Das Jahresende endete mit einer neuerlichen Debatte über den Journalismus und auch im neuen Jahr 2014 wird viel über den Medienwandel diskutiert werden. Edward Snowden hat nicht nur den Datenhunger der Geheimdienste enthüllt. Seine Enthüllungen haben auch eine Debatte über den Journalismus in Gang gebracht. Sind Journalisten als Vierte Gewalt nicht immer auch Aktivisten? Oder ist Aktivismus mit Journalismus nicht mit einander vereinbar? Was hat das Handwerk des Journalisten mit einer politischen Haltung zu tun? Die alte Schule grummelt: „Macht Euch doch nicht gemein mit einer Sache! Das dürft Ihr nicht! Meinung und Fakten müssen getrennt bleiben!“ Inzwischen haben haben auch die Journalistenschulen Abstand davon genommen, die Idee der reinen Objektivität als handwerkliche Leitidee zu vermitteln. Warum? Weil ihre Schüler nicht mehr daran glauben? Oder weil diese Idee blind gegenüber der tatsächlichen Praxis des Meinungsmarkts scheint?
Journalismus ohne Haltung unterscheidet sich kaum mehr von interessengeleiteter Öffentlichkeitsarbeit. Warum ist das so? Hinter der Idee der Objektivität verschwindet die Idee der Kritik. Wenn Kritik aber ausgeblendet bleibt oder nur zu ein paar Sorgenfalten im Bratenrock des Leitartiklers führt, dann macht sie sich selbst überflüssig. Oder lächerlich.
Das Gegenmodell dazu klärt auf, scheut nicht davor zurück, politisch und wirtschaftlich Mächtige scharf zu kritisieren, kann Fehlverhalten und Verantwortlichkeit bei Skandalen durch gute Recherchen dokumentieren.
Die betagte Verwunderung darüber, dass jeden Tag genau so viel passiere, wie in die Zeitung passt, illustriert den Sachverhalt ganz gut. Was nicht rein passt, kommt nicht rein – oder wird passend gemacht, hier etwas weglassen, da etwas hinzufügen, vor allem den Mus mit dem subjektiven Touch – und fertig ist eine gewisse Tageszeitung als Blutsuppe mit Titten.
Die Wiki-Leaks, die Chelsea Mannings und Julian Assange ermöglichten, brachten Bewegung ins Spiel. Die Enthüllungen kamen nicht dadurch zustande, dass ein kompetentes Recherche-Team viele Monate ermittelte. Plötzlich stand ein riesiges Paket an Originaldaten online. Assange hatte zwar mehreren Zeitungen das Recht des ersten Zugriffs eingeräumt, aber schon bald, als das dicke Paket der Daten komplett online durchsuchbar war, brach etwas zusammen. Plötzlich war es nicht mehr das Privileg (oder Monopol) der etablierten Medien. Plötzlich konnte auch ein aufgeräumter Datenanalyst in seiner Hackerbude einen Beitrag dazu leisten, den Skandal weiter aufzuklären.
Die Gatekeeper standen dem zunächst fassungslos gegenüber: So weit offene Scheunentore zu relevanten Daten stellten ihre Rolle der Auswahl und Gewichtung in Frage. Kein Wunder, dass sofort professionelle Sekundärtugenden ins Spiel kamen: das Gewichten, das Bewerten, das Kontextherstellen, also auch das Relativieren. Suspekt erscheint den Vertretern der traditionellen Medien das Selbstverständnis der Aktivisten. Suspekt erscheint ihnen das Zusammenspiel mit den Crowds im Netz. Bringt ihre verteilte Intelligenz mehr an analytischer Kraft in die Waagschale als die Old School Jungs und Mädels? Die Aktivisten konnten plötzlich die eigene Agenda durchsetzen – und das gelang ihnen mit lächerlich bescheidenen Finanzmitteln im Vergleich zu den Redaktionsbudgets der großen Medien. So etwas bringt nicht nur gelernte angesehene Redakteure ins Grübeln. Darüber denken auch Controller und Eigentümer und Aufsichtsgremien der Medien in privatem Eigentum nach.
