Das Internet hat fast alle Ecken der Erde erreicht, aber der Großteil der Forschung über die Verwendung des Internets, insbesondere bei Kindern, konzentriert sich auf die USA und Europa. Das ist ein Problem, da Schätzungen zufolge jedes dritte Kind weltweit das Internet nutzt – und die meisten von ihnen leben nicht im sogenannten Westen. Ein zunehmendes weltweites Interesse verlangt nach internationalen Verfahrensweisen, die auf globalen Beweisen fußen.
Der Bericht von „Global Kids Online“ ist der erste Schritt eines ambitionierten Projekts, um herauszufinden, welche Kinder das Internet verwenden, was sie lernen und um die Möglichkeiten und Risiken zu erforschen, die es beinhaltet. Um ihre Perspektive zu erfahren, führte das Projekt Interviews und Umfragen mit Kindern im Alter von neun bis 17 Jahren in Südafrika, den Philippinen und Serbien durch. Wir befragten zusätzlich argentinische Kinder im Alter von 13 bis 17 Jahren. In diesem Video erfahren wir mehr über die Erlebnissen südafrikanischer Kinder und ihrer Eltern mit dem Internet.
Wir wussten nicht, was auf uns zukam, obwohl uns ein paar der Probleme bewusst waren. In Lateinamerika leben Kinder in unterschiedlichen urbanen und ländlichen Gegenden und in enormem Wohlstand und Reichtum. Die südafrikanische Gesellschaft weist hohe Gewalttaten auf, die sich nun auch online ausweiten. Die Philippinen sehen sich einer wachsenden Herausforderung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und des Kindesmissbrauchs gegenüber, während Serbien mit dem sozialen Ausschluss der Roma-Bevölkerung zu kämpfen hat. Hilft ein Internetanschluss Kindern und ihren Familien dabei, diesen Problemen die Stirn zu bieten – oder macht er diese nur noch schlimmer?
Nimm mir nicht mein Internet weg
Es gibt keinen Zweifel daran, dass Kinder auf der ganzen Welt das Internet in ihre Leben integriert haben, selbst wenn es kostspielig und unzuverlässig ist oder wenn es nur mit geliehenen Geräten oder durch die Bereitstellung der Wohngemeinde genutzt werden kann – ganz im Gegensatz zum verhältnismäßig einfachen Zugang, den die Kinder im Westen genießen. Eine weltweite Studie, die vor Kurzem erschienen ist, hat gezeigt, dass die Kinder das Internet gewissermaßen als Menschenrecht verstehen. Für sie ist es eine echte Notwendigkeit. Gleichermaßen sehen einige der Kinder, mit denen wir gesprochen haben, das Internet als einen untrennbaren Bestandteil ihres Lebens – es ist etwas, auf das sie stolz sind. Ein 15-jähriger Junge aus Serbien meinte dazu: „Wir sind mit dem Internet aufgewachsen. Ich meine, das Internet war immer hier bei uns. Die Erwachsenen sagen ‚Wow, das Internet ist aufgetaucht‘, während es für uns ganz normal ist.“
Eine Fokusgruppe, bestehend aus 14- bis 17-Jährigen vom Ostkap in Südafrika stimmte dem zu: „Ich würde sagen, dass die heutige Generation mehr weiß als unsere Eltern. Wir sind viel schlauer als die vorangegangene Generation.“ Es ist nicht verwunderlich, dass Kinder die Freiheit und Bandbreite an Möglichkeiten zu schätzen wissen, dank derer sie lernen oder teilen können, was sie interessiert und wann immer sie wollen – wie diese Gruppe Jugendlicher aus Argentinien erklärt: „Ich wollte Gitarre spielen lernen und bin online gegangen.“ Ein andrees Kind sagt, es wolle „Immer mit anderen in Kontakt sein und wissen, was die anderen machen“. Vielen war ein Aspekt besonders wichtig: „Über Skype oder mit einem Videoanruf kann man zu jemandem Kontakt aufnehmen, der weit weg ist.“
Angesichts moralischer Panikmache über die Risiken des Internets sollten wir uns jedoch zurückerinnern, dass Kinder vor allem lernen und mit anderen Leuten in Kontakt treten möchten. Es ist wichtig, dass Erwachsene – egal, ob Eltern oder Politiker – ihnen diese Möglichkeiten nicht nehmen.
Das Gute und das Schlechte
In vielerlei Hinsicht teilen Kinder aus sehr verschiedenen Ländern ähnliche Interessen, was das Netz anbelangt. Auf den Philippinen lieben Kinder beispielsweise Facebook und YouTube, am liebsten lernen sie etwas Neues, außerdem sind soziale Medien und Videoclips sehr beliebt. Sie nutzen das Internet für Schularbeiten und um Online-Spiele zu spielen – also ein ziemlich ähnliches Ergebnis wie bei den Kindern in Europa.
Es ist einfach nachzuvollziehen, dass es durchaus ein Problem darstellen kann, dass dieselben, übergreifenden Technologiefirmen ihre Reichweite und ihren Profit durch Kinder weltweit vergrößern können. Auch ist bisher noch nicht klar, was Kinder online genau lernen – oder ob sie tatsächlich davon profitieren. Aber ein Internetanschluss bietet ganz klar eine Menge Möglichkeiten.
