Das Buch „Art and the Internet“ bietet einen undurchdachten und unvollständigen Überblick über die Einflüsse des Internets auf die Kunst. // von Dr. Tilman Baumgärtel
Die Auseinandersetzung mit dem Einfluss des Internets auf die Kunst ist in den letzten Jahren nahezu zum Erliegen gekommen. Mit „Art and the Internet“ wird versucht, etwas diesem Trend entgegen zu stellen, doch fehlt hierbei leider doch der Mut, sich mit den fruchtbaren Einflüssen des Internets auf die Kunst ehrlich auseinanderzusetzen.
Das frühe Internet – Ein Spielplatz für Künstler
Schon der erste Satz in diesem Buch ist falsch.
„Artists have subverted and toyed with the internet since its conception“ – so beginnt das Mini-Vorwort des vorliegenden Buchs.
Ach wirklich?
Die „conception“ des Internets – also wörtlich seine „Empfängnis“, eher aber wohl seine Erfindung – fand, je nach individueller Geschichtsschreibung, irgendwann um 1970 statt. Gelehrte mögen sich über den genauen Zeitpunkt streiten – Studenten der Medienwissenschaft lernen heute auf jeden Fall, dass das Internet in seiner formativen Phase in den 1970er und 1980er Jahre ein Medium für Militärs und Akademiker gewesen ist – ein „Zwischennetz“ (inter-net), zwischen universitären und kriegerischen Computernetzen.
Künstler? Zu dieser Zeit im Internet? Keine Chance!
Erst als Sir Tim Berners-Lee 1989 mit dem WWW-Protokoll eine per Point-and-Click auch für Nicht-Nerds bedienbare grafische Benutzeroberfläche für das Intergalactic Computer Network geschaffen hatte, wurde das Netz zu einem potentiellen Spielplatz für Künstler. (Einige von ihnen hatten sich freilich zu dieser Zeit schon die Mailboxen als locus künstlerischer Vernetzung zueigen gemacht.) Was folgte war ab Mitte der 90er Jahre eine Blüte von Internetkunst, das Zeitalter der net.art.
Das Internet als „Ort“ der Kunst
Das vorliegende Buch will den thematischen Rahmen weiter spannen, und das tut es eigentlich auch zu Recht. Über die Kunst, die das Internet als „Ort“ nutzt, ist zwar letztlich auch noch nicht so viel geschrieben worden, wie das Thema es verlangen würde, doch gleichzeitig hat das Internet den Kunstbetrieb inzwischen wohl wesentlich grundsätzlicher umformatiert, als dieser es sich selbst bisher eingestanden hat.
Ein viel beachteter Artikel des amerikanischen Kunstkritikers Michael Sanchez, der 2011 in Art Forum erschien, wies auf die Bedeutung hin, die getwitterte Bilder von Ausstellungseröffnungen inzwischen für die Rezeption auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten der Gegenwartskunst spielen. (Anm. d. Autors: Wäre der Text selbst im Netz gewesen, wäre er wahrscheinlich „viral gegangen“. Aber so weit, diesen Artikel auf der Website des Kunstmagazins zugänglich zu machen, ging das Interesse vom Art Forum am neuen Medium dann doch nicht.)
Mangelnde Präzision
Dass die Omnipräsenz des Internets in den letzten 20 Jahren auch Einfluss auf traditionellere Kunstformen wie Malerei, Skulptur oder Installation gehabt haben muss, ist eine interessante These, die man gerne von ausgewiesenen Experten wie dem Mitherausgeber Dominico Quaranta erