Früher konnte sich ein Aufsichtsrat mit dem Hinweis entlasten, über bestimmte Themen nicht informiert worden zu sein. Man traf sich in noblen Hotels in Flughafennähe, genoss ein üppiges Buffet und nickte die Beschlussvorlagen des Vortandes ab. Fertig. Diese Zeiten sind vorbei. Die Anforderungen steigen.
“In vergangenen Jahren, insbesondere seit der Finanzkrise 2008, hat sich die Rechtsprechung grundlegend verändert”, weiß Johannes Steinel von PWC.
Fakten über unzureichende Liquidität oder Fehler des Top-Managements müssen von den Mitgliedern der Kontrollgremien eingeholt werden. Die Beweislast hat sich umgekehrt. Ein Ratsmitglied sollte daher jederzeit nachweisen können, dass man der Unternehmensführung die richtigen Fragen gestellt und den richtigen Rat erteilt hat. Verschärft haben sich zudem die Anforderungen auf die Reaktionsgeschwindigkeit der Kontrolleure.
Zustimmend zur Kenntnis genommen
“Der Aufsichtsrat sollte bereits im Falle erster Frühindikatoren einer sich abzeichnenden Krise eine aktivere Rolle spielen und gestalterisch eingreifen. Es reicht folglich nicht mehr aus, Beschlussvorlagen nur zustimmend zur Kenntnis zu nehmen”, betont Steinel im Interview mit dem Wirtschaftsmagazin Boardreport.
Die verschärften Anforderungen, die man aus der jüngeren Rechtsprechung ableiten kann, sollten sich auch in der Zusammensetzung des Aufsichtsrates wiederspiegeln. Man braucht Aufsichtsratsmitglieder mit Erfahrungen im Controlling, bei der Aufbereitung und Analyse von Geschäftszahlen, bei bilanziellen Themen und bei juristischen Fragen.
Kein Frühstücksjob
Vielen Aufsichtsratskandidaten ist nicht bewusst, dass es sich immer seltener um eine reine Nebentätigkeit handelt, die man problemlos der Hauptbeschäftigung unterordnen kann. “Kandidaten für Kontrollgremien sollten sich zunehmend intensiv über ihre Rechte und Pflichten informieren, sich aber auch Gedanken über ihre persönlichen Risiken machen, die sie im Aufsichtsrat eingehen”, rät der PWC-Experte.
Es gebe in Deutschland eine begrenzte Anzahl von Persönlichkeiten, die als professionelle Aufsichtsräte in Krisensituationen tätig sind, die üblicherweise in ihrer Karriere früher als CFO oder CEO tätig waren, die ihre Kontrollfunktion mit Tiefgang wahrnehmen, Schwachstellen und logische Brüche in den Zahlen unmittelbar erkennen können und das Management intellektuell herausfordern.
Sattelfeste Persönlichkeiten gesucht
Die richtigen Kandidaten zu finden, sei eine Herausforderung. Man brauche vor allem sattelfeste Persönlichkeiten für Krisensituationen. “In den meisten Sanierungsfällen, die ich in den vergangen Jahren erlebt habe, wurde zumindest ein Teil des Aufsichtsrates vom tatsächlichen Ausmaß der Krise überrascht”, sagt Steinel.
Wenn Sanierungserfahrung im bestehenden Team nicht vorhanden ist, sollten qualifizierte Berater vorgeschlagen werden. Der Aufsichtsrat verfügt in der Krise nicht nur über Informationsrechte, sondern auch über Mitentscheidungs- und Initiativrechte. Zu den Mindestanforderungen zählen die wöchentliche Überprüfung der Liquiditätssituation und die monatliche Überprüfung des Eigenkapitals.
Üppiger Haftungskatalog
Auch wesentliche geschäftsspezifische Indikatoren, die zur Beurteilung der aktuellen Situation und zur Überwindung der Krise notwendig sind, müssen angefragt werden.
Die Liste der Haftungsrisiken ist lang. Das Notiz-Amt benennt die wichtigsten Versäumnisse: Insolvenzverschleppung, Unterlassung von Schadensersatzforderungen gegenüber dem Management, Billigung von Investitionen ohne jegliche Erkundung über die Herkunft des Kapitals, Nicht-Einberufung einer Sondersitzung in der Krise, Nicht-Überwachung des Vorstandes in der Krise. Jeder dieser Anklagepunkte war in den zurückliegenden fünf Jahren Gegenstand rechtlicher Schritte gegen den Aufsichtsrat insolventer Unternehmen.
Image “Anzüge” (adapted) by Snapwiresnaps.tumblr.com (CC0 Public Domain)
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Schlagwörter: Aufsichtsrat, Berufe, kontrolle, Verantwortung