Ist die E3 am Ende? 3 Gründe für den Fall der Gaming-Messe

Über viele Jahre war die E3 das Nonplusultra der Gaming-Messen. Über Jahrzehnte war die Messe DER Ort, wo Entwickler und Pressevertreter aller Länder zusammenkamen. Doch dann kam Corona und plötzlich scheint die E3 am Ende. Doch war es wirklich nur Corona oder war die E3 nicht bereits vorher angeschlagen?  

Während wir kürzlich in Hamburg die OMR mit 70.000 Besuchern aus allen Rohren gefeuert hat, wurde die E3 für dieses Jahr ersatzlos abgesagt. Wir schauen uns die Situation genauer an. Was ist die letzten Jahre passiert, was hat sich um die Messe herum geändert und möchte die E3 überhaupt noch stattfinden?

Die E3 – Das Zentrum der Neuvorstellungen

Auch unabhängig der Spieleindustrie, sind Fachmessen der ideale Ort neue Produkte vorzustellen. So gibt es auf der Mobilitätsmesse IAA die Mobilitätskonzepte von morgen und bei der Internationalen Funkausstelung IFA die neuesten Produkte der Unterhaltungs- und Gebrauchselektronik. Videospiel-Neuheiten waren früher eher Teil allgemeiner Elektronik- oder Computer-Messen. Das änderte sich, als 1995 die E3 in Los Angeles auf den Plan trat. Mit 40.000 Besuchern war die E3 schon im ersten Jahr die größte Messe der Videospiel-Industrie.

Die ersten Jahre waren nicht nur erfolgreich. Man versuchte eine eigene E3 in Japan, die wegen mangelnde Unterstützung japanischer Hersteller ziemlich floppte. Auch der zwischenzeitliche Umzug der Messe nach Atlanta lief nicht gut und ließ die E3 bald wieder zurück nach Los Angeles ziehen.

Trotzdem festigte E3 ihre Position als wichtigste Fachmesse. Dabei limitierte sie die Besucherzahl zwischenzeitlich bewusst auf 10.000 in 2007 und 5.000 in 2008. Zuvor äußerten die Aussteller Unmut über die immer größere Anzahl an Bloggern und weiteren Teilnehmern, die in der Industrie nicht als „Professionals“ angesehen wurden. Bei den hohen Standgebühren fürchteten sie, dass diese Teilnehmer sich negativ auf ihre Sichtbarkeit für die wirklich wichtigen Fachbesucher auswirken. Für diese sehr exklusiven Events kassierte die E3 auch mächtig Kritik und ruderte anschließend wieder zurück.

Bis zu Pandemie blieb die E3 ein wichtiges Zentrum der Gaming-Industrie. Trotzdem strauchelte die Messe auch schon vorher. Dafür gibt es nicht nur einen, sondern gleich eine Vielzahl an Gründen.

3 Gründe, warum die E3 am Ende ist

Aufstieg der Influencer

Haben wir nicht gerade geschrieben, dass man zwischenzeitlich die Blogger nicht auf der E3 sehen wollte? Quasi die ersten Influencer der digitalen Welt? Das entlockt irgendwie ein bitteres Schmunzeln. Gut 15 Jahre später hat sich die Situation nämlich komplett umgedreht. Let’s Plays machten Gamer zu einige der größten YouTube-Kanäle und der E-Sport-Markt boomt. Influencer sind jetzt der „heiße Shit“ und der Spiele-Journalismus schaut in die Röhre.

Aus Publisher-Sicht für mich völlig verständlich. Influencer haben als Einzelperson eine riesige Reichweite und einen viel größeren Einfluss. Der Einfluss einer einzelnen Person ist dabei mitunter größer als der eines ganzen Magazins auf die Kaufentscheidung. Außerdem sind die Publisher weniger abhängig von einer Wertung. Ein Let’s Player muss das Spiel nur unterhaltsam präsentieren, dann passt es schon.

Electronic Arts hatte mit Apex Legends auch einen riesigen Erfolg, als sie den Free to Play-Titel ganz ohne irgendwelche Ankündigungen releast haben. Dafür hatten sie jede Menge Battle Royale-erfahrene Twitch-Streamer an Bord, die alle zum Release genau diesen Titel spielten und damit Twitch völlig dominierten. Die Presse kam durch dieses Phänomen dann auch noch ganz von allein.

Der Spiele-Journalismus ist also nicht mehr so relevant wie einst. Früher waren sie das wichtige Sprachrohr zwischen Spiele-Branche und Kunden. Jede News zu einem neuen Spiel kam eigentlich über die Magazine. Nun haben die Firmen ihre eigenen Social Media-Teams und Influencer sorgen für eine große Bandbreite neuer Formate. Auch für Entwickler haben sie weniger Relevanz und Messen wie die E3 sind nicht einmal nötig, um die Spiele zu bewerben.

Konkurrenzmessen und Onlineformate

Nicht alle Gaming-Messen haben Probleme wie die E3. Und da darf man jetzt gerne nach Deutschland schauen. Die Gamescom ist nämlich von Fläche und Besuchern mittlerweile das größte Gaming-Event der Welt. Dort steht aber die Fankultur im Fokus. Die Besucher sind die Konsumenten selbst und es geht nicht nur um die Neuerungen, sondern auch um die Community. Auf Events wie der Gamescom trifft man Gaming-Freunde von überall her und hat einfach eine geile Zeit. Manche Publisher haben sogar ihre eigenen Messen wie die BlizzCon von Blizzard oder die CitizenCon der Star Citizen-Entwickler Cloud Imperium Games.

