Pathfinder: Wrath of the Righteous soll erneut ein Fest für Old School-Rollenspieler werden. Während sich Baldur’s Gate 3 und Solasta: Crown of the Magister mit der Dungeons & Dragons-Lizenz austoben, verwendet das Pathfinder-Spiel die gleichnamige Lizenz des größten D&D-Konkurrenten. Doch lohnt sich Pathfinder: Wrath of the Righteous für jeden?
Als leidenschaftlicher Fan von Pen & Paper-Rollenspielen hatte ich mich bereits in die 2. Beta des Rollenspiels gestürzt und zocke mich nun durch die finale Version des Fantasy-Kreuzzuges. Wie gut wird das Regelwerk umgesetzt? Holt es eher Veteranen oder Anfänger ab? Wie gut ist die Story? Im Pathfinder: Wrath of the Righteous Test beantworten wir euch diese und viele andere Fragen.
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Eine erdrückende Charaktererstellung
Die Charaktererstellung erinnert ein wenig an die erste Bestellung bei Subways: Man weiß noch gar nicht, was man genau möchte, muss sich aber trotzdem zwischen Unmengen an Auswahlmöglichkeiten entscheiden.
Die 12 verschiedenen Völker sind dabei das geringste Problem. Diese bieten ein paar spezifische Vor- und Nachteile, aber man kann weitgehend die Rasse nehmen, die einem am meisten anspricht. Neben bekannten Völkern wie Menschen, Elfen und Zwergen sind auch unüblichere Fantasy-Völker dabei. Die Kitsune – fuchsartige Gestaltwandler – oder die Dschinn-verwandten Oread bringen auch ein paar exotischere Nuancen ins Spiel. Sogar einen Halbvampir dürft ihr zu eurem Hauptcharakter machen.
Schwierig wird es mit den Klassen, welche bestimmen, welche Fähigkeiten euer Charakter beherrscht. Hier gibt es ganze 25 Klassen zur Auswahl, von der jede nochmal 4 bis 7 Abwandlungen besitzt, die einige Fähigkeiten der Basisklasse streichen und durch neue ersetzen. Das stellt mitunter die Rolle der Klasse im Kampf auf den Kopf. Zusätzlich gibt es sogenannte Prestigeklassen, die man in späterem Verlauf wählen kann, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Das sind insgesamt über 100 Unterklassen, die ihr zudem im Verlauf des Spiels miteinander kombinieren könnt.
Zwar habe ich eher wenig Erfahrung mit dem Pathfinder-Regelwerk, bin aber durch das Dungeons & Dragons 3.5-Regelwerk, auf dem Pathfinder basiert, trotzdem recht vertraut mit dem System. Trotzdem habe auch ich mich mit der Entscheidung schwer getan, welche Klasse ich wähle und brauchte über eine Stunde für die Charaktererstellung. Dabei habe ich aber auch einiges auf Google über die Klassen nachgeschaut. Für Neulinge muss das ganze noch überwältigender sein. Immerhin verteilt man auch selbstständig die Attribute des Charakters, wählt Talente aus einer schier endlosen Liste aus und muss sich als Magiewirker für die ersten Zauber entscheiden. Zumindest gibt es aber auch ein paar fertige Charaktere, mit denen ihr direkt ins Abenteuer starten dürft.
Ein epischer Start
Ich bin ja eigentlich mehr ein Freund etwas bodenständigerer Geschichten. Es muss nicht immer der auserwählte Held sein, der die ganze Welt rettet. Mir reicht es schon, als Abenteurer lokale Berühmtheit zu erlangen.
Pathfinder: Wrath of the Righteous hält allerdings wenig von verklärter Abenteurer-Romantik. Nichts mit „Ihr befindet euch in der Taverne“ oder „Hilfe, ich habe Ratten im Keller!“. Hier geht es vom ersten Moment an richtig zur Sache. Das Abenteuer spielt an der Weltenwunde, einer riesigen Schlucht, die eine Verbindung zum Abyss ist, von dem aus Dämonen die Welt der Sterblichen ins Chaos stürzen wollen.