Der Sturz Christian Wulffs
Ein interessanter Fall ist der Sturz Christian Wulffs. Bekannt ist heute, dass Journalisten über viele Monate eine Story recherchierten und schließlich Gerichtsbeschlüsse darüber herbeiführten, um an den Grundbucheintrag für das Haus von Wulff in Großburgwedel zu gelangen. Bekannt wurde eine nicht im vollen Umfang den Tatsachen gerecht werdende Antwort Wulffs an den niedersächsischen Landtag. Bekannt wurde schließlich auch eine Nachricht Wulffs auf dem Anrufbeantworter des Bild-Chefredakteurs. Hatte da jemand bloß die Nerven verloren? Hatte da die „gebende und nehmende“ Pressearbeit versagt? Oder gibt es Gründe dafür, den Fall Wulffs als neues Beispiel für eine mediale Hetzmeute zu lesen, die am Ende ihr Opfer zur Strecke gebracht hat? Man muss keine sonderlich große Sympathie für Christian Wulff oder das eine oder andere deutsche Presseerzeugnis haben, um das Zusammenwirken von etablierten Medien und einer netzbasierten Meute problematisch zu finden. Am Ende wurden durch die Frau des Bundespräsidenten selbst der Suchalgorithmus von Google und die Default-Antworten im Suchfenster zu einem Fall für die Gerichte.
Haben im Fall Wulff die etablierten journalistischen Techniken der Gatekeeper funktioniert oder versagt? Ist der Fall Wulffs ein medialer Erfolg? Oder dokumentiert er ein Versagen der viel gepriesenen alten journalistischen Sekundärtugenden? Ist den Klassikern die Kontrolle über die von ihnen angestiftete Jagd entglitten? Oder ging es gar nicht mehr um Kontrolle, sondern um die Exekution eines Exempels: Seht her, wie wir einen zur Strecke bringen, und fürchtet diese Macht?
Der Held Edward Snowden
Die Enthüllungen Edward Snowdens schreiben inzwischen ebenfalls Geschichte. Ein Auftragnehmer der CIA und der NSA kommt den Diensten abhanden. Als Systemadministrator hat er über Monate Beweismaterial dafür gesammelt, was die Dienste tun, wie sie über die Stränge schlagen, welche Mittel sie verwenden und wie sie damit gegen Verfassungsgrundsätze der USA verstoßen. Heute sitzt Snowden in Moskau und genießt den zweifelhaften Schutz Wladimir Putins.
Erst wurde er zu einem Outlaw, zu einem Verbrecher abgestempelt. Sein Pass wurde ihm entzogen. Der Präsident von Bolivien musste in Wien zwischenlanden, damit seine Maschine nach dem flüchtigen Snowden durchsucht werden konnte.
Heute leitartikelt die New York Times, dass Edward Snowden ein klassischer Whistle-Blower sei und dafür rechtlichen Schutz verdiene. Warum ist sein Fall beispielhaft für die Diskussion um neue Medienformate, neue Medienrollen? Die erste Lektion erteilt uns das Schweigen der Bundeskanzlerin. Die Exekutive versucht, durch windige Erklärungen bzw. eisernes Schweigen den Überwachungsskandal auszusitzen. Die Pflege der deutsch-amerikanischen Freundschaft, das heißt, das Ziel, selbst auf die von den Amerikanern erhobenen Daten Zugriff zu behalten, hat für die Bundesregierung höhere Priorität als der Schutz des Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung.
Wichtige deutsche Medien berichten seit Juni 2013 täglich über den Skandal. Demoskopen aber stellen fest, dass der Skandal die Bürger mehr oder weniger nicht berührt. Bestätigen die Demoskopen die robuste Haltung der Bundesregierung? Bestätigen ihre Befunde nicht auch den Machtverlust der Medien? Wirkt die Agenda von Spiegel, Zeit und FAZ nicht faktisch wirkungslos?
