Von allem kann man zu viel bekommen. Auch von den Dingen, die man liebt wie nichts anderes. Bei mir und meiner Frau ist das auch so. Im Süden Thailands hatten wir einmal knapp sechs Wochen nahezu keinen persönlichen Kontakt zu anderen Menschen.
Viele Telefonate mit Kunden, einige mit Freunden und auch welche mit der Familie, aber der direkte Kontakt war sehr überschaubar: die Lady, zu der wir fast jeden zweiten Mittag zum Lunch gefahren sind, das Ehepaar auf dem Markt, auf den wir jeden Dienstag und Donnerstag gingen und der Weinhändler, bei dem wir freitagabends unseren Rausch einleiteten. Oh! Und die russische Rezeptionisten unseres Apartmentkomplexes, die wirklich sehr nett war und sich über gleichaltrige Menschen freute, die mal was anderes machen, als sich zu sonnen und sie herumzukommandieren. Ansonsten waren wir von chinesischen und russischen Familien umgeben, die mit uns merkwürdigen, arbeitenden Zentraleuropäern offensichtlich nichts zu tun haben wollten. Echte Gespräche? Fehlanzeige.
Wer braucht schon Meetups?
Noch nie war es uns bis dahin in den Sinn gekommen, mal auf so etwas wie ein “Digital Nomad Meeting” zu gehen. Aber als wir nach diesen sechs Wochen in Chiang Mai ankamen, hatte sich dieses Event heimlich auf unsere Agenda gemogelt. Und so saßen wir plötzlich in einem Uber-Auto auf dem Weg zu unserem “ersten Mal”. Erwartungen oder Vorstellungen: keine. Nur irgendwie das Gefühl, dass das jetzt sein müsste.
Am Eingang werden wir begrüßt, nach unseren Namen gefragt und bekommen sie auf Aufkleber geschrieben, die wir uns an die Brust heften sollen. Ich komme mir vor wie auf einer Kanzleiveranstaltung oder einem dieser ganz schlimmen “Networking”-Abende. Meiner Meinung nach wachsen Netzwerke, wenn sich Menschen menschlich mögen, weil sie etwas gemeinsames tun. Beim Wandern habe ich viele nette Leute kennengelernt, beim Surfen, bei Kochkursen oder Stadtführungen. Wenn das irgendwann an einer Bar endete: umso besser; und wenn danach etwas Geschäftliches dabei herauskam: brilliant. Aber überall wo Netzwerk drauf steht, halte ich mich eigentlich fern.
Smalltalk ist auch Talk
Wir betreten eine Hotelbar. Kein Sterneluxus, aber schick. Das hier ist hier vollkommen angemessen für die mittelglamouröse Realität von uns Nomaden. Es sieht sehr nett aus. Etwa zwanzig Leute stehen um einen Pool herum, über den Abend werden es bestimmt knapp 60. “Bali und so weiter, Uluwatu, ja da fanden wir es auch am besten…” Schon stecke ich im ersten Gespräch. Meine Frau zieht sich aus der Affäre, unter dem Vorwand Bier zu holen. “Toll, in dem Land warst Du gerade? Da wollten wir als nächstes hin. Ach, interessant. Jaja, wir sind aus Deutschland, unterwegs, Texter, Designer, Künstler, jaja. Da waren wir vor zwei Monaten, ja, gib mir mal deine Nummer, ich schick dir ein paar Tipps.”
Keiner wohnt hier für länger, alle sind auf der Durchreise. Einige arbeiten gar nicht, sind nur alleine und reisen und suchen Gesellschaft, finden diese Szene irgendwie interessant. Das ist etwas, was sich bei allen Treffen wiederholen wird, egal wo auf der Welt ich zu einem Nomad Treffen hingehen werde. Wo ist meine Seniora und mein Bier? “Hallo, hier ist dein Bier”, sagt sie aus dem Nichts und verschwindet genauso schnell wieder. Das nächste Gespräch. Israelis, Inder, Amerikaner, da hinten höre ich Deutsche und als anständiger Deutscher stelle ich mich weit weg. Schweizer, ein Rempler gegen den Ellbogen: “Sorry mate.”. Oh Australier! “Woher denn genau, wir waren gerade hier und da und so weiter… ”.
Drei Stunden später sitzen wir mit ausgeleierter Zunge und viel Bier im Bauch im Tuk-Tuk nach Hause. Wir grinsen uns müde an. “Das war schön”, sagt meine Frau. “Ich mag dich ja ganz gerne, aber ich hatte irgendwie mal das Bedürfnis…”, “…mit jemand anders zu reden!”, falle ich ihr ins Wort. Wir lachen.
Herausforderungen für eine Partnerschaft
Sich alleine durchzuschlagen, sei es reisend oder als Nomade, hat viele Vorteile. Dieses einfache “heute reise ich ab oder bleibe noch drei Wochen länger”-Ding, ist zu zweit kaum möglich. Der eine will nach Süden, der andere gen Westen, die eine in die Stadt, der andere aufs Land, nach Japan, raus aus Asien, zurück nach Asien, in die Wärme, auf einen Roadtrip oder ins Schweigekloster. Partnerschaft heißt auch, bei den Fragen, die beide betreffen, Kompromisse zu machen. Jeden Tag sind Entscheidungen zu fällen, die “normale” Menschen vielleicht alle paar Monate fällen. Ohne festes Zuhause ist man ständig auf Wohnungssuche, kauft ein Auto, plant Reisen, neue Jobs oder schließt irgendwelche Handyverträge (für die gesamte Familie) ab. Das Ende vieler Ehen beginnt mit einem Urlaub.
Ich erinnere mich an einen Abend in Phuket, als wir den Laptop zugeklappt hatten und noch schnell zu einen kitschigen Sonnenuntergang am Strand runterfuhren: knallroter Himmel, ein weißer Schimmel reitet vor uns, Kinder planschen im Andamanen-Meer. Ich nahm mein Handy aus der Tasche und wollte jemanden live dazuschalten oder vielleicht eine Story auf Instagram posten. “Mit wem wollen wir das teilen?”, fragte ich sie. Sie schaute mich an und sagte etwas, was ich mir eigentlich hätte denken können.
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