Kontakte sind wichtig – ein gutes Gespräch ist wichtiger!

Die sozialen Netzwerke und ihre Kontakte haben viele Vorteile – aber auch einige Nachteile. Denn Technik, die alles möglich machen kann, kann auch einiges zerstören: wir verlernen, ein richtig gutes Gespräch zu führen. Ein US-Häftling, der wegen versuchten Mordes an einem Polizisten in Haft saß, wurde nach 44 Jahren Haft entlassen. Als der nun 69jährige Otis Johnsen die Straßen von New York City betrat, traute er seinen Augen kaum. Die Menschen schienen auf den Straßen Selbstgespräche zu führen, während ihnen futuristische Kopfhörer an den Ohren hingen. All das erinnerte ihn an Agenten der CIA. Es war, als würden die Menschen in ihrer eigenen kleinen Blase leben, denn sie beachteten ihre Umgebung kaum, stattdessen starrten sie ihre Smartphones an, während sie die Straße überquerten.

Die moderne Technik hatte Johnsen einen massiven Kulturschock beschert, den Schock, in einer Welt zu leben, in der Technik rasend schnell die Art, wie wir leben und wie wir miteinander umgehen, verändert hat.

Die Psychologin und angesehene Professorin Sherry Turkle verfasste im Jahr 2013 am renommierten Massachusetts Institute of Technology ihr Werk „Alone Together“. In diesem Buch hinterfragt sie, in welchem Ausmaß soziale Medien Menschen tatsächlich zusammenbringen. Nachdem sie jahrzehntelang der Frage nachging, inwiefern moderne Technologien zwischenmenschliche Beziehungen beeinflussen, schlussfolgerte sie, dass wir uns durch die allgegenwärtige Technik von Konversationen zu Konnektivität, also von Gesprächen zu Beziehungen, bewegen.

Zwischenmenschliche Beziehungen scheinen, im Vergleich zu einfachen Gesprächen, eine grundverschiedene Qualität sozialer Interaktion zu vermitteln. Turkle benutzt dabei die Metapher eines kontinuierlichen Flusses kleiner Informationen, ganz wie die hübsch verpackten 140 Zeichen auf Twitter.

Das Gespräch beruht auf den Bedingungen des Zuhörens und der Empathie, zudem muss aktiv Beachtung geschenkt werden, statt nur online ein Statusupdate zu kommentieren und gleichzeitig am Telefon zu sein, Wäsche zu waschen oder Essen für die Kinder zuzubereiten.

So ähnlich geht es auch in der Welt des Online-Dating zu. Man entfernt sich von traditionellen, detaillierten Dating-Profilen, die es früher möglich gemacht hatten, einen passenden Partner auf der Grundlage von umfangreichen psychologischen Bewertungsbögen zu finden. Stattdessen werden oberflächliche Apps wie Tinder genutzt, die sich um keine der Möglichkeiten scheren, wie man zusammenpassen könnte, sondern auf die Reaktion des Nutzers auf ein Profilbild angewiesen sind. Du kannst den Haarschnitt dieser Tinderella nicht ausstehen? Wisch sie weg. Du magst den Schnurrbart dieses Typen nicht? Ein Wisch – und er ist weg.

Dies könnte nicht weiter entfernt sein von wertvollen Unterhaltungen und echten vertrauten Menschen. Die Entstehung dieser neuen Aufreißerkultur wirft neue Fragen auf: wie stehen wir zueinander und welche Kriterien nutzen wir für die Partnersuche? Die Forschung auf diesem Gebiet ist praktisch nicht existent, es wird sich erst noch zeigen, welche Auswirkungen das auf entstehende und anhaltende Beziehungen hat.

Zusammen allein?

