Auto ummelden, Pass verlängern oder Kindergeld beantragen: Behördengänge mag niemand. Denn persönliche Besuche beim Amt und Warteschlangen nerven genauso wie manche Angelegenheiten nur per Brief oder Fax erledigen zu können. Die Verwaltung zu digitalisieren, kommt hierzulande nur schleppend voran. Dabei ließe sich E-Government schneller umsetzen als viele glauben, davon ist Thomas Langkabel überzeugt. Der Technologie-Experte von Microsoft hat eine Vision: Bürger müssen sich nicht mit Ämtern rumärgern, sondern lassen dies Chatbots erledigen. Was Künstliche Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung bewirken kann und warum ein Mentalitätswandel noch wichtiger ist als neue Technik, erklärte Thomas Langkabel im Netzpiloten-Interview am Rande der Digitalkonferenz Microsoft Explained in Berlin.
Netzpiloten: Was kann Künstliche Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung mir persönlich als Bürger bringen?
Thomas Langkabel: Derzeit sind Behördengänge oft mühselig, weil Bürger sich viele Fragen stellen müssen: Welche Behörde ist zuständig? Auf welchem Weg muss ich sie kontaktieren? Welche Angaben und Dokumente muss ich bereithalten? Das ließe sich drastisch vereinfachen, wenn Cortana oder ein anderer intelligenter digitaler Assistent alles Nötige automatisch mit den zuständigen Behörden-Chatbot klärt.
Das klingt nach Science-Fiction. Wie soll sich das in naher Zukunft umsetzen lassen?
Die Idee ist nicht so weit hergeholt. Bund und Länder stellen derzeit die Weichen für einen Portalverbund im Internet. Damit wird es möglich sein, dass Bürger auf nur einer Webseite alle Behördenangelegenheiten erledigen, egal welche Anlaufstelle in welchem Ort zuständig ist. Zur Idee gehört auch, dass jeder Bürger einen Datensafe hat und entscheiden kann, ob und welcher Behörde er Zugriff darauf gibt. Denkt man das weiter, ist der Schritt nicht weit zu meinem persönlichen digitalen Assistenten, der Zugang zu meinem Datensafe und meinen Outlook-Kalender hat und für mich beim Behördenportal die Verlängerung meines Reisepasses erledigt.
Wie würde so ein Vorgang in der Praxis konkret ablaufen?
Denkbar ist, dass der intelligente Assistent weiß, dass ich bald ins Ausland verreise, dafür einen Reisepass benötige und dieser vorher abläuft. Der Assistent weißt mich darauf hin und fragt um Erlaubnis, ob er alles für die Verlängerung in die Wege leiten soll. Dann ermittelt er das zuständige Amt und „bespricht“ sich dort mit dem Chatbot. Der Bot „beschreibt“ Cortana den Prozess und teilt mit, dass ich einen persönlichen Termin und ein aktuelles Passbild brauche. Cortana wiederum weiß, wann ich Zeit habe und verhandelt mit dem Bot online eine Terminabsprache aus. Das alles könnte ich als Bürger erledigen, in dem ich mit nur einem Wort meiner Künstlichen Intelligenz erlaube, alles vorzubereiten. Wie schön und einfach wäre das bitte?!
Warum braucht es für solche Modernisierungsmaßnahmen eigentlich Künstliche Intelligenz, also selbstlernende Algorithmen, warum reicht nicht „normale“ Software?
Weil es das Ziel sein muss, dass ich die Wünsche mit natürlicher Sprache äußere und nicht formelhafte Kommandos auswendig lernen muss. Ich möchte sagen können: „Ich brauche eine Baumfällgenehmigung“ oder „Ich möchte einen Baum fällen“. Dann soll der intelligente Assistent wissen was zu tun ist, selbst wenn diese Erlaubnis einen ganz anderen amtlichen Namen hat.
