Wenn es um Innovationen geht, gibt es immer solche Menschen, die sie vorantreiben oder zumindest mitziehen und solche, die zurückbleiben. Mitschleifen sinnlos. Wir kennen das alle: einige Engagierte schieben eine Debatte an, entwickeln Ideen und versuchen, sie unter das Volk zu bringen. Dieses wiederum kann damit nicht wirklich etwas anfangen oder will damit gar nichts zu tun haben, weitermachen wie bisher. Für die Engagierten gibt es zwei Wege: Entweder lässt man die wenigen innovativen Köpfe wieder rauchen – ohne Rücksicht auf Verluste. Oder – ein oft gegangener Weg – die kreative Elite wirkt positiv gestimmt auf den Rest ein, bremst aber dadurch den Innovationsprozess. Eine Situation, wie sie problemlos auf die Journalismusdebatte übertragbar ist.
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Die DJV-Zukunftsthesen gehen nicht weit genug.
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Motivierte Denker und Macher dürfen nicht ausgebremst werden.
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Fortschritt funktioniert zunächst nie mit allen, sondern nur mit einzelnen Akteuren.
Als eine Projektgruppe des Deutschen Journalistenverbands vor wenigen Wochen acht Thesen zur Zukunft des Journalismus vorstellte, entfachte eine Diskussion darüber, ob diese Thesen denn weit genug gehen würden oder ob sie immerhin ein Anfang seien, um die Kollegen außerhalb der Filterblase jener, die sich tagtäglich damit beschäftigen, endlich zu erreichen. Nachvollziehen lässt sich diese Diskussion beispielsweise anhand der Kommentare unter meinem Artikel auf Lousy Pennies, in dem ich die Thesen als zu mutlos bezeichne. „Ich hoffe, dass diejenigen sich nicht gebremst fühlen, wenn ihr Verband versucht, das, was für sie schon normal ist, endlich zum notwendigen Status Quo in der gesamten Branche zu machen.“, schreibt Carolin Neumann dort. Die Frage, die man sich aber tatsächlich stellen muss: Kann man diesen notwendigen Status Quo in der gesamten Branche erreichen? Und vor allem: Ist es die Arbeit wert, dieses Ziel wirklich anzustreben? Geht man noch einen Schritt weiter, schließt sich auch die Frage an, wie lange diejenigen, welche die Innovationen voranzutreiben versuchen, sich da vorne noch abstrampeln. Wie oft lassen sie sich noch ausbremsen, weil die gesamte Branche noch nicht so weit ist?
Das Potential ausschöpfen
Selbstverständlich dürfen wir nicht davonrennen nach dem Motto: „Nach uns die Sintflut“. Natürlich erfordert es unser aller Anstrengung, die Branche weiterzuentwickeln – und zwar gemeinsam an einem Strang. Aber es darf nicht dazu kommen, dass es kreative, motivierte Köpfe gibt (und diese sind in der Journalismusbranche vorhanden!), die sich auf einem hohen Leistungsniveau abmühen, aber immer wieder ins Mittelfeld zurückgeholt werden und ihr Potential nicht annähernd ausschöpfen. Fortschritt geschieht nun einmal nie in der Masse, sondern durch einzelne Akteure. Und wenn der Rest davon überzeugt ist, dann wird er folgen. Wenn grundlegend über den Journalismus im 21. Jahrhundert diskutiert wird – in einem offenen Prozess mit der Möglichkeit, nicht der Bedingung von Partizipation – und ein neues, gemeinsames und überzeugendes Verständnis entsteht, dann werden sich auch andere damit identifizieren.
Die Rede ist nicht von allen anderen, klar. Es sind ja auch nicht alle von „Bio“ überzeugt, nicht alle vom Mindestlohn, nicht alle von Salami-Pizza. Man wird nie alle Menschen in einer Gruppe von der einen Sache, dem einen Konzept überzeugen können. Aber nur, weil man das nicht kann, heißt es nicht, bestimmte Wege zu gehen, sich für gewisse Dinge zu entscheiden. Ohne Mut und Entscheidungen wird es keinen Fortschritt geben. Auch im Journalismus müssen wir uns das bewusst machen: wir werden nicht die ganze Branche hinter diesen Ideen, Thesen und Konzepten versammeln können, aber wir können mit diesen Ideen, Thesen und Konzepten etwas bewegen. Wir müssen es bloß tun.
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Schlagwörter: debatte, Fortschritt, Innovation, journalismus, Medienwandel
2 comments
Julian, ich sehe mich schon wieder genötigt, dir zu widersprechen. Was du völlig außer Acht lässt, ist, dass dies keine Thesen für die breite journalistische Öffentlichkeit sind. Das sind keine Thesen, die dazu da sind, alle auf dasselbe Level zu holen und dabei andere auszubremsen. Sie sind dafür gedacht, in einem Verband, der nicht von jungen Digitalen gelenkt oder besonders bewegt wird, Verständnis dafür zu geben, wie es heute schon aussieht, und die Sensibilität zu erhöhen für die neuen Herausforderungen, die so viele immer noch ignorieren.
Ich würde mir wünschen, dass die Thesen jenseits der Schon-wieder-Thesen-Kritik einfach als das angesehen würden, was sie sind: der Versuch, intern in einem Verband etwas anzustoßen. Sie werden viel zu hoch gehängt. Innerhalb des DJV Dinge bewegen zu wollen (ich bin im Übrigen nicht mal Mitglied…) und gleichzeitig weiter zu denken, sind keine widersprüchlichen Vorhaben, sondern können nur miteinander funktionieren.
Carolin, das sehe ich – wie man sieht – anders. Du schreibst im Lousy Pennies – Artikel „Ich hoffe, dass diejenigen sich nicht gebremst fühlen, wenn ihr Verband versucht, das, was für sie schon normal ist, endlich zum notwendigen Status Quo in der gesamten Branche zu machen.“. Die Projektgruppe soll(te) sich mit den „Fragen zur Zukunft des Journalismus befassen.“ (DJV.de).
Wie ich es mit dem „Status Quo in der gesamten Branche“ halte, habe ich oben ausführlich beschrieben. Und wenn ich lese, dass sich die Projektgruppe mit den Fragen zur Zukunft des Journalismus befassen soll und dann diese Thesen lese, dann ich das für mich persönlich nicht ausreichend. Dass es eine Grundlage für eine weitere Arbeit ist, das bestreite ich nicht. Aber ich glaube und weiß, dass du und der Rest der Gruppe so dermaßen fit seid, dass auch schon in diesem einen Jahr etwas anderes, weitergehendes hätte entstehen können. Deshalb ist es doch wichtig, dass man sich mit diesen Thesen kritisch auseinandersetzt.