Unter dem Schirm: Ein Blick nach Athen

Die Szene der digitalen Nomaden ist vergleichsweise klein in Athen. Aber sie lebt! Dennoch hat kaum jemand von uns die Stadt auf dem Schirm. Ich war in den letzten zehn Jahren oft hier. Meist, wie auch dieses Mal, aus beruflichen Gründen. Jedesmal ist es anders. Jedes Mal, bin ich irgendwie verzaubert. Trotzdem verschwindet die Stadt immer wieder schnell aus meinem Blickfeld – spätestens, wenn auch meine Tzatziki-Fahne wieder verschwunden ist.

Das Essen fand ich lange Zeit furchtbar, seit diesem Jahr liebe ich es. Die Küche kann frisch sein, kann gut ohne Fleisch auskommen, aber natürlich unmöglich ohne Feta, Joghurt oder andere Milchvorfahren. Die Vorfahren dieser Stadt spürt man bei jedem Schritt. Die Akropolis, eine der vermeintlichen Wiegen des Abendlandes, der Ort, an dem die Demokratie quasi erfunden wurde, kann man von fast jeder Dachterrasse aus sehen, von denen es wiederum reichlich gibt. Ich mag den März in der Stadt, wenn sich noch weniger Ameisenstraßen aus Touristen durch die Gassen zwängen und die Temperaturen noch gut verträglich sind.

Die Griechen sind stolz.

Einige sagen, dass ihr Stolz in den letzten Jahren gebrochen gebrochen wurde. Die Wirtschaft ist noch immer am Boden. Meine Tante, die hier seit Jahrzehnten wohnt und griechisches Blut hat, sagte zu mir, dass momentan ständig durch die Presse geht, dass die Griechen sich keinen Urlaub mehr leisten können. Die Kriminalität ist hoch, Korruption an der Tagesordnung. Das Linke Bündnis ist bei der Europawahl und den vorgezogenen Parlamentswahlen abgestraft worden. Von Verhältnissen wie in Italien oder Polen ist das Land aber noch weit entfernt – trotz riesiger Flüchtlingsströme. Wie steht es speziell um den Ruf den Deutschen? Auf Hitler sind die Griechen vergleichsweise wenig sauer (schließlich haben sie ihn ja bezwungen), auf Schäuble dafür umso mehr.

Wenn ich Griechen begegne, sie nicht nur streife, sind sie immer unfassbar freundlich. Noch nie ist es mir woanders passiert, dass ich in einem Schreibwarengeschäft einfach einen einzelnen Briefumschlag und Papier geschenkt bekam, oder in einem Marinezubehörladen eine Sicherung für ein Boot. Ich erinnere mich, wie ich im Zentrum verloren auf der Straße stand und einen Souvlaki-Imbiss suchte, der mir empfohlen wurde. Ein Mann sprach mich an, ob er mir helfen könne. Von Touriabzockern aus anderen Touristenzentren geprägt, war ich misstrauisch, antwortete zögerlich. Er empfahl mir seinen Lieblingsladen, weil er meinen nicht kannte. Natürlich, dachte ich „so einer mal wieder“. Aber nein: Den Namen seines Lieblingsladens würde er nicht kennen. Das sei eben der, wo er immer hingehe. Mangels Alternativen probierten wir es aus und es war köstlich. Kaum ein Tourist war zu sehen und die Preise ganz normal. Ich fühlte mich schlecht, aber nicht, wegen des Souvlakis.

Die Schönheit des Makels

Vielleicht ist es der marode Charme dieser Stadt, der ähnlich ist, wie der von Lissabon, der beide Städte für mich magisch macht (und z.B. Zürich so kalt). Von Deutschland aus ist es fast die gleiche Flugdistanz nach Lissabon wie nach Athen – nur eben einmal nach Westen und einmal nach Osten. Athen ist Bosporus, ohne muslimisch zu sein, Balkan, ohne slavisch zu sein, das uneuropäische Tor zu Europa. Das Meer ist eine kristallklare Fluchtmöglichkeit. Dreihundert Meter von einer prächtigen Einkaufsstraße, die in Tel Aviv oder Neapel sein könnte, öffnet sich ein Basar, auf dem Massen von Melonen und lebendige Hühner aus Lastwagen verkauft werden. Auch der Geruch von Kumin, der sich mit dem von totem Tier mischt, erinnert an die Straßen von Neu-Delhi. Athen ist so vieles und gleichzeitig so vieles nicht.

Womöglich ist es nur meine Sicht, dass ich einen Ort mit netten Menschen jedem anderen Ort vorziehen würde, egal wie optisch schön und paradiesisch er erscheinen mag. Neben flüchtigen Begegnungen habe ich in Athen so viele Freundschaften geschlossen, wie kaum irgendwo anders auf der Welt. Ich fühle mich wohl hier. Weil ich diese unfertige Stadt als schön empfinde und die Menschen mag. Hoffentlich vergesse ich das nicht wieder so schnell. Und hoffentlich habe ich dann auch weniger Arbeit und mehr Zeit – für alte und für neue Freunde.


Image by Katsche Platz

arbeitete zuletzt in Hamburg als Kreativer bei freundlichen Werbeagenturen und trieb sich als Poet im Zwielicht herum. Da er im Herzen ein Reisender ist, wurde er zum digitalen Nomaden. Aus der Ferne textet und konzipiert er für Startups, den Mittelstand oder Konzerne wie Mercedes und Lufthansa. Katsche doziert an der Hamburg School of Ideas und spricht in seinen Vorträgen viel über Mut, Vertrauen und das Arbeiten in einer kreativen, digitalen Gesellschaft.


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