Und Sie wollen darauf hinaus, dass Künstliche Intelligenz eben sehr gut beim Erkennen von Zusammenhängen sein kann?
Genau, die Software muss komplexe semantische Zusammenhänge entschlüsseln und wissen, was ich meine, auch wenn ich etwas Anderes sage. Das geht mit Künstlicher Intelligenz viel besser als mit herkömmlicher Software.
Das Beispiel, das Sie schildern, beinhaltet noch viele Detailprobleme. Zum Beispiel müsste ich wirklich alles im Outlook-Kalender eintragen, sonst legt mir Cortana den Behördentermin vielleicht auf ein Zeitfenster, an dem ich mich mit meinem Freund Peter treffen möchte, ohne dass dies im Kalender steht.
Natürlich gibt es noch Herausforderungen. Ich skizziere letztlich eine Vision, keinen Plan, der fertig in der Schublade liegt. Aber in einer idealen Welt ist der intelligente Assistent so auf mich bzw. meine Lebensrealität trainiert, dass er auch dann meine Verhaltensweisen mit hoher Wahrscheinlichkeit vorausplant, ohne dass ich sie schriftlich festhalte. So eine enge Verzahnung von Alltag und Technologie mag zwar für manche erschreckend klingen. Aber wenn es mir persönlich hilft, halte ich so eine Entwicklung für legitim.
Dass Privatnutzer technologisch gewappnet sind, ist das eine. Damit ihre Vision real werden kann, müsste man auf der anderen Seite Künstliche Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung flächendeckend einführen. Das geht doch nicht von heute auf morgen.
Ja, so eine Entwicklung geht nicht schlagartig. Aber sie ist auch keine Zukunftsmusik mehr. Es geht schon los! So testet die Stadt Bonn bereits den ‚Botty Bonn‘ als Chatbot, über den Bürger per Smartphone Auskünfte von der Verwaltung erhalten, andere Beispiele entstehen bereits in Krefeld oder dem Landkreis Lüneburg. Das sind alles bereits gute Ansätze, aber noch wichtiger als einfach nur Künstliche Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung einzuführen, ist, dass sich auch strukturell etwas in der Verwaltung ändert.
Was meinen Sie damit?
Es geht mir um drei Aspekte. Erstens muss die Verwaltungsausbildung generell reformiert werden. Statt ausschließlich Verwaltungsjuristen, die sich im Paragraphendschungel perfekt auskennen, bräuchten wir auch Personal, das sich mit der Entwicklung von Verwaltungsstrukturen beschäftigt und Prozesse eigeninitiativ hinterfragt.
Zweitens muss die Innovationsfreude gestärkt werden. So wie in der der Wirtschaft der Wettbewerb die Entwicklung antreibt, könnte man in der öffentlichen Verwaltung die Zufriedenheit von Bürgern erheben, vergleichen und hinterfragen, warum sie hier besser ist als dort.
Und drittens müssen Verwaltungen dazu übergehen, Anreize für Verhaltungsänderungen von Bürgern zu setzen. Es reicht nicht einfach, digitale Angebote einzuführen, sie müssen auch beworben werden. Das Maß der Digitalisierung wird häufig nur am Vorhandensein einzelner Angebote gemessen, aber nicht an ihrer tatsächlichen Nutzung. Wir brauchen nicht nur Open Government Data, sondern Open Government Performance Data.
Das setzt einen Mentalitätswandel in der öffentlichen Verwaltung voraus, der häufig noch viel länger dauert als technologische Innovation. Wie lässt sich das erreichen?
Das ist eine Frage des politischen Willens. Sowas passiert nicht von selbst. Zwar glauben manche, dass man bloß warten muss, bis die Generation der Digital Natives im Verwaltungspersonal ausreichend vertreten ist. Aber das halte ich für zu kurz gedacht. Es gibt nämlich auch viele Skeptiker in dieser Alterskohorte. Daher ist es kein generationskulturelles Problem, sondern ein strukturelles Problem, dass nur durch neue Ausbildungsinhalte angegangen werden kann. Aber das System wird sich nicht von selbst reformieren. Daher muss die Politik ran.
Wie lange würde so eine Reform benötigen, bis sie greift?
Angenommen, wir fangen jetzt an, würde es mindestens drei bis vier Jahre dauern, bevor überhaupt eine Modernisierung jenseits von vereinzelnden und daher insgesamt wenig wirksamen Projekten zu spüren ist, weil solange eben die Verwaltungsausbildung dauert. Ein flächendeckender Impact durch einen Mentalitätswandel kann sogar zehn bis 15 Jahre erfolgt sein – sofern wir jetzt anfangen.
Und wann könnte Cortana für mich Termine vereinbaren?
Wenn alle Beteiligten das wollten, ließe sich Künstliche Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung innerhalb von drei bis vier Monaten einführen. Die technische Infrastruktur ist nämlich gar nicht das Problem, weil die meiste Rechenleistung in der Cloud liegt. Man bräuchte also keine neue Hardware, sondern nur harten Willen dafür.
Vielen Dank für das Gespräch.
Über Thomas Langkabel, National Technology Officer bei Microsoft Deutschland
Thomas Langkabel verantwortet seit 2011 die Technologie-Entwicklung und -Strategie bei Microsoft Deutschland. Cloud Computing, Digitale Transformation und E-Government gehören zu seinen Schwerpunktthemen. In diesem Zusammenhang spricht er auch über Künstliche Intelligenz in der öffentlichen Verwaltung. Thomas Langkabel arbeitet in seiner Rolle auch in verschiedenen Gremien in Verbänden und Institutionen, wie etwa dem Arbeitskreis „Digitale Verwaltung“ des BITKOM oder den Arbeitsgruppen „Innovativer Staat“ und „Ethik“ der Initiative D21. Der diplomierte Ingenieur der Luft- und Raumfahrttechnik diente vor seinem Wechsel in die IT-Beratung als technischer Offizier der Luftwaffe.
Dieses Interview entstand in Zusammenarbeit mit Microsoft.
Images by Berti Kolbow-Lehradt
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Was mich bei der ganzen Diskussion immer wieder stört ist das vermengen von der Interaktionsproblematik, also dem UI und den digitalen Services wie z.B. die Möglichkeit ohne einen physikalischen Behördengang einen Pass zu verlängern. Natürlich braucht es Machine Learning, welcher Art auch immer um Sätze auseinander zubauen und den Wunsch des Menschen zu verstehen. Auf einem Smartphone oder im Auto macht auch ein Sprachinterface vielleicht Sinn oder wenn man den Timer starten will. Aber komplexe Dialog sind auf vielen Geräten, die wir im allgemeinen Computer nennen, schneller. In einem gut gestalteten Behördenportal wurde ich schneller die richtige Anwendung finden, als über einen Chat Bot der erst einen Komplexen Dialog zur Disambiguierung meines Wunsches führen muss. Aber wie gesagt ein situatives Interaktionsproblem (und wer kenn nicht die Tricks die Telefondialogsystem zu umgehen). Was aber so oder so benötigt wird sind Services die Funktionen zugänglich machen. Auch Cortana oder Siri greifen auf die gleichen Services zu, in den ich sonst das Wetter auf einen Web Siete betrache, oder halt die Eieruhr Funktion im Rechner. Solange diese von Behörden nicht zur Verfügung gestellt werden kann noch so viel KI den Chat Bot steuern, Also bitte die Themen Interakton und Services nicht vermengen, wie es bei Hype Themen immer gerne getan wird. Wobei ich natürlich auch nichts dagegen habe, wenn diese Services durch Hype Themen entstehen, die Gefahr ist allerdings dass UI und Service dann wieder derart verklebt wird, dass ein alternative Interaktionspattern nicht mehr möglich sein werden,