In Südafrika sucht etwa jeder dritte Jugendliche mindestens einmal die Woche online nach Informationen über Gesundheitsthemen. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass Teenager es zu schätzen wissen, dass sie diese Informationen online schnell und einfach und vor allem anonym finden können. Hier stellt sich die Frage, woher sie sich solche Informationen in einer Zeit vor dem Internet besorgt haben könnten. Dennoch ist die Informationsqualität im Netz problematisch.
Und ist es überhaupt das, was sie tatsächlich brauchen? Verfügen sie über die kritischen Fähigkeiten, vertrauenswürdige von missverständlichen Infos zu unterscheiden? Wir wissen es nicht. Aber das, was wir herausgefunden haben, liefert Grund zur Besorgnis hinsichtlich der digitalen und kritischen Fähigkeiten junger Nutzer. Auf die Frage, ob im vergangenen Jahr irgendetwas im Netz geschehen ist, worüber sie sich ärgerten, antworteten drei Viertel der befragten Kinder in Argentinien mit ‚ja‘ – zweimal so viele, wie in Serbien und auf den Philippinen. In Südafrika war es nur eines von fünf. Einige Beispiele für die Inhalte könnten sein:
- Lästereien über andere Menschen und dass es hässliche Kommentare über andere gibt
- Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Morde
- Einladungen von fremden, älteren Menschen oder Werbung mit nackten Menschen
Auf den Philippinen wurden die Kinder sogar direkt bedroht: „Auf Facebook hat sich jemand vor einiger Zeit für mich ausgegeben. Der Nutzer hatte mein Foto als Profilbild eingerichtet, allerdings mit einem anderen Namen“, berichtete ein Mädchen zwischen 12 bis 14 Jahren.
„Ich habe es einmal erlebt, dass ein Fremder nach ‚meinem Preis‘ fragte – was natürlich bedeutete, wie viel es den Fremden kosten würde, mit mir Sex haben zu können“, erfuhren wir von einem Jungen zwischen 15 bis 17 Jahren.
Damit Eltern nun jedoch nicht in Versuchung geraten, ihren Kindern das Internet zu verbieten, sei ihnen gesagt: Wir haben auch viele positive Rückmeldungen erhalten. Zwei Drittel der befragten Jugendlichen aus Argentinien waren sich sehr sicher, dass es „viele Dinge im Internet gibt, die gut für Kinder in meinem Alter sind.“ Jugendliche in Serbien und auf den Philippinen waren davon nicht ganz so überzeugt und die südafrikanischen Kinder waren diesbezüglich deutlich gespalten. Es ist wahrscheinlich schwer, die richtige Balance zwischen Risiko und Bereicherung zu halten.
Risiken und Möglichkeiten greifen ineinander
Um das zu verstehen, müssen wir das Wesen des Internets berücksichtigen. Man schaue sich nur einmal die sozialen Netzwerke an: Kinder können diese nutzen, um mit ihren Freunden in Verbindung zu bleiben, aber sie sind auch für Unbekannte sichtbar. Als wir die Risiken und Vorteile auswerteten, die die Kinder in verschiedenen Ländern erlebten, gaben 92 Prozent der befragten Kinder aus Argentinien, aber nur 65 Prozent der Kinder aus Südafrika an, dass sie das Netz jederzeit nutzen durften. In Serbien waren es 85 Prozent und auf den Philippinen 79 Prozent.
Also macht es durchaus einen Unterschied, ob die Eltern eine restriktive oder eine lockere Herangehensweise an das Netz haben. Doch auch das ist für die Eltern keine einfache Wahl. Zum Teil schätzen viele Eltern die digitalen Kenntnisse ihrer Kinder als höher ein als ihre eigenen. Manche Eltern versuchen, sich den kulturellen Normen und Erziehungsstilen anzupassen und zugleich den spezifischen Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu werden.
Natürlich kann auch ein unregelmäßiger und teurer Internetzugang ein Problem sein. Unsere Kollegen aus Südafrika haben die Ergebnisse der Studie dazu genutzt, um angesichts der hohen Datenkosten erschwinglichere Internetanschlüsse einzufordern. Dieses Ziel wurde in den nationalen Entwicklungsplan für Südafrika bis zum Jahr 2030 aufgenommen. In Argentinien berichteten die Kinder zudem davon, dass sie das Internet meist für die Schule verwenden, also forderten unsere argentinischen Kollegen mehr Unterstützung durch ein nationales digitales Bildungsprogramm.
„Global Kids Online“ ist eine gemeinsame Initiative von Innocenti, dem Forschungszweig der UNICEF, des EU Kinder Online-Netzwerks und der London School of Economics and Political Science, die durch die „WeProtect Global Alliance“ unterstützt wird. Diese Untersuchungen sind erst der Anfang. Um noch mehr kulturübergreifende Tendenzen zu erforschen, müsssten allerdings noch ein paar Länder mehr teilnehmen. Jedoch würden wir den Gesetzgebern in den entsprechenden Ländern, in denen noch zu wenig zuverlässige Untersuchungsergebnisse existieren, raten, keine weitergehende Gesetzgebung zu überstürzen, bevor sie nicht verstehen, wie Kinder und Eltern die Chancen und Risiken, die das Netz bietet, ausgewogen nutzen können.
Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation” unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Image “child” by NadineDoerle (CC0 Public Domain)
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Schlagwörter: Argentinien, facebook, Generation, Innocenti, Internet, Kinder, Netzung, Philippinen, Profilbild, Serbien, skype, Südafrika, UNICEF, Weltweit, youtube