Lohnt sich Workers & Resources: Soviet Republic?

Stellt euch vor, ihr habt gerade die (erste) Kampagne eines komplexen Aufbauspiels erfolgreich durchgespielt, nur um danach zu erfahren, dass ihr noch gar nichts von dem Spiel wisst. Genau das ist in Workers & Resources: Soviet Republic der Fall. Doch lohnt sich Workers & Resources: Soviet Republic deshalb oder haben wir es einfach nur mit schlechtem Game-Design zu tun?

Um diese Antwort vorwegzunehmen: Schlechtes Game-Design kann man dem Spiel wirklich nicht vorwerfen. Stattdessen geht es einfach in Tiefen, die sich Konkurrenten wie Cities Skylines noch nicht getraut haben, die aber auch stark vom Setting profitieren. Warum ich in dem Spiel mein persönliches Aufbau-„Dark Souls“ gefunden habe.

Was ist Workers & Resources: Soviet Republic?

Im Kern ist Workers & Resources: Soviet Republic eigentlich nicht einmal ein City Builder. Wie der Name es schon verrät, baut ihr nämlich eure eigene sowjetische Republik. Auf den wirklich gigantischen Karten bauen wir also viel mehr ein eigenes Land mit mehreren Städten auf, dass sich dem Setting entsprechend am besten vollständig selbst versorgen kann. Für mich steht das Genre ganz getreu dem Setting fest: „Planwirtschaft“

Während es bei mittelalterlichen Spielen recht stimmig war, alles selbst zu entscheiden, ist es bei Städteplanern in der Moderne eigentlich immer etwas unrealistisch. Bei Workers & Resources ist dieser Aspekt so passend wie sonst nirgends. Es geht sogar noch einige Schritte weiter. So benötigen wir nicht zwingend Geld zum Bau, sondern bauen nach Möglichkeit kostenlos mit unseren eigenen Arbeitern und Ressourcen – da ist er wieder, der Titel des Spiels.

Im optionalen Realismus-Modus geht das sogar so weit, dass wir selbst eingekaufte Ressourcen und Arbeitskräfte erst von der Grenze abholen und in Reichweite lagern müssen. Selbst Baufahrzeuge müssen wir in der Nähe der Baustelle In Bauämtern zur Verfügung stellen. Im normalen Modus spielt sich Workers & Resources dagegen mehr wie ein recht typischer Stadtplaner. Das Gute: Wir können jederzeit in den Einstellungen an der Realismus-Schraube drehen und auch einzelne Systeme zuschalten.

Optisch solltet ihr von dem Spiel aber nicht zu viel erwarten. 3Division ist ein sehr kleines slovakisches Studio und so ist die Grafik eher zweckdienlich. Zum anderen bauen wir aber keine futuristische Utopie, sondern eine Sowjetrepublik. Der Brutalismus mit seinen Betonklötzen bietet halt wenig Platz für Schöngeist.

Durch den Infrastruktur-Aspekt entstehen aber am Ende trotzdem glaubhafte Städte – die auf ihre Art dann doch irgendwie „hübsch“ sind.

Die Kampagne von Workers & Resources: Soviet Republic

Schöngeist dürft ihr auch nicht in der Kampagne erwarten. Auch die ist eher zweckdienlich gehalten und soll euch nach und nach die Gameplay-Mechaniken näherbringen. Trotzdem finde ich den Missionsaufbau in Baumstruktur ganz gut gelöst. Nach den ersten Basics kann ich so selbst entscheiden, welchen Aspekt der Stadt ich angehen will.

So kann ich etwa nach Aufbau der Kohleindustrie direkt mit der Folge-Aufgabe weiter Richtung Stahl gehen oder lieber erst einmal die Nahrungsindustrie ankurbeln. Die Krönung der ersten Kampagne ist dann die Selbstversorgung der Stadt über einen bestimmten Zeitraum. Gut, Selbstversorgung bedeutet an dieser Stelle nur Nahrung, Alkohol und Kleidung – trotzdem fühlt sich das schon echt gut an.

Sein Setting nimmt das Spiel anders als Tropico dabei eher ernst. Gerade darum hätte man die Kampagne erzählerisch vielleicht nochmal besser verpacken können. Das Spiel verschenkt dort etwas pädagogisches Potential.

In der zweiten Kampagne zieht die Herausforderung übrigens ordentlich an – für mich ging es dann aber doch lieber ins freie Spiel. Dort reizte mich schon vorher eine besondere Spieloption.

Realismus an – Der Staat im Micromanagement

Schon im „normalen“ Modus kann man mit dem Spiel viel und lange Spaß haben. So richtig lohnt sich Workers & Resources: Soviet Republic aber erst im Realismus-Modus. Vorbei sind die Zeiten, in denen importierte Waren sofort im Lager sind und Häuser in Windeseile stehen. Der Bau braucht Zeit, die Materialien müssen in Reichweite gelagert werden und auch die richtigen Baufahrzeuge müssen wir erst einmal kaufen. Bevor die erste Stadt Gestalt annehmen kann, müssen wir erst eine Infrastruktur schaffen, damit wir sie bauen können.

