich mit Mainstreamthemen der Blogger beschäftigt. Deswegen sind so viel Technik- und Gadgetsblogs in den Charts. Zum anderen ist es wichtig, dass regelmäßige Inhalte da sind, dass nicht alle paar Wochen, sondern möglichst täglich gebloggt wird, am besten noch mehrfach täglich. Je mehr Blogeinträge da sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass einer verlinkt wird.
Die reine Quantität der Artikel spielt also eine große Rolle …
Es muss nicht wichtig sein, aber es kann. Es gibt genügend Beispiele dafür, dass auch Blogs mit wenigen Einträgen populär werden können. Die Wahrscheinlichkeit, viel verlinkt zu werden, ist aber durchaus höher, wenn man mehr veröffentlicht – vorausgesetzt, dass diese vielen Blog-Beiträge nicht nur langweiliger, schlecht formulierter Schrott sind.
Mein Eindruck ist, dass das ursprüngliche One-Man-One-Blog-Modell in den deutschen Blogcharts nicht mehr so dominant ist, weil mehr Blogger mehr Artikel schreiben können und das mehr oder weniger linear auch zu mehr Links führt. Welche Bedeutung hat Kooperation innerhalb von Blogs?
Früher waren die meisten oder fast alle Blogs Ein-Mann-Geschichten, bei denen hinter jedem Blog genau ein Blogger stand. Wenn mehrere Blogger beteiligt sind, bringt das aber große Vorteile. Will man als Einzel-Person zehn Blogeinträge pro Tag produzieren, ist das viel mehr Aufwand als wenn man zehn Leute hat, die jeweils einen schreiben.
Wenn man die beruflichen Hintergründe der großen Blogger betrachtet, finden sich überdurchschnittlich viele Journalisten. Da könnte man zu der These kommen, dass ein professioneller journalistischer Hintergrund auch ein guter Faktor für viele Links ist.
Das ist durchaus ein Kriterium. Journalisten haben den Vorteil, dass sie seit jeher gelernt haben, sich auszudrücken und dass sie Themen haben, mit denen sie sich sehr gut auskennen. Wenn sie darüber bloggen, ist das ein Vorteil gegenüber Leuten, die einen ganz anderen Job haben und das nur rein in ihrer Freizeit als Hobby betreiben.
Dann tauchen in den Blogcharts aber auch immer wieder private Blogs auf, die mit geplanten oder ungeplanten Vernetzungsaktionen sehr viele Links eisammeln, wie etwa das Foto-Projekt 52 von Mondgras oder die wöchentliche Umfrage Freitags-Füller von Scrapbooking Online.
Es gibt gerade in der Kreativ-Blog-Szene, bei Bastelblogs und so weiter, enorm viele Blogs, die einmal pro Woche oder pro Monat eine Aktion haben, bei der sie alle teilnehmenden Blogger aufrufen, kreativ zu sein. Das Ergebnis wird dann in beiden Blogs präsentiert und verlinkt. Dadurch gibt es einen hohen Verlinkungs- und Vernetzungsgrad innerhalb dieser Kreativ-Blog-Szene.
Gerade diese Vernetzungs-Aktionen und auch Verlosungsaktionen sind im Grunde genommen extrem effizient …
Es ist eine einfachere Möglichkeit, populär zu werden als über Jahre hinweg regelmäßig qualitativ hochwertige Inhalte zu liefern. Vor allem für kleine Blogs erscheint das auf den ersten Blick sehr attraktiv.
Wie erklärst du dir, dass gerade diese effizienteren Strategien nicht auch von den großen Blogs gewählt werden?
Weil es einfach nicht passt. Ich würde eine Blogparade bei Carta oder eine Verlosung bei Netzpolitik sehr seltsam finden. Die Ausrichtung dieser Blogs ist eine ganz andere. Außerdem kann es mit dieser Popularität schnell zu Ende gehen, wie man zum Beispiel am Druckereiblog (***) gesehen hat. Am Ende kommt es dann doch auf kontinuierlich gute Inhalte an.
(*) Anhand einer Stichprobe ermittelte die Sozialwissenschaftlerin Franka Hesse im Jahr 2006 für Tagebuchblogs einen Anteil von 63% an der Gesamt-Blogosphäre. (s Hesse, S. 7) Eine noch stärkere Dominanz (71%) ermittelte Susan Herring 2003 für US-Blogs. (s. Herring, Abb. 3)
(**) Im Sample des Kommunikationswissenschaftlers Jan Schmidt (2005) wurden 45% der Blogs von Frauen verfasst, bei Einzelblogs in den Blogcharts waren es nur 20% (s. Schmidt, S. 79) In der Stichprobe von Hesse waren sogar 66% weiblich im Gegensatz zu nur 30% in den Top 100 des Blogcharts-Vorgängers Blogstats. (s. Hesse, S. 6)
(***) Das Druckereiblog ist ein Paradebeispiel für die Wirkung von gezielten Verlinkungs-Aktionen: Es hatte in einer „Verlosung“ jedem Teilnehmer für einen Backlink drei Wandkalender als Preis zugesichert, mehrere hundert Blogger haben sich daran beteiligt. Das Blog, der insgesamt weniger als zehn Artikel veröffentlicht hat, war von Dezember 2009 bis bis Juni 2010 in den Deutschen Blogcharts vertreten. Teilweise stand er auf Rang 13, also noch vor großen Blogs wie dem Netzökonomen oder Netbooknews. Doch als nach 26 Wochen die Links verfallen waren, verschwand der Blog innerhalb von zwei Wochen aus den Blogcharts.
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Schlagwörter: Interview, Jens Schröder, weblogs
8 comments
danke für das interview; sehr interessant.
eine rumgemäkel muss aber sein: die genanntenstudien am ende sind von 2005 bzw. 2006. haben also bei der geschwindigkeit, in der sich das netz entwickelt, nur noch historische aussagekraft.
Thanks an icke.
Ich geb dir voll und ganz Recht. Doch leider hat es seitdem keine wissenschaftlich solide Studie zur deutschen Gesamt-Blogosphäre mehr gegeben. Traurig, aber wahr.
Allerdings sind 4-5 Jahre alte Studien nicht zwangsläufig überholt, selbst nicht in der Netz-Zeitrechnung. Der Long Tail von Blogs ist weiterhin von Tagebuch-artigen Blogs und Autorinnen dominiert, die Blogcharts hingegen sind immer noch meistens Fach- und Journalisten-Blogs, die von Männern geschrieben werden.