Das Internet erhöht die Anzahl an zwischenmenschlichen Beziehungen, aber zugleich schmälert es möglicherweise unsere Fähigkeit, echte, tiefgründige und bedeutungsvolle Unterhaltungen miteinander führen zu können. Dieses Phänomen wurde 1998 in einer Untersuchung von Robert Kraut und Kollegen als das ‚Internet-Paradoxon‘ bezeichnet. Es beschreibt, wie die zunehmende Vernetzung durch neue Technologien unser soziales Engagement entgegen der Intuition vermindert und dadurch Einsamkeit fördert. Sind wir tatsächlich zusammen allein, wenn wir soziale Medien nutzen?

Meine eigene Recherche untersucht die möglichen negativen Konsequenzen der Internetnutzung. Ich habe mir angeschaut, wie Psychotherapeuten Menschen weltweit behandeln, die sich aufgrund einer Internetsucht in ihre Praxis einfinden. Einer der 20 von mir interviewten Therapeuten erzählte mir:

„[Meine Patienten] glauben tatsächlich, dass Menschen mehr von ihnen wollen, als sie tatsächlich wollen. Zweifellos befürchten sie die Unnachgiebigkeit eines dauernden Nachrichtenstroms… Aber gleichzeitig herrscht die Angst ausgeschlossen zu werden.“

Dieser Befragte weist auf einen Zustand hin, der als FOMO („fear of missing out“) bezeichnet wird, also die Angst, etwas zu verpassen. Es beschreibt die „allgegenwärtige Befürchtung, dass andere möglicherweise eine befriedigende Erfahrung erleben, bei der man abwesend ist“. FOMO ist der Druck. ständig mit sozialen Medien verbunden und präsent zu sein, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

FOMO kann zu zwanghafter Nutzung von sozialen Medien führen, was sich wiederum zu einer Sucht entwickeln kann. Die Erforschung dieser Sucht ist relativ selten im Vergleich zur Spielsucht, aber in einer Arbeit aus dem Jahr 2011 behandelte ich die Nutzungsmuster, Beweggründe, Persönlichkeiten der Nutzer und negative Konsequenzen der Nutzung sowie potentielle Abhängigkeit.

Ich konnte in meinen Nachforschungen zeigen, dass soziale Netzwerke hauptsächlich für gesellschaftliche Verpflichtungen genutzt werden, besonders um wirklich existierende Beziehungen aufrecht zu erhalten. Unterschiedliche Menschen nutzen soziale Netzwerke auf unterschiedliche Art und Weise. Zum Beispiel nutzen es extrovertierte Menschen für eine Verbesserung des sozialen Zusammenhalts, introvertierte Menschen nutzen es hingegen zur sozialen Kompensation. Dies lässt darauf schließen, dass soziale Netzwerke verschieden ausgeprägte Vorteile für ihre Nutzer bieten.

Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass die Nutzung sozialer Netzwerke zu weniger Beteiligung am realen Leben führen kann sowie zu geringeren akademischen Leistungen und Beziehungsproblemen, sodass sie als Indikatoren für einen krankhaften Gebrauch gelten könnten. Dies lässt darauf schließen, dass soziale Medien bei mäßigem Gebrauch gewisse Vorteile bieten, aber andererseits bei exzessiver Nutzung zu mit Sucht gleichgesetzten Problemen führen.

Wohin führt uns das nun also? Vielleicht sollen wir uns einmal selbst beobachten, um das herauszufinden.

Wir sollten alle unsere Smartphones, Tablets, Laptops und Smart Watches in der Schublade lassen, um ein paar ruhige Stunden mit unseren Lieben zu verbringen. Vielleicht sollten wir uns bemühen, diesmal nicht die witzigen Bemerkungen des merkwürdigen Onkels zu twittern, unsere Follower über unsere Mahlzeiten zu informieren oder witzige Hundebilder zu präsentieren. Wer weiß, vielleicht erleben wir dann auch das eine oder andere gute Gespräch, ohne dass uns die Technik dabei stört.

Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Teaser & Image „CC0 Public Domain)


The Conversation

ist Psychologin und Dozentin für Psychologische Studien an der Universität von Nottingham Trent. Sie forscht zu Spielsucht, Persönlichkeitstheorien im Bereich der Gesundheits- und Cyberspychologie.


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