Ähnliches gilt für den Abriss. Auch der Abriss von Gebäuden braucht Arbeiter und Fahrzeuge für Abriss sowie den Abstransport des Bauschutts. Für Müll an sich gibt es eine ganze (optional aktivierbare) Industrie, die sich auch um anfallenden Müll der Industrie und Privathaushalte kümmert. Dieser kann anschließend verbrannt, über die Grenze geschafft oder getrennt und neu verwertet werden.

Der Modus ist allerdings für Genre-Puristen und Entwickler 3Division tut gut daran, ihn nicht zum Standard-Modus gemacht zu haben. Einsteiger wird er überfordern und selbst Genre-Veteranen sollten sich erst über den Normalmodus herantasten. Fehlplanungen zu Beginn können euch nämlich noch viele Spielstunden später den Spielstand ruinieren.

Und doch ist es genau dieser Modus, der das Spiel von der Genre-Konkurrenz abhebt. Wir pinseln uns hier keine Stadt aus Gebäuden. Die Stadt ist am Ende das Ergebnis vieler kleiner Einzelteile, die sich zu einem großen zusammenfügen. Es ist mühsam, es kostet graue Haare oder gar kahle Stellen am Kopf, aber es befriedigt auf eine ganz andere Art, wenn die erste Stadt nach langer Vorarbeit steht und sich weitgehend selbst versorgen kann.  

Komplexität vs. Nutzerfreundlichkeit

Graue Haare verursacht zum Teil aber auch die Bedienung des Spiels. Die läuft mehr unter dem Motto „Wenn man sich erst einmal eingespielt hat, geht es eigentlich“. Das selbe konnte man auch über Dwarf Fortress vor dem Steam-Release sagen. In beiden Fällen ist es neben der Komplexität aber eine zusätzliche Hürde.

Hier fehlen mir die einfach zu bedienenden Straße-Tools eines Cities Skylines 2. Gewundene Straßen sind etwas mehr Arbeit, Straßen T-Kreuzungen im 90 Grad-Winkel eine Herausforderung und möchte ich irgendwo eine harte Abbiegung, besteht das Spiel auf eine Kurve für dessen Radius gerade kein Platz ist. Ich hatte auch schon Gebäude die sich zwar automatisch an die Straße anschlossen, als ich diese jedoch neu gezogen habe zu nah waren um sie manuell anzuschließen, weshalb ich die Gebäude abreißen und neu bauen musste.

Ähnliches bei Gebäuden: Das Rotieren bringt Gebäude selbst bei feinerem Einstellung mit gedrückter STRG-Taste selten ganz parallel zur Straße. Und so schön es ist, dass die Gebäudegrößen keinem Grid unterworfen sind, so schwierig ist es, diese entlang einer Straße auf exakt gleicher Höhe auszurichten. Man hätte zumindest für noch nicht gebaute Gebäude die Möglichkeit geben sollen, diese noch etwas hin und her zu verschieben, bis man zufrieden mit dem Layout ist.

Auch das Interface passt zwar optisch sehr gut zum Setting und bietet viele Zahlen – Anfänger bekommen aber selten gesagt, was das Problem ist oder wie es behoben wird. Zum Glück gibt es im Internet einiges an Guides.

Doch es stimmt: Hat man sich erst eingespielt, lernt man auch die hakelige Steuerung zu meistern.

Eine Republik statt einer Stadt

Ein Unterschied zu anderen Stadtplanern ist, dass wir eigentlich keine Stadt, sondern eine ganze Republik bauen. Die einzelne Stadt ist dabei mitunter oft eher klein. Das liegt aber auch daran, dass man am besten alle Bedürfnisse in Fußreichweite haben sollte. PKWs sind ein Luxusgut und auch bei öffentlichen Verkehrsmitteln mögen die Bürger keine langen Reisezeiten. Selbst wenn man größere Städte baut, sind diese oft eher ein Zusammenschluss von Nachbarschaften, die an sich autark die Bedürfnisse ihrer Bewohner erfüllen. Bus und Bahn sind hier mehr ein Transportmittel um die Ressource „Arbeitskraft“ ins Industriegebiet zu bringen.

Der Mensch folgt dabei oft den Ressourcen. Einige Ressourcen decken wir dabei erst mit der Forschung an den Universitäten auf. Ist die nächste Kohle-Ader beispielsweise weit entfernt, bleibt uns nichts anderes übrig, als dort ein neue kleine Stadt zu errichten, um die Arbeiter in der Nähe zu haben. Mitunter müssen wir wegen der Reichweite von Baubüros und Arbeitern sogar kleine Dörfer als Zwischenstationen aufbauen.

Die Grenze zum Nachbarland stellt sich außerdem schnell als Flaschenhals heraus. Auf der Straße kommt man schnell an das Limit der leider sehr ineffizienten Abfertigung. Züge können da besser parallel an der Grenze abgefertigt werden und haben ganz andere Kapazitäten. Sie sind allgemein ein wichtiges Mittel, um Ressourcen an Verteilungspunkte oder weiter entfernte Industrien zu bringen.

