Die beiden Magazine “The Economist” und “WIRED” sind wegen des “Splinternet” besorgt. Die britische Forschungsorganisation NESTA denkt, dass es das World Wide Web, so wie wir es kennen, zerbrechen könnte. Was aber steckt hinter der Idee mit dem seltsamen Namen? Das Konzept dahinter ist, dass die Erfahrungen der Nutzer aus verschiedenen Ländern, beispielsweise in der Türkei und Australien, sich deutlich unterscheiden.
Reisende, vor allem in China, werden dieses Phänomen kennen. Dank der strikten Kontrolle der Regierung, müssen sie dir Suchmaschine Baidu benutzen und können nicht auf Facebook oder Nachrichtenseiten, wie beispielsweise den „Economist“ oder die New York Times, zugreifen.
Wir beobachten einen zunehmenden Splinternet-Effekt durch regional geblockte Inhalte. Auch müssen sich Firme an unterschiedliche und oftmals widersprüchliche länderspezifische Praktiken, Regeln und Gerichtsentscheidungen halte.
Diese Art von Spannungen ist besonders bei Firmen wie Google, Facebook und Twitter erkennbar. Diese Plattformen werden in fast jedem Land benutzt. Die einzelnen Regierungen bestehen immer stärker darauf, dass sich die Firmen an lokale Gesetze und kulturelle Normen halten, wenn es um Fragen wie den Zugang oder die Inhalte geht.
Das Internet war nie wirklich offen
Die Idee des Internets als unabhängige, globale und unkontrollierte Plattform war schon immer eher eine Idealvorstellung. Selbst am Höhepunkt, der Techno-Futuristischen Rhetorik über das Potential des Internets nationale Grenzen zu übersteigen, gab es immer Ausnahmen.
Die Kommunistische Partei in China verstand schon am Anfang, dass das Internet nur eine neue Medienform war. Und Medienkontrolle war ein Kernpunkt für die nationale Souveränität und deren Autorität. Aber das Splinternet verweist auf eine stärkere Tendenz Gesetze und Regulierungsbefugnisse innerhalb territorialer Zuständigkeiten einzusetzen, um digitale Aktivitäten einzuschränken.
Einen Anfang stellten Edward Snowdens Enthüllungen imJahr 2013 dar. Die Dokumente, die er veröffentlichte, legten nahe, dass die NSA mit ihrem Überwachungsprogramm PRISM Informationen der Benutzer weltweit von Google, Facebook, Apple und Yahoo sammelte. In Ländern wie Brasilien, wo die Kommunikation zwischen Spitzenpolitiker abgefangen wurde, beschleunigte diese die Entwicklung von nationalen Internetkontrollen. Brasiliens “Marco Civil da Internet law” verpflichtetweltumspannende Firmen, sich an brasilianische Datenschutzgesetze zu halten.
Ist das schlecht?
Bis jetzt bestand ein großer Teil der Anziehung des Internets daraus, dass es durch den Inhalt der Benutzer und deren Präferenzen angetrieben wurde und nicht durch Regierungen. Aber die Leute werden immer Aufmerksamer in Hinblick auf Volksverhetzung, gezielten Missbrauch, Extremismus, Fake News und anderen unangemessenen Aspekten der Online Kultur. Frauen, Menschen mit anderen Hautfarben und bestimmte Religionen werden überdurchschnittlich oft im Internet angegriffen.
Akademiker wie Tarleton Gillespie und Prominente wie Stephen Fry sind Teil einer wachsenden Ablehnung von typischen Antworten der Plattformbetreiber: Dass diese nur Technologiefirmen und -Vermittler sind und sich deswegen nicht in die Meinungsäußerung einmischen können.
Ein Bericht des britischen House of Commons über Hassverbrechen und die gewalttätigen Folgen gibt an: Es gibt eine Vielzahl von Beweisen, dass diese Plattformen benutzt werden um Hass, Missbrauch und Extremismus zu verbreiten. Dieser Trend wächst weiterhin mit einer alarmierenden Rate, aber wird nicht kontrolliert. Und selbst dort, wo es illegal ist, wird es größtenteils nicht überwacht.
Wenn wir sagen, dass Volksverhetzung online überwacht werden sollte, kommen zwei offensichtliche Fragen auf: Wer würde es tun – und auf welcher Grundlage? Aktuell werden Inhalte auf den größten Plattformen von den Firmen selbst überwacht. Die „Facebook Files“ des „Guardian“ zeigen den Umfang und die Grenzen einer solchen Moderation auf. Wir werden vielleicht sehen, dass Regierungen immer mehr bereit dazu sind einzuschreiten und so die Benutzer Erfahrungen weiter fragmentieren werden.
Faires Spiel für alle
Es gibt weitere aktuelle Sorgen im Splinternet. Eine ist die Frage der Gleichheit zwischen Technologie Firmen und traditionellen Medien. Marken wie Google, Apple, Facebook, Microsoft, Netflix und Amazon verdrängen traditionelle Mediengiganten. Und trotzdem sind Film, Fernsehen, Zeitungen und Magazine immer noch stärkerer länderspezifischen Regeln und öffentlicher Überwachung ausgesetzt.
So muss das australische Netzwerk für Fernsehwerbung sich in Hinblick auf Material und jugendfreie Inhalte immer noch an ortsspezifische Regulierungenn halten . Allerdings gelten diese nicht für YouTube oder Netflix, obwohl immer mehr Zuschauer und Werber zu diesen Anbietern wechseln. Es wird immer offensichtlicher für Mediengesetzgeber, dass bereits bestehende Regelungen nutzlos sind – es sei denn, sie weiten sich auch auf den Onlinebereich aus.
In Australien versuchte die “Convergence Review” dies bereits 2012 anzusprechen. Diese empfahl, dass Medienregulierungen auf “Content Service Enterprises” angewandt werden sollten welche eine bestimmte Größe erreichen, anstatt die Regeln auf einer spezifischen inhaltstragenden Plattform aufzubauen.
Brauchen wir überhaupt ein Splinternet?
Wir werden uns auf ein Splinternet zubewegen – es sei denn, wir schaffen es, dass neue globale Regeln geschaffen werden können. Diese müssen die Vorteile der Offenheit und den Wunsch kombinieren, dass Onlineplattformen im Interesse der Öffentlichkeit handeln. Trotzdem riskieren wir den Verlust der nahtlosen Onlinekommunikation, wenn Plattformbetreiber sich durch ein Dickicht komplexe nationaler Gesetze und Regelungen kämpfen müssen.
Der Druck, hierfür möglichst bald eine passende Lösung zu finden, liegt nicht nur bei den Regierungen und Regulierern, sondern auch bei den Plattformen selbst. Deren Legitimität in den Augen der Benutzer ist, um es mit den Worten von Mark Carney, dem Vorstand der Bank of England zu sagen, eine “social licence to operate”. Obwohl Google, Facebook, Apple, Amazon, Netflix und andere weltweit arbeiten, sollten sie sich im Klaren sein, dass die Öffentlichkeit von ihnen erwartet, eine Macht für die soziale Vorsorge vor Ort zu sein.
Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Image (adapted) „Studie“ by varunkul01 (CC0 Public Domain)
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