Unsere Gesellschaft verändert sich, ebenso der Journalismus. Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, sieht das die Digitalisierung Publikumserwartungen, Konsumverhalten und Nutzungsbedürfnisse in rasanter Geschwindigkeit verändert.
Der Journalismus versucht Schritt zu halten und sucht seinerseits nach Ideen und Innovationen, um Produkte zu verbessern, neue Formate zu erfinden, um bestehendes Publikum zu halten und neues zu finden. Dies gelingt immer häufiger-, aber nicht immer. „News Desserts“, wie Fachleute die Gebiete nennen, in denen es keinen Journalismus gibt, gibt es nicht nur geografisch, sondern auch demographisch oder milieuspezifisch.
Angesichts dieser Lage lohnt sich ein Blick auf die gegenwärtigen Quellen der Hoffnungen der Branche.
Doch wo findet der Journalismus eigentlich seine eigenen Ideen? Wo erneuert er sich? Und wer treibt diese Entwicklung voran?
Neue Journalismen geben den Weg vor
Es lohnt sich, einen Blick in die Branche und auf deren Ränder zu werfen: Auf die Etablierten und die Neuen.
Wer Branchenevents und Konferenzen besucht, merkt schnell, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Begriffe und Ansätze Konjunktur genießen. So entstehen immer neue Journalismen. Etwa der aus der positiven Psychologie stammende Constructive Journalismus oder Sensor-Journalismus. „Es gibt viele solcher Ideen, wie die Zukunft der Branche aussehen soll“, sagt auch die Medienwissenschaftlerin Wiebke Loosen vom Hamburger Bredow-Institut in einem Interview mit dem Deutschen Journalistenverband und fügt hinzu „Wir haben schon mehr als 130 solcher Begriffe gesammelt, bei denen das Präfix eine bestimmte Art von Journalismus beschreibt: etwa Drohnen-Journalismus, Kollaborativer Journalismus, Crossborder-Journalismus oder Daten-Journalismus.“
Aus all diesen Trends entstehen dann schließlich auch Angebote, wie Produkte (Texte, Audios, Videos), Dienstleistungen, Plattformen, Technologien oder Algorithmen. Und jede Menge Hybride.
Vorzeigebeispiele der Branche sind Perspektive Daily, Krautreporter oder auch TheBuzzard, um nur einige „Best Practices“ zu nennen.
Freilich zählt nicht nur die Idee, um Startups in den Erfolg zu führen, sondern auch eine gehörige Portion Mut. Klar ist, dass die Entrepreneurs den Journalismus nicht immer neu erfinden und auch nicht alle Konzepte Eins zu Eins auf traditionelle Medienhäuser übertragen werden können. Aber diese Beispiele geben Hoffnung und sie können als Vorbilder für die Großen dienen. Also hier lernt Goliath von David, denn große Medienhäuser und Redaktionen tun sich immer noch schwer mit Innovationen. Verweigerung und Ignoranz gegenüber dem Neuen herrscht zwar kaum noch vor und gewiss haben auch traditionelle Unternehmen und Redaktionen Vorteile, wie jahrelanges Knowhow, gemeinschaftliche Erfahrung und Investitionskapital, aber in Sachen „Innovationskultur“ ist vielerorts noch viel zu tun. Abwarten und Aussitzen lautet das Motto. Bewegt wird sich meist nur mehr, wenn das Alte nicht mehr funktioniert.
Große Unternehmen sind oft festgefahren
Oft hat sich bei den „Großen“ eine Pfadblindheit eingestellt, Ränkespiele und Befindlichkeiten blockieren Fortschritt. Mancherorts kommt ein Dreiklang von „Zu wenig Zeit, zu wenig Mitarbeiter und zu wenig Budget“ hinzu.
Mitarbeiter mit Ideen werden als Störer wahrgenommen, die den Workflow brechen. „Besser keine Fehler machen.“, Was denken die anderen?“, „Hauptsache ich stehe gut da!“ – lautet die Devise. Fehlende oder langsame Entscheidungen sorgen für Behäbigkeit- Innovationen entstehen so vielmehr durch Abkupfern und Zufall. Ein bekannter Medienmanager nannte diese Mentalität vor Kurzem „Vollkasko-Mentalität“. Doch wie werden aus Second Movern und Third Modern, die Mover, die den ersten Schritt wagen. Oder um in der Startup-Sprache zu bleiben, wie werden Journalisten zu „First Movern“, die in unseren News-Wüsten, wieder Oasen erschaffen?
Divergentes Denken und agiles Mindset müssen in den Fokus
Zuerst sollte am Verständnis gearbeitet werden, wie Ideen das Licht der Welt erblicken können und nicht nur Traumschlösser bleiben.
Neben Handwerkswissen über Recherche, Texten und Gestaltung, sollten moderne Journalisten im Idealfall Unternehmensformen, Strategien, Wertschöpfungsketten, sowie Ideation, Prototyping und Formatentwicklung beherrschen. Es sollte Standard sein in der Ausbildung.
Derzeit gibt es noch kein Lehrbuch oder kaum Lehrmaterial für Media Entrepreneurial Education, welches Skills, wie Startup-Denken von der kleinen Idee bis zur Wachstumsphase oder divergentes Denken und über „Tellerrand denken“ lehrt. Dies weist ebenfalls darauf hin, dass in diesem Zusammenhang noch viel zu tun ist.
Alle Seiten müssen etwas tun
Doch damit nicht genug. Um noch mehr Ideen getreu dem Prinzip „Spray und Pray“, auf die Straße zu bekommen, brauchen wir ein nachhaltiges Journalismus-Startup-Ökosystem.
Die Rechnung „Mehr Ideen + Mehr Startups + Mehr Journalismus“ kann nur aufgehen, wenn alle Beteiligten wie Unternehmen, Universitäten, Öffentlich-Rechtliche, Stiftungen, die Politik und Graswurzelbewegungen mithelfen. In den Journalismus Labs für journalistische Gründungen in München, Berlin, Hamburg, Düsseldorf wird eifrig daran gearbeitet. In Leipzig befindet sich die Gründerinitiative MEDIAstart im Aufbau. Richtig so, aber was ist mit Mainz, Hannover und Dresden?
Auch neue Formen der Unterstützung könnten dabei eine Rolle spielen. Denn auch bei Förderung von Nachwuchsjournalisten darf es gerne kreativ zugehen: „Content Creator Häuser“ mit Residenzprogrammen oder Präsenz-Einrichtungen bei denen Gründer auf gemeinsame Infrastruktur und aus branchennahen Gewerken, wie Programmierern, Developer oder Grafiker zurückgreifen können. Generell gilt die Weisheit: „Ideen brauchen jemanden, der sie machen lässt“.
Nur so bleibt der Journalismus „State of the Art“ und davon profitieren alle- auch große Unternehmen und sei es nur von der Entscheidungs- und Experimentierfreude der agilen Startuper.
Denn sollte Journalismus nicht mehr zeitgemäß, gar sexy sein, werden potentielle Talente, egal ob Journalisten, Medienmacher oder Gründer mit den Füßen abstimmen und in andere Branchen abwandern.
Der Journalismus sollte dabei seine DNA nicht verlieren, er sollte Rezipienten und ihre Bedürfnisse ernst nehmen und Vertrauen aufbauen. Und auch der kritische Blick auf sich selbst sollte nicht fehlen, denn alle Bemühungen scheinen sinnlos, wenn selbst Journalisten nicht mehr den Journalismus in ihrem Startup erkennen können.
Und einen schönen Nebeneffekt hätte dies vielleicht auch: Newswüsten gäbe es vielleicht ein paar weniger. Gut für den Journalismus und gut für die Gesellschaft.
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Schlagwörter: journalismus, startups