Apropos Verteilung: Feste Transportrouten werden schnell von Verteilungszentren für LKW, Bahn oder Schiffe abgelöst. Diese schicken automatisch Fahrzeuge auf den Weg, wenn Waren automatisch ausgewählte Lager einen bestimmten Lagerbestand unterschreiten. Trotzdem hätte ich mir hier auch mehr Einstellungsmöglichkeiten für die klassischen Linienverbindungen gewünscht, die leider nicht darauf achten, wie viel Platz überhaupt im Ziellager ist. Das macht Verteilungszentren in den meisten Bereichen unverzichtbar.  

Eine stark begrünte Stadt in Workers & Resources: Sovjet Republic
Irgendwie doch ganz hübsch. Wenn die Städte erst einmal stehen und sich im Hintergrund die Industrien abzeichnen, sieht das Spiel dann doch ganz ordentlich aus.

Lohnt sich Workers & Resources: Soviet Republic? – Das Fazit

Habt ihr diese Woche schon über den Sozialismus nachgedacht? Nein? Ich eigentlich auch nicht – hätte ich nicht mit Workers & Resources: Societ Republic angefangen. Wenn ich mir meine Traumstadt bauen würde, wäre Ostblock-Brutalismus wohl auch das letzte woran ich denke.

Überraschenderweise liebe ich das Spiel nun gerade für sein Setting. Eine Sowjetrepublik bedeutet nämlich Planwirtschaft. Und genau das ist das Spiel: Kein City Builder in dem ihr euch schnell eine Stadt auf die Landschaft pinselt, sondern Logistik. Mehr Factorio oder Transport Fever 2 als Cities Skylines.

Und was bin ich froh, meine Bewertung des Spiels nicht in eine feste Wertungs-Zahl gießen zu müssen. Für Genre-Einsteiger ist das Spiel nämlich auch ohne Realismus-Einstellung bereits harte Kost. Dass es optisch altbacken wirkt und die Steuerung und UI nicht unbedingt komfortabel sind, macht das nicht unbedingt einfacher. Dennoch lässt sich das Spiel auch weitgehend als halbwegs typischen Städtebau im Sowjet-Setting spielen.

Strahlen tut der nackte Beton aber erst im Realismus-Modus. Sich die komplette Versorgungsinfrastruktur bauen zu müssen, bevor man überhaupt überhaupt die erste Stadt hochzieht, ist einfach erfrischend anders. Allein an der Abfall-Logistik kann man stundenlang tüfteln. Es ist eines der Spiele, die man eigentlich als Qualifikation im Lebenslauf angeben sollte, wenn man sich für einen Logistik-Job bewirbt.

Die Empfehlung geht also klar an Genre-Veteranen, die bereit sind sich erst einmal in ein Spiel reinzuarbeiten. Belohnt wird das dann mit einer ungeheuren Spieltiefe. Und auch wenn es grafisch schönere Titel gibt: Gerade durch den logistischen Rahmen entsteht eine Mini-Republik die einfach realistisch wirkt.

Fun Facts

Hier noch ein paar interessante und kuriose Fakten zum Spiel, bei denen Teilweise auch etwas mit dem sonstigen Realismus gebrochen wird

  • Ein Tag in Workers & Resources: Soviet Republic hat 60 Stunden. Das ist bei der Berechnung der Stromversorgung zu berücksichtigen.
  • Damit die virtuellen Bewohner schneller ihre Lebensphasen durchlaufen, leben sie in etwa 2 Jahre im Spiel.
  • Das Studio 3Division kommt aus dem slovakischen Košice. Die Ladebildschirme zeigen ältere Bilder von Košice, das ganz offensichtlich Modell für viele Gebäude im Spiel gestanden hat.
  • Obwohl das Spiel sein Setting im Vergleich zur Tropico-Reihe ernst nimmt, gibt es trotzdem ein paar kleine Seitenhiebe. Zum Beispiel mit dem Steam-Achievement „Wahrer Kommunist“: Das erreicht ihr, wenn ihr bei einer Bevölkerung von über 10.000 eine Alkoholabhängigkeit von 80% schafft. Na zdraví!
  • Der deutsche History Let’s Player Steinwallen hat kürzlich nach über 450 Folgen seine Let’s Play-Serie zum Spiel abgeschlossen. Er spielte dabei noch immer den selben Spielstand, den er bereits in einer frühen Phase des Early Access begonnen hatte.
  • Laut Steamdb spielten an der Spitze gut 2 Wochen nach finalem Release 8,264 Spieler zugleich. Die Bewertungen sind zu 91% (Stand August 2024) positiv.

Image by 3Division

Das Internet ist sein Zuhause, die Gaming-Welt sein Wohnzimmer. Der Multifunktions-Nerd machte eine Ausbildung zum Programmierer, schreibt nun aber lieber Artikel als Code.


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