Karma Police: Das GCHQ überwacht jeden Website-Besuch

Es ist Zeit für einen globalen Protest, denn letzte Woche wurde anhand von geleakten Dokumenten aus dem Fundus Edward Snowdens bekannt, dass das GCHQ im Rahmen des Programms “Karma Police” nichts weniger als die Überwachung sämtlicher Website-Besuche anstrebt. Andere Programme der britischen Behörde überwachen die Social-Media-Kommunikation, Mobilfunk-Standortdaten und SMS. All diese Daten können noch dazu miteinander verknüpft werden. Wo bleibt der massive Protest angesichts dieser beispiellosen Überwachung?

Karma Police: “Jeder sichtbare Benutzer im Internet” wird überwacht

Vergangene Woche berichtete das investigative Newsportal “The Intercept” erstmals über das GCHQ-Programm “Karma Police” . Dieses dient der Überwachung jedes einzelnen Website-Besuchs – ganz egal, um welche Art Website es sich handelt. Pornographische Seiten werden vom GCHQ ebenso überwacht wie Informations- und Nachrichtenangebote, Suchmaschinen, Soziale Netzwerke, Blogs und Diskussionsforen. All dies geschieht unabhängig von irgendeinem verdächtigen Verhalten – das GCHQ will schlichtweg die Surfgewohnheiten “jedes sichtbaren Nutzers im Internet” dokumentieren, wie es in den internen Dokumenten selbst schreibt.

Bei den Website-Besuchen handelt es sich eher um eine Art von Metadaten – ebenfalls gefährlich, aber noch keine Dokumentation der über das Netz ausgetauschten Meinungen und Informationen. Wenig überraschend hat das GCHQ zur Ergänzung auch Programme, die beispielsweise Social-Media-Kommunikation und E-Mails (ebenso wie die altmodischeren, aber noch immer populären SMS) überwachen.

Was noch mehr Anlass zur Besorgnis gibt ist die Tatsache, dass das GCHQ, sämtliche in den diversen Programmen gesammelten Daten, anscheinend auch miteinander abgleichen und zu umfassenden Profilen zusammenfügen kann. Die Snowden-Dokumente enthalten Beschreibungen von Fällen, wo dies bereits geschehen ist.

In einer Zeit, in der die Internet-Nutzung für viele Menschen ganz selbstverständlich zum täglichen Leben gehört, braucht es nur ein Mindestmaß an Phantasie, um sich auszumalen, welch umfassende Einblicke eine derartige Überwachung und der nachfolgende Abgleich der Daten zulassen. Unsere Ängste, Träume, Wünsche, Ziele, Interessen, unsere politischen Ansichten, unsere kleinen Marotten – sie alle könnte das GCHQ schon lange kennen, und dazu müssen wir noch nicht einmal besonders unvorsichtig sein, sondern nur ganz durchschnittliche Internet-Nutzer, die nicht paranoid, sondern ab und zu vielleicht ein wenig sorglos sind.

Die weltgrößte Überwachungsmaschine

Das GCHQ plante, mit Programmen wie “Karma Police” nichts weniger als “die weltgrößte Überwachungsmaschine” zu etablieren. Es sieht ganz so aus, als sei dies gelungen. Bereits im Sommer 2013 warnte Edward Snowden in einem Interview mit der Zeitung “The Guardian”, das GCHQ sei womöglich noch schlimmer als die USA mit ihrer berüchtigten NSA. Auch später wiederholte der Whistleblower diese Ansicht bei einigen Gelegenheiten. Die nun enthüllten GCHQ-Aktivitäten geben einen Eindruck davon, wie Snowden zu dieser Einschätzung kommt.

In Großbritannien sind die Geheimdienste in der privilegierten Position, von den zuständigen Aufsichtsbehörden vergleichsweise wenig eingeschränkt zu werden. Womöglich spielt hier die massiv positive Assoziation der Briten mit den Codeknackern des Zweiten Weltkriegs eine Rolle – immerhin entwickelte sich das GCHQ aus einer Gruppe von Akademikern und Nerds, die maßgeblich zum Sieg über Nazideutschland beitrugen. Das allerdings sollte nicht über seine aktuellen Exzesse hinwegtäuschen.

Zudem gilt Großbritannien als vergleichsweise intransparent, sowohl, was die Informationsfreiheit im behördlichen Bereich, als auch, was die Pressefreiheit angeht. Das GCHQ hat seinerseits ein äußerst problematisches Verhältnis zur Pressefreiheit, setzt Journalisten unter Druck oder überwacht diese – und wird auch dabei offensichtlich nicht oder kaum kontrolliert oder gestoppt.

Nicht der kleine Bruder der NSA

Angesichts dieser umfassenden und massiven Überwachungs-Aktivitäten ist es kaum erklärbar, dass das GCHQ so wenig kritisiert oder auch nur öffentlich diskutiert wird. Selbst unter Überwachungskritikern wirkt die britische Behörde oftmals wie eine Fußnote, wie der harmlosere kleine Bruder der NSA. Womöglich passt so manchem ein derartiger Überwachungs-Apparat in einem EU-Land nicht in die politische Agenda – oder es ist einfach schwer, sich vorzustellen, dass dies in Europa möglich ist. Aber das ist es offensichtlich. Jede Snowden-Veröffentlichung über das GCHQ macht deutlicher, dass diese Behörde keineswegs unterschätzt werden sollte.

Schon ganz allgemein lässt sich sagen, dass die Snowden-Leaks zwar immer wieder für Diskussionen sorgen, aber in Anbetracht der enthüllten Grundrechtsverletzungen noch weitaus mehr Debatten, und auch mehr Proteste und politische Konsequenzen, nach sich ziehen müssen. Für die Aktivitäten des GCHQ gilt dies in doppeltem Maße. Geheimdienste leben von Schatten, Heimlichkeiten und Menschen, die weg schauen. Es wird Zeit, den Behörden, die ihre Macht missbrauchen, um unsere Rechte einzuschränken, diesen natürlichen Lebensraum zu entziehen. Edward Snowden hat die nötigen Informationen öffentlich verfügbar gemacht – nun müssten die Menschen danach handeln.

Das Potential für einen solchen Protest ist da. Das zeigt beispielsweise der massive Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Was das GCHQ tut, geht weit über die in Deutschland geplante Vorratsdatenspeicherung hinaus. Zeit, dementsprechend zu reagieren. Wie allerdings kann das gelingen, wenn die Schuldigen im Ausland sitzen und die eigene Regierung keine Unterstützung ist? Die Antwort kann nur lauten: es wird Zeit für eine globale Vernetzung von Aktivisten. Über das bereits erreichte Ausmaß hinaus, müssen die Überwachungsgegner zusammen arbeiten und sich gegenseitig unterstützen. Das Internet ermöglicht es, global zu kommunizieren – und hat die aktuelle Aktivisten-Generation auch gelehrt, global zu denken. Es wird Zeit, das in die Tat umzusetzen.


Image (adapted) “Yellow Watcher” by Alexander Svensson (CC BY 2.0)


 

schreibt regelmäßig über Netzpolitik und Netzaktivismus. Sie interessiert sich nicht nur für die Technik als solche, sondern vor allem dafür, wie diese genutzt wird und wie sie sich auf die Gesellschaft auswirkt.


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