Eingelullt vom anhaltenden Verkaufserfolg des iPhones hat sich Apple schon seit einer Weile bequem zurückgelehnt. Bei den großen Tech-Trends gaben zuletzt Google, Facebook, Amazon und Microsoft den Takt vor. Nun ist Apple offenbar aus seiner Duldungsstarre hochgeschreckt. Auf der viel beachteten Entwicklerkonferenz WWDC 2017 hat der Konzern jede Menge Neuerungen in Sachen Künstliche Intelligenz (KI), Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), Mobile Computing sowie Heimvernetzung vorgestellt.
Apple erscheint damit spät zur Party und sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, in blindem Aktionismus lauter „Me too“-Produkte rauszufeuern. Doch die Neuerungen sind für meinen Geschmack klug und gezielt gewählt. Und angesichts der Sogwirkung von Apples Ökosystem und den Finanzreserven des Unternehmens könnte es Apple abermals gelingen, zum richtigen Zeitpunkt diffuse Trends reif für den Massenmarkt zu machen. Meine Einschätzung zu den Neuerungen der WWDC 2017.
Zukunftsthema 1 – HomePod und Siri: Künstliche Intelligenz, die gut klingt
Wie von der Gerüchteküche vor der WWDC 2017 erwartet, betritt jetzt auch Apple die Bühne der vernetzten Lautsprecher. Mit dem HomePod erscheint zum Jahresende ein Soundsystem, dass nicht nur auf Sprachbefehle reagiert, sondern auch gut klingen soll. Dabei legt Apple viel Wert auf hochwertigen Sound, der sich wie bei den populären Sonos-Lautsprechern auch noch automatisch an die Raumverhältnisse anpasst. Ganz im Gegensatz zu Amazon, dessen Echo-Lautsprecher Musikliebhaber bisher nicht überzeugt.
Gleichzeitig soll der HomePod nicht weniger smart als die Konkurrenz sein. In Verbindung mit Apples Sprachassistent Siri sowie einem Abo bei Apple Music können Nutzer dem Lautsprecher ihren Musikgeschmack beibringen, News und Sportergebnisse abfragen sowie vernetzte Heim- und Haushaltsgeräte steuern.
Mit 350 US-Dollar ruft Apple einen deutlich höheren Preis als die smarten Lautsprecher-Wettbewerber auf. Wenn der HomePod so gut klingt und so intelligent funktioniert, wie Apple verspricht, dürfte er jedoch eine Marktlücke schließen und viele Käufer finden. Während Amazon mit seiner KI namens Alexa durch Lizenzpartner auf Breitenwirkung setzt, könnte ein Verkaufserfolg von Apples Siri-Lautsprecher HomePod hingegen den Qualitätswettbewerb bei smarten Lautsprechern vorantreiben.
Siri lernt und lernt
Um von Apples Fortschritten bei Künstlicher Intelligenz zu profitieren, müssen viele Nutzer von Apple-Geräten keinen Eurocent ausgeben. Wenn im Herbst die neue Version von Apples mobilen Betriebssystem iOS 11 als kostenloses Update erscheint, sind auch diverse neue Fähigkeiten von Siri an Board. So soll Apples KI dank maschinellen Lernverfahren die Interessen der Nutzer automatisch immer besser verstehen und die Bedienung zum Beispiel in den Apple eigenen Programmen Safari, Mail und Nachrichten durch passende Vorschläge beschleunigen.
Insofern verfolgt Apple einen breiteren Ansatz als etwa Google, das KI-Technologie bisher vor allem im Foto-Bereich anwendet. Angesichts der großen Nutzerbasis von iOS dürfte Apples Vorstoß den Einsatz von Künstlicher Intelligenz stärker im Alltag einer breiten Masse verankern. Bewusst wahrnehmen wird diese das jedoch vermutlich nicht. Ob nun KI-Algorithmen oder andere Rechenoperationen zum gewünschten Ergebnis führen, dürfte den Nutzer herzlich egal sein.