Auch die Tokyo Games Show ist trotz ähnlich langen Bestehens noch besser aufgestellt als die E3. Das liegt nicht nur daran, dass sie – ähnlich wie die Gamescom – mehr auf den Konsumenten ausgerichtet ist, sondern auch an der japanischen Mentalität. In Japan setzt man auf Tradition. Die Spieler setzen dort mehr auf heimische Games und Japanische Unternehmen sind unglaublich beständig. Auch in meinem Artikel über gute Entwickler, die irgendwann schlecht werden habe ich festgestellt, dass japanische Studios viel beständiger sind – auch weil die Entwickler-Teams sich nicht ständig massiv verändern.

Und dann gibt es auch noch immer mehr Online-Events von Konsolenherstellern und Publishern. Am besten hat sich die Nintendo Direct etabliert, mit denen Nintendo auch abseits der großen Messen neue Spiele vorstellen oder neue Infos liefern kann. Manchmal gibt es sogar eine Direct die ganz für ein Franchise oder ein einziges Spiel ist. Doch auch für kleinere Studios funktioniert das. Für die neueste DLC-Season des Strategie-Dauerbrenners Anno 1800 (hier geht es zum XXL-Test mit allen DLCs) gab es beispielsweise ein kleines Streaming-Event. Für die erste Gameplay-Vorstellung von Hogwarts Legacy hat sich Entwickler Avalanche Software dagegen über eine eigene „State of Play“ von Sony platzieren können.

Das Corona-Versagen der E3  

Kommen wir zum letztlichen Sargnagel. Die E3 hat viele Events weltweit getroffen. Messen, Festivals, Konzerte und Sportgroßereignisse fanden 2020 eigentlich komplett nicht statt und kamen erst 2021 langsam wieder zurück. Viele Messen sind auf digitale Kanäle ausgewichen. Und hier bin ich mal ganz ehrlich: Wirklich gut hinbekommen, hat das kaum jemand. Klar, wir sind vom immersiven Metaverse weit entfernt, aber die vorhandenen Möglichkeiten hätten die meisten Online-Events dennoch besser bespielen können. Trotzdem schlug sich keine Veranstaltung so schlecht wie die E3. Aber warum?

2020 – das erste Jahr ohne E3. Hier konnte ich es noch halbwegs nachvollziehen. Die Situation war relativ frisch und eine Veranstaltung dieser Größenordnung lässt sich nicht so fix digitalisieren. Allerdings war hier trotzdem schon eine ganze Menge neuer Online-Events vorhanden, welche Morgenluft witterten, um den freigewordenen Platz einzunehmen.

2021 – die E3 fand Online statt, war aber im Prinzip auch nicht wirklich mehr, als das Ausweichprogramm des letzten Jahres. In unserem letzjährigen E3-Rückblick sprachen wir zwar von einigen namhaften Herstellern mit großen und kleinen Showcases, aber auch dass die wirklich großen Highlights fehlten – und der Cringe der Live-Präsentationen. Die Konkurrenz machte es Xbox sehr einfach, als großer Gewinner aus dem 3-tägigen Event rauszugehen. Insgesamt bot die Online-E3 nicht wirklich mehr, als die Alternativ-Programme des Vorjahres.

2022 – ist das euer verdammter Ernst?! Fast auf der ganzen Welt normalisiert sich der kulturelle Betrieb und die E3 sagt eine Messe für den Sommer – wo das Infektionsgeschehen zuletzt am besten unter Kontrolle war – erneut ersatzlos ab? Das ist nichts anderes als eine Kapitulation. Der Veranstalter hat wohl keine Lust mehr, anders kann ich es mir nicht erklären. Selbst im viel strenger isolierten Japan findet dieses Jahr die Tokyo Games Show wieder normal statt.

Ist die E3 endgültig am Ende?

Nimmt man all diese Entwicklungen zusammen, kann ich mir nicht vorstellen, wie die E3 nochmal die Kurve kriegen will. Sie ist einfach aus der Zeit gefallen. Die Industrie braucht nicht mehr das große Event. um alle wichtigen Journalisten zu versammeln. Was die Studios selbst nicht über das eigene Social Media machen können, übernehmen die Influencer. Zudem haben viele Konsolenhersteller ihre eigenen Online-Events wie die Nintendo Direct.

Vor allem ist es aber das Corona-Versagen der E3, dass mir eigentlich jegliche Hoffnung nimmt, dass das Event überhaupt nochmal stattfindet. Die Expo hat einfach bewiesen, dass sie absolut keine Flexibilität haben, auf eine sich verändernde Welt zu reagieren. Mag sein, dass durch Corona noch mehr Unternehmen abgesprungen sind, als in den Jahren zuvor schon. Auf der anderen Seite gibt es Events wie die Summer Games Show, die auch Publisher an Land ziehen. Eine E3 hätte doch sicher noch mehr anbieten können, wenn sie es denn wirklich gewollt hätten.

Das einzige Szenario, bei dem die E3 doch nicht am Ende ist, ist für mich ein kompletter Reboot. Vielleicht hat die E3 selbst bemerkt, dass sie aus der Zeit gefallen sind und tut es der Tomb Raider-Reihe gleich. Erstmal ins stille Kämmerlein setzen und dann mit einem neuen Fokus und Image sein Glück versuchen. Doch selbst dann wird es hart, weil andere Veranstaltungen wieder vollumfänglich stattfinden und der E3 noch mehr von der ehemaligen Relevanz abknabbern. Die E3 hat für 2023 angekündigt, als generalüberholtes Hybrid-Event stattzufinden. Aktuell trau ich ihnen den Reboot aber nicht wirklich zu. Ein Teil von mir hofft aber trotzdem, dass die E3 das Ruder 2023 rumreißt.


Image by miglagoa via Adobe Stock


Artikel per E-Mail verschicken