In der Deutschland AG funktioniert das klassische Unterstützer-Netzwerk noch außerordentlich gut. Man trifft sich in lauschigen Eckchen in Kitzbühel, Davos, St. Moritz, auf Sylt oder kraxelt vier Tage mit Ex-McKinsey-Chef Herbert Henzler in den Alpen herum. Da laufen die Deals und Absprachen, da werden Wechsel besprochen und eingeleitet, da sichern sich die Top-Manager ihre Karriere ab.
Zwar sind die Unternehmen nicht mehr aneinander beteiligt wie früher. Aber in den Aufsichtsräten der großen Konzerne hat das alte Bündnis durchaus Bestand: Die immer gleichen Köpfe tauchen in etlichen Kontrollgremien auf. Ihr Erkennungsmerkmal: Sie sind männlich, meist im Rentenalter und blicken auf eine lange Erfahrung als Topmanager zurück, so das Handelsblatt.
Corporate Deutschland habe es versäumt, rechtzeitig für geeigneten Nachwuchs zu sorgen. Das werde allmählich in Vorständen und Aufsichtsräten zum Problem: “Ex-SAP-Finanzchef Brandt übernimmt bei RWE, Wolfgang Reitzle kehrt gerade zu Linde zurück. Beide sind Multi-Kontrolleure geworden. Die Deutschland AG bewegt sich – wenn auch nur im Kreis”, schreibt das Handelsblatt.
Rorsted und der Wechsel mit Ansage
In diesem Kreisverkehr gibt es aber wahre Meister, die perfekt auf der Karriere-Klaviatur spielen können. Zu ihnen zählt der 53 Jahre alte Henkel-Vorstandschef Kasper Rorsted, der am 1. August 2016 zu Adidas wechseln wird, um zwei Monate später den Vorsitz von Herbert Hainer zu übernehmen, der ein halbes Jahr vor Auslaufen seines Vertrags im März 2017 ausscheidet. Klare Verhältnisse, perfektes Timing und wohl ein von langer Hand vorbereiteter Coup, der Rorsted zur Avantgarde der Wechselkünstler macht.
Wie das funktioniert, hat der Organisationswissenschaftler Christian Scholz bereits 2013 in seinem FAZ-Blog “Per Anhalter durch die Arbeitswelt” erahnt: “Bevor irgendetwas anderes auch nur irgendeine Rolle spielt, muss das Interesse potenzieller Arbeitgeber geweckt werden.” Man muss direkt oder indirekt beweisen, dass man ein ganz Großer ist. Etwa in einem Bericht des Manager Magazins:
Henkel-Vormann Kasper Rorsted hat nie einen Zweifel daran gelassen, dass er sich als Manager mit ausgeprägtem Tatendrang sieht. Er trieb die Rendite des Düsseldorfer Markenartiklers (Persil, Pritt, Schwarzkopf) nach oben, trug einen Berg von Schulden ab und sorgte dafür, dass die Öffentlichkeit das auch mitbekam. Stichwort “Danish Dynamite”.
Zur Sicherheit sollte am Ende der Bewerbung noch ein kleiner Hinweis darauf stehen, dass der Kandidat in der operativen Marge bereits “auf 14,9 Prozent” geklettert ist und damit bereits über dem Ziel liegt. Schwieriger wird es nach Auffassung von Scholz, die Wechselabsichten zu begründen, wenn man doch bei seinem alten Arbeitgeber ein so großer Hecht ist:
Dieser Schritt ist schon kniffliger, wird aber hier als kommunikative Meisterleistung absolviert. Ohne auch nur irgendein Stückchen schmutzige Wäsche zu waschen, liest man, dass Kasper Rorsted gerne expandieren möchte, die Henkel-Familie lieber auf Nummer sicher gehen will.
Im O-Ton klingt das im Manager Magazin so:
Offenbar hat sich das Verhältnis zwischen Rorsted und dem Henkel-Clan, der die Mehrheit an dem Waschmittel-, Kosmetik- und Klebstoffkonzern hält, in jüngster Zeit etwas eingetrübt. Rorsted möchte expandieren, akquirieren, Risiken eingehen, die Henkel-Familie rund um Oberhaupt Simone Bagel-Trah dagegen lieber auf Nummer sicher gehen.
Der BWL-Professor genießt und schweigt nicht ganz: “Und dass rein zufällig auf der gleichen Seite ein Foto der Ex-Henkel-Managerin Tina Müller mit dem Hinweis ‘Neuer Style’ prangt, ist für Insider ebenfalls mehrdeutig eindeutig”, schreibt Scholz in seinem Blogpost.
Wohin die Reise hingehen sollte, hat der forsche Däne sehr geschickt offen gelassen. In seiner Blindbewerbung “An: Alle” meinte er wirklich “An: Alle”. Man liest, dass er gerne zum Industrie-Riesen Linde wechseln würde, sich aber auch die Leitung des Kristallkonzerns Swarovski quasi an der Seite von Karl-Heinz Grasser vorstellen könnte. Offener könne man eigentlich nicht sein. Lediglich eine gewisse Präferenz für den deutschsprachigen Süden “verfügt … bereits über eine standesgemäße Bleibe in München”, lässt Rorsted verschmitzt durchblicken. Mit Herzogenaurach ist auch dieser Wunsch in Erfüllung gegangen.
Und selbst das Signal von Demut und Bescheidenheit in Zeiten der Gier hat der neue Drei-Streifen-Topmanager bedient: Damit meint Scholz den Manager Magazin-Satz: “Selbst einem Assessment-Center-Test der Personalberatung Egon Zehnder hat sich Rorsted unterzogen”.