Schon innerhalb kürzester Zeit bekommen wir die Übermacht dieses bedrohlichen Feindes zu spüren und sind selbst natürlich der Schlüssel für den mittlerweile fünften Kreuzzug gegen die Dämonen. Da diese Aufgabe jeden Normalsterblichen überfordern würden, schlagen wir im Verlauf des Spiel neben unserer Charakterklasse auch einen von 9 Mystischen Pfaden ein, die uns zusätzlich Kräfte von Engeln, Dämonen oder anderen übermenschlichen Mächten verleihen. Daher lohnt sich Pathfinder: Wrath of the Righteous vor allem, wenn ihr gerne der Retter der Welt seid und einen recht düsteren Grundton schätzt.
Diese Ausgangslage epischen Ausmaßes wurde übrigens nicht extra für das Spiel geschrieben. Wie schon beim Vorgänger Pathfinder: Kingmaker, stand eine offizielle Kampagne der Pen & Paper-Vorlage Modell für das Spiel. Die Umsetzung ist aber grandios gelungen. Gerade weil es schnell um einen herum kracht und scheppert, zieht einem die Spannungskurve gleich mit. Trotzdem kann man in den ersten Stunden auch viel Zeit damit verbringen, in Gesprächen mehr über die Welt und auch besagte Weltenwunde zu erfahren. Vor allem die Gefährten haben so einiges zu erzählen.
Aber lassen wir doch den Launch-Trailer mal für sich sprechen:
6 Helden müsst ihr sein
Ganz in alter CRPG-Tradition seid ihr auch in Pathfinder: Wrath of the Righteous nicht allein. Auf eurer Reise lernt ihr zahlreiche potentielle Begleiter kennen, von denen euch immer bis zu 5 Gefährten unterstützen können. Wen ihr mitnehmt, könnt ihr von eurer Ausgangsbasis immer selbst bestimmen. Neben den wirklich gut geschriebenen Charakteren mit eigener Persönlichkeit und Motivation, darf der geneigte Tüftler auch komplett eigene Begleiter erstellen.
Wer also gerne jedes Gruppenmitglied perfekt aufeinander abstimmen will, darf sich im Editor nach Herzenslust austoben. Trotzdem lohnt sich Pathfinder: Wrath of the Righteous aus meiner Sicht vor allem mit den Story-Begleitern zu spielen. Sie bringen einfach etwas mehr Persönlichkeit mit. Ich war schon beim Vorgänger ein Fan von den kleinen Dialogfetzen beim nächtlichen Rasten. Da unterhalten sich nämlich meist zwei Charaktere über Vergangenheit, Ziele oder persönliche Ansichten. Es sind zwar Dialoge in denen wir selbst nur Zuschauer sind, aber es macht Spaß, die verschiedenen Persönlichkeiten im Gespräch untereinander zu beobachten.
Aber auch ihr werdet einige Dialoge mit euren Begleitern haben, die alle möglichen Gesinnungen abdecken und auch entsprechend Erwartungen an eure Taten haben. Die eigenen Entscheidungen können daher dazu führen, dass Begleiter euch verlassen oder sich im schlimmsten Fall sogar gegen euch wenden. Das trägt natürlich erheblich zum Wiederspielwert bei.
Wie autonom eure Begleiter spielerisch agieren, dürft ihr übrigens selbst bestimmen. Beim Level-Up könnt ihr eure Gefährten (und auch euren eigenen Charakter) automatisch die Entscheidungen für neue Fähigkeiten treffen lassen oder sie für jeden Charakter selbst bestimmen. Auch im Kampf könnt ihr euch entweder nur um euren eigenen Charakter kümmern oder die Aktionen aller Charaktere persönlich übernehmen. Gerade auf höherem Schwierigkeitsgrad kommt ihr aber nicht um die Eigenregie herum. Wer jede Aktion der Gruppe bestimmt, kann Zauber und Fähigkeiten einfach viel zielgerichteter einsetzen.
Pausierbare Echtzeit oder Rundenkampf
Entwickler Owlcat Games hat offenbar auf die Community reagiert. Im Vorgänger Pathfinder: Kingmaker fanden Kämpfe ausschließlich in pausierbarer Echtzeit statt. Das bedeutet, dass alle Teilnehmer ihre Aktionen parallel in Echtzeit ausführen, wir aber jederzeit das Spiel pausieren können, um unseren Heldentruppe neue Befehle zu geben. Findige Spieler entwickelten jedoch eine Mod, die das Spiel komplett rundenbasiert machte und damit ein Stück weit auch an Divinity: Original Sin 2 erinnerte. Auch für mich war die Mod ein Segen, da es noch mehr den taktischen Charme der Tabletop-Vorlage versprühte.
Bei Pathfinder: Wrath of the Righteous hält der Rundenmodus offiziellen Einzug ins Spiel. Dabei dürfen wir jederzeit frei zwischen dem neuen Rundenmodus und pausierbarer Echtzeit wechseln. Bei der pausierbaren Echtzeit gibt es zudem unzählige Einstellung, bei welchen Ereignissen automatisch pausiert werden soll – etwa wenn ein Feind auftaucht oder wenn ein Gruppenmitglied Schaden erleidet. Die pausierbare Echtzeit ist auch weiterhin auch der Fokus, um den die Schwierigkeit der Begegnungen ausgelegt sind.
Anpassungsmöglichkeiten bietet auch der Schwierigkeitsgrad des Spiels. Neben vorgefertigten Schwierigkeitsgraden können wir beispielsweise einstellen, wie stark Gegnergruppen sind, ihren generellen Schadensoutput per Slider skalieren oder bestimmen, ob kritische Treffer gegen unsere Charaktere etwas abgeschwächt werden sollen. Der unbarmherzige „The Last Azlanti“-Modus ist zudem ein optionaler Permadeath-Modus, bei dem der Spielstand gelöscht wird, sobald ihr sterbt.
Ein CRPG alter Schule, aber mit neuen Ideen
In erster Linie lohnt sich Pathfinder: Wrath of the Righteous vor allem für Liebhaber alter CRPGs. Es liegt einfach dieser Charme eines Baldur’s Gate oder Neverwinter Nights in der Luft. Wer vorher jedoch noch nie Berührung mit Pathfinder oder einem ähnlichen System hatte, läuft erst einmal gegen eine Wand.
Die sehr genaue Umsetzung der Pen & Paper-Vorlage bedeutet ein Monstrum von System, das im Hintergrund arbeitet. Die größte Herausforderung stellt aber ausgerechnet die unglaubliche Freiheit dar. Während euch viele reine Videospiel-Systeme bewusst eingeschränkte Optionen vorgeben, habt ihr hier die volle Freiheit. Ein Magier mit einem IQ unter 70? Ein Krieger, der kaum seine eigene Waffe heben kann? All das dürft ihr machen, ist aber nicht zu empfehlen.
Das Spiel selbst setzt übrigens auch voraus, dass ihr euren Charakter halbwegs optimiert. Möchtet ihr also lieber einfach die Charaktere so entwickeln, wie ihr sie passend findet, anstatt eine Wissenschaft daraus zu machen, ist es absolut keine Schande, den Schwierigkeitsgrad runterzuschrauben. Lasst euch da nicht zu sehr von optimierten Builds im Internet abschrecken. Auf Reddit und in Foren sind oft absolute Regelnerds unterwegs. Eine gute Anregung sind die Builds daher allemal – ihr müsst sie aber nicht 1 zu 1 so umsetzen.
Neue Akzente setzt das Spiel abseits des Pathfinder-Regelwerks. Wo ihr im Vorgänger nebenher ein eigenes Königreich aufbauen musstet, führt ihr bei Pathfinder: Wrath of the Righteous eine Kreuzzugarmee an. Diese Schlachten erinnern dabei herrlich an die Kämpfe des Strategieklassikers Heroes of Might and Magic. Es ist aber eben auch nochmal ein zusätzliches System, dass sicherlich nicht jedem Spieler gefallen wird. Außerdem mangelt es den Schlachten trotz vieler verschiedener Truppen, Zauber und Ressourcenmanagement an richtiger Spieltiefe.
Noch nicht alles rund in der finalen Version
Eigentlich sollte Pathfinder: Wrath of the Righteous etwas kürzer werden als sein Vorgänger. So wirklich gelungen ist das aber nicht. Auch im Sequel kann man gut und gerne über 100 Stunden für die Kampagne benötigen. Je mehr Zeit ihr im Rundenmodus spielt, desto mehr Zeit könnt ihr nochmal draufrechnen. Für Genre-Fans wird die epische Länge jedoch kaum ein Fallstrick sein. Diese sind befinden sich eher auf technischer Seite.
Manchmal fehlen noch immer einzelne Charakterporträts in Dialogen und auch die leider nicht komplette Vertonung des Spiels frustriert etwas. Gerade weil die Sprecherriege hervorragende Arbeit leistet, ist es schade, dass nur die wichtigsten Charaktere und auch diese nur in Dialogen wichtiger Quests vertont sind. Wrath of the Righteous ist ein Nischentitel mit gigantischer Textmenge, aber eine so unvollständige Sprachausgabe fühlt sich 2021 einfach nicht zeitgemäß an.
Auch Kameraregie und Animationen wirken teils etwas unfertig. Es kommt beispielsweise zwischendurch zu kurzen schwarzen Bildschirmen in der Überblendung nach geskripteten Dialogen. Auch die Animationen an sich wirken oft einfach etwas steif, obwohl insgesamt an der Optik samt erstklassiger Wettereffekten geschraubt wurde. Kleinere bis mittelgroße Bugs stören zudem immer mal wieder das sonst großartige Spielerlebnis.
Fazit: Lohnt sich Pathfinder: Wrath of The Righteous im Test?
Auch das zweite Spiel des Entwicklers Owlcat Games ist ein Fest für CRPG-Fans des alten Schlags. Wo Dungeons & Dragons mittlerweile einige Freiheiten zugunsten der Zugänglichkeit geopfert hat, bietet das grandios umgesetzte Pathfinder-Regelwerk deutlich mehr Möglichkeiten. Trotz verbesserter Tutorials ist das Spiel damit aber nicht gerade einsteigerfreundlich. All zu klein ist die Zielgruppe aber wohl trotzdem nicht: Ganze 35.092 Unterstützer finanzierten die Kickstarter-Kampagne mit 2.054.339 US-Dollar (300.000 war das Finanzierungsziel). Kurz vor Release erklomm das Spiel sogar die Spitze der Steam-Charts.
Nach dem starken Erstlingswerk des Studios wusste man allerdings auch in etwa, was man bekommt. Aufbauend auf dem Vorgänger hat man aber hier und da nochmal eine Schippe draufgelegt. Gerade das Storytelling wirkt noch etwas ausgereifter. Das kann aber auch der deutlich düstereren Ausgangslage verschuldet sein. Allein deswegen macht es Sinn, dass es diesmal nicht ganz so viele Nebenschauplätze zu erkunden gibt und der Fokus somit stärker auf der Hauptstory liegt.
Die Hauptstory könnte dem ein oder anderen aber auch etwas zu over the top sein. Von Anfang an geht es mit Drachen, Dämonen und Engeln zur Sache und man selbst nimmt früh die Rolle des Auserwählten ein. Es muss eben nicht jedes Abenteuer beschaulich in der Taverne anfangen. Selbst als Fan bodenständigerer Abenteuer hat mich die Story sehr schnell gepackt. Vor allem da viele Charaktere gut geschrieben und selbst die aufrechtesten Personen ihre Blutflecken auf der Seele haben. Darum lohnt sich Pathfinder: Wrath of the Righteous auch für alle, die gute Geschichten und World Building genießen.
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Image by Owlcat Games via IGDB
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