Die Legislative hat zwar mehrfach in aktuellen Stunden über den Skandal debattiert. Gregor Gysi erhielt sogar den Preis für die beste Rede des Jahres 2013. Aber das Parlamentarische Kontrollgremium, von Ausnahmen abgesehen, folgte der Regierungsmehrheit und wiegelte ab.
Die Judikative nahm – nach ersten Strafanzeigen beim Generalbundesanwalt – widerwillig und nur pflichtschuldig Ermittlungen gegen unbekannt auf und scheint ebenso unwillig, den Sachverhalt der massenhaften Ausspähung privater Daten als Straftat energischer untersuchen zu wollen.
Nur die Vierte Gewalt gibt keine Ruhe. Jeden Tag werden neue Details bekannt, über welche Hintertürchen jedes Smartphone und jeder Computer scheunentorweit für die NSA zum Abschnorcheln offen stehen. Seit dem 30C3-Kongress des Chaos Computer Clubs hat sich die Debatte um die Rollen des Journalisten zugespitzt. Den Anstoß dazu gab durch Videozuschaltung der Vortrag Glenn Greenwalds am Eröffnungstag des Kongresses. Sind Journalisten durch ihren professionspolitischen Kodex nun ausschließlich der Objektivität ihrer Berichterstattung verpflichtet – oder hat der NSA-Überwachungsskandal die Vierte Gewalt dazu genötigt, sich stärker, als bisher für zulässig erachtet, auf die Seite der Aktivisten zu stellen? Denn was wäre das Recht der freien Meinungsbildung noch wert, wenn schon die Suche nach unabhängigen Quellen unter Verdacht gerät?
Schließlich müssen wir uns auch mit dem Sachverhalt einer Kränkung beschäftigen. Das Interview Barton Gellmans mit Edward Snowden in der Washington Post illustriert diese Kränkung subtil. Ein Mann aus dem Zentrum der Dienste, ein Ex-Schlapphut mit eigener Agenda („mission accomplished“), zieht an den etablierten Medien vorbei und nutzt sie als Vertriebspartner für eine Botschaft, die seit sechs Monaten von Tag zu Tag an Brisanz gewinnt. Die Gatekeeper-Rolle ist ramponiert. Der Wert der Nachricht wird nicht mehr allein durch die Medien bestimmt. Aktivisten wie Glenn Greenwald und Jacob Appelbaum bezeugen durch ihre Vorträge auf dem 30C3-Kongress die Kraft eines global orientierten zivilgesellschaftlichen Engagements. Es gehört nicht viel Phantasie zu der Annahme, dass damit auch die bisher den Medien unterstellte Macht, Skandale unter dem Teppich zu halten, dahinschwindet. Das Whistle-Blowing macht Schule. Wer im Spiel der alten Eliten diesen Sachverhalt übersieht, läuft Gefahr, sich lächerlich zu machen. Während die Vertriebsabteilungen der Printmedien fieberhaft über neue Vertriebswege und Online-Geschäftsmodelle nachdenken, schaffen manche Netzaktivisten, oft nur mit Minimalbudgets, neue Tatsachen.
Weit weg von den etablierten ehrwürdigen medialen Plattformen entsteht etwas Neues. Das muss nicht auf Verdrängung hinauslaufen. Die Idee wäre vermessen, aber der Sachverhalt selbst lässt sich auch nicht mehr verdrängen.
Discloser: Der Text ist ein Beitrag von Tilo Jung und Hans Hütt zur neuerlichen Debatte über den Journalismus und erschien zuerst auf wiesaussieht.de. Tilo Jung ist Erfinder des neuen Web-TV-Formats Jung & Naiv. Hans Hütt arbeitet als Redakteur bei Jung & Naiv.
Image (adapted) “bildtitel“ by marcusrg (CC BY 2.0)
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Schlagwörter: Aktivismus, debatte, Diskussion, Edward Snowden, Glenn Greenwald, journalismus, Medienwandel
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