Zukunftsthema 2 – Augmented oder Virtual Reality? Apple macht einfach beides
Mit dem Erfolg von Pokémon Go ist Augmented Reality schlagartig zu einem Hype-Thema geworden. Trotzdem ist die durch computergenierte Objekte erweiterte Realität bisher ein Nischenthema geblieben. Es gibt viel zu wenige AR-Apps und eine große, einheitliche Technologie-Plattform, die App-Entwicklern das Thema schmackhaft macht, fehlte bislang ebenfalls. Aus dem Nichts könnte Apple AR-Anwendungen nun massentauglich machen.
Mit der Entwicklersoftware namens ARKit sollen es Programmierer nun einfacher haben, AR-Apps fürs iPhone und iPad zu entwickeln. Den Präsentationen auf der WWDC 2017 nach zu urteilen, wird es dabei weiterhin vorrangig um Spiele und Möbel-Apps gehen.
Was die Art der Inhalte angeht, sind von Apple keine unwiderstehlich neuartigen Inspirationen zu erwarten. Der Zauber liegt vielmehr abermals in der großen Nutzerbasis von iOS. Das bestehende iPhone oder iPad ließe sich ganz einfach weiterhin nutzen, neue Hardware müsste niemand kaufen. Zumal bisher weit und breit keine sozial akzeptablen AR-Brillen verfügbar sind. Wer will schon den ganzen Tag mit einer Microsoft HoloLens herumlaufen. Und anders als bei Googles Project Tango müssten iOS-Entwickler ihre Apps auch nicht für dutzende verschiedene Smartphone-Modelle anpassen. Die Chancen für eine weitere Verbreitung von AR-Anwendungen auf iPhone und iPad stehen daher gut.
Virtual Reality kommt auf den Mac
Alles spricht dafür, dass Apple in Augmented Reality größeres Potenzial sieht als in Virtual Reality. Trotzdem setzt das Unternehmen nicht alles auf eine Karte. Während VR-Brillen bisher nur mit Windows-Rechnern und Spielekonsolen kompatibel waren, arbeitet das neue Mac-Betriebssystem macOS High Sierra ab Herbst mindestens auch mit einer HTC Vive zusammen. Zudem sollen überarbeitete Grafikschnittstellen und bessere Mac-Hardware die Programmierung von VR-Anwendungen erleichtern.
Apples später VR-Vorstoß ist ein Schritt in die richtige Richtung und stärkt die generelle Bedeutung des Mac als Anwendungsplattform. Dennoch scheint mir die Prognose hier nicht so günstig wie bei AR. Die Anschaffungskosten für VR-fähige Macs und -Brillen bleiben hoch. Und viele Nutzer tauschen die langlebigen Mac-Rechner nur in größeren Intervallen aus. Den Mac als VR-Spielwiese mit großem App-Angebot kann ich mir daher frühestens mittelfristig vorstellen. Hier dürften Windows, Xbox und PlayStation weiterhin die Nase vorn behalten.
Zukunftsthema 3 – Das iPad Pro wird ein immer besserer mobiler Computer
Mit den Surface-Geräten hat Microsoft klug auf den „New Work“-Trend hin zu ortsunabhängigen Arbeiten und zur Vermischung von Arbeit und Freizeit aufgesattelt. Wie Microsoft mit Windows 10 ein Desktop-Betriebssystem in einen Tablet-Formfaktor integriert hat, ist schon clever. So lassen sich im Windows-Lager praktische 2-in-1 Geräte konzipieren, während Apple weiterhin noch zwischen MacBook und iPad trennt.
Das rechenstarke iPad Pro mit passendem Digitalstift Apple Pencil war eine sinnvolle Annäherung an aktuelle Nutzungsszenarien. Aber einen Desktop-Computer kann das Apple-Tablet trotz aller PR-Prosa nicht ersetzen. Das lag vor allem am mobilen Betriebssystem iOS, das seine Wurzeln in der minimalistischen Touch-Bedienung hat. Unter Windows alltägliche Arbeitsfunktionen gingen lange Zeit einfach nicht. Bisher. Mit iOS 11 reicht Apple diese Features endlich nach.
Drag-and-Drop, ein Dateibrowser, ein individualisierbares App-Dock für häufig genutzte Apps – das sind für sich genommen sehr subtile Neuerungen, die das iPad Pro (nicht nur das neue mit 10,5-Zoll-Diagonale) zu einem einfach zu bedienenden Arbeits- und Kreativrechner machen. Diese Verbesserungen halte ich für bedeutender als die aufgebohrte Hardware, die Apple ebenfalls dem iPad Pro spendiert.
Wie sehr die speziellen Arbeitsfeatures in iOS 11 auf dem iPad Pro die eigene Produktivität in der Praxis wirklich steigern, wird ein Test zeigen müssen. Zumindest auf dem Papier ist die Entscheidung zwischen einem iPad Pro und einem Surface Pro wieder ein Stück ausgeglichener und damit schwieriger geworden.
Zukunftsthema 4 – Wieder ein wenig mehr Liebe für die Profis
Nicht alles, wo Pro draufsteht, macht einen Profi richtig glücklich. Der Ärger der Community über das leistungsmäßig nicht sehr imposante MacBook Pro 2016 war groß. Entwickler und Filmemacher mit sehr großem Hardware-Hunger stört auch, dass das Mac Pro seit 2013 nicht erneuert wurde. Endlich scheint Apple diese Kundengruppe erhört zu haben. Mit dem ab Jahresende erhältlichen iMac Pro präsentiert Apple einen sehr leistungsstarken und ausbaufähigen Rechner für High-End-Ansprüche, für den rund 5.000 US-Dollar fällig werden. Auch die iMacs ohne „Pro“-Namenszusatz werden gehörig aufgebohrt.
Dass Apple sich endlich wieder nicht nur mehr auf die lukrative Mobil-Sparte konzentriert, betrachte ich als ein vielversprechendes Signal. Nach wie vor schätzen viele Anwender den Mac in erster Linie als stabile und verlässliche Plattform für produktives und kreatives Arbeiten. Würden diese enttäuscht zu Windows wechseln, könnte darunter die Beliebtheit der gesamten Apple Produktpalette leiden. Schließlich sind Macs eine starke Säule in Apples Ökosystem. Fällt diese weg, würde auch die Nutzung von iPhones und iPads weniger Mehrwert bieten. Schließlich ist die gute Verzahnung doch ein wichtiger Vorteil gegenüber anderen Betriebssystemen.
Fazit WWDC 2017: Apples Zukunft ist vernetzt, virtuell und künstlich intelligent
Auf der WWDC 2017 hat Apple richtig abgeliefert. In der inhaltlich vollgepackten Keynote hat das Unternehmen bewiesen, dass es doch noch kluge Ideen hat, wenn es einmal nicht um den größten Umsatzbringer, das iPhone geht.
Ein Konzept, wie Apple auf AR und VR zu setzen plant, war überfällig. Insbesondere die AR-Plattform ARKit könnte sich als Coup erweisen. Der vernetzte Lautsprecher HomePod klingt auf dem Papier unverschämt teuer, aber auch richtig vielversprechend. Die neuen KI-Funktionen wirken deutlich praxisrelevanter als das, was viele andere Software-Entwickler derzeit mit dem Buzzword KI verknüpfen. Dass Apple professionelle Kreativanwender nicht nur mit Tablets, sondern auch wieder mit hochgerüsteten iMacs ansprechen möchte, ist ebenfalls begrüßenswert. Mit den Neuerungen in iOS 11 und dem überarbeiteten iPad Pro scheint Apple auch im Bereich Mobile Computing sehr gut aufgestellt.
Keine einzelne Neuerung auf der WWDC 2017 ist im engeren Sinn revolutionär. Apple knüpft an Trends an, die andere aufgestellt haben. Verwerflich finde ich das nicht. Ein wesentlicher Faktor für Apples Beliebtheit, ist die Fähigkeit, ausgereifte und stabile Produkte zu liefern. Behutsame Produktpflege (über viele praktische Detailneuerungen bei macOS und iOS habe ich hier noch gar nicht geschrieben) ist vor diesem Hintergrund viel wichtiger als hastig aufgegriffene Hypes. Sinnvoll ins Ökosystem integriert, könnten gerade Augmented Reality und der HomePod echte Knaller werden. Dass Apple spät auf der Party erscheint, ist nicht schlimm. Hauptsache, es ist endlich von seinem iPhone-Rausch aufgewacht.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Applepiloten.
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