So etwas sei der unumstößliche Beweis, für einen guten Job die Extra-Meile zu gehen – vor allem, wenn man sich die methodische Fragwürdigkeit dieser Testreihen vor Augen führt, die Rorsted sicher kennt, da er dem Personalmanagement immer schon sehr nahe stand. Was sollen die Zweifel: “Ein Mann wie eine Maschine”, stellt sich jeder Herausforderung und ist für jede Prüfung bereit. Für den BWL-Professor Scholz schließt sich der Kreis. Für Rorsted auch. Käme der Wechselkünstler nicht aus Dänemark, müsste man ihn zur Strategem-Schule in China rechnen – also zur Lehre der 36 Strategeme des Meisters Sanshiliu Ji aus der Zeit um 1500. Etwa bei der Anwendung des Strategems Nummer Sieben: “Aus einem Nichts etwas erzeugen.”
Das Ausmünzungsstrategem
Nun ist die bisherige Rorsted-Karriere mehr als Nichts. Es geht dabei um die Veränderung seiner Position. Immerhin brauchte der Henkel-Mann rund drei Jahre, um seine Bewerbungstournee abzuschließen. Nennen wir es freundlich “schöpferisches Vorausdenken”. So sieht es der Sinologe Harro von Senger.
Setzt man das Strategem Nummer Sieben als Ausmünzungsstrategem ein, dann macht man sich das schier unerschöpfliche Potenzial der vom Menschen noch ungeformten Wirklichkeit zunutze. Dank einer Vision, also zunächst eines Luftgebildes, die man in die Wirklichkeit überführt, gelangt man zu einem Erfolg oder spielt man ein Gegenüber aus.
Gerade das Geschäftsleben sei ein Wettstreit der Kreativität. Die Konkurrenz werde durch kühne, in Leer-Räume vorstoßende Ideen und mit schöpferischem Vorausdenken überflügelt und nicht mit dem Alltagstrott-Management:
Es gilt, die unglaublich vielfältige Gestaltbarkeit des Wirklichen – etwas, was listenblinden Schlafmützen entgeht – mit Hilfe menschlicher Fantasie auszuloten und zu verwerten, erläutert von Senger.
Rorsted ist ein Champion des Ausmünzungsstrategems – mit der Geste der Entschlossenheit spielt er über Bande, um sich selbst ins Gespräch zu bringen und um im Gespräch zu bleiben. Selfie-Botschaft: Wer dazugehören will, muss erst einmal leiden!
Aufreibende Selektionsprozesse, Interviewmarathons und tagelange Gehaltspoker sind mythenbehaftete Initiationsriten, die den Ruf der Konzernmanager als auserwählte Führungsfiguren begründen. Die Botschaft lautet: Nur diejenigen, die willens sind, alles zu geben, dürfen hoffen, mitmachen zu können, erklären Joerg Bartussek und Oliver Weyergraf in ihrem Opus “Mad Business”, erschienen im Hanser Verlag.
Kalenderweisheiten in der Deutschland AG reloaded
Die “Operation Kronprinz” mache nie Pause! Neben der chinesischen Strategem-Kunde haben auch klassische Kalenderweisheiten im Konzernwesen Bestand. Immer dahin gehen, wo es weh tut. Denn nur gute Arbeit zu leisten reicht nicht aus: “Wer ganz oben mitspielen will, muss sich auch konzernpolitisch betätigen. Das ist leider so, selbst wenn man genau weiß, dass das für jede Firma eigentlich Gift ist”, so Bartussek und Weyergraf.
Da können sogar 40 bis 50 Prozent der Arbeitszeit für Innenpolitik draufgehen. Jeder Konzernpolitiker verfügt über ein feingesponnenes internes und externes Netzwerk aus vielschichtigen Kontakten. Politisch werde es vor allem dann, wenn jemand eher durch persönliche Beziehungen als durch wirkliche Sachargumentation vorankommt.
In der Deutschland AG reloaded hat sich Rorsted frühzeitig etabliert. Das ist ihm als Vorstandschef eines erfolgreichen DAX-Konzerns relativ leicht gefallen. Er nutzt die informellen Runden, die von der Öffentlichkeit abgeschottet werden. Es soll intim zugehen. Ein Rückzug in die Privatheit, der ausschließlich über persönliche Kontakte läuft. Etwa in der alpinen Seilschaft von Herbert Henzler. Im elitären Männerzirkel der so genannten “Similauner” kraxeln unter Führung von Reinhold Messner Manager wie Hubert Burda und – welch ein Zufall – der noch amtierende Adidas-Chef Herbert Hainer. Wen findet man im Aufsichtsrat des Sportartikel-Herstellers? Henkel-Personalvorstand Kathrin Menges. Weitere Verbindungslinien zur Arbeitnehmerseite oder zu Finanzberatern kann man über Google recherchieren.
Rorsted wird von Branchenexperten zugetraut, das angeschlagene US-Geschäft von Adidas in den Griff zu bekommen und auch Initiativen für neue Geschäftsmodelle anzustoßen – etwa bei der Digitalisierung. Er ist sportbegeistert, teamfähig und energiegeladen. Er wollte nach Süddeutschland und auch das ist gelungen. Netzwerke und Vitamin B für das berufliche Fortkommen zu nutzen, ist völlig in Ordnung. Nur sollten die Protagonisten der informellen Deutschland AG die Schwächen dieses Karriere-Systems nicht unterschätzen. Das Notiz-Amt verweist auf die Frühjahrsausgabe des Wirtschaftsmagazins Boardreport, in der man das alles ausführlich nachlesen kann. Der Titel: “Operation Kronprinz – Über die Kunst des Wechsels in einer vernetzten Welt.” Das Heft erscheint Ende März.
Image “Händeschütteln” by geralt (CC0 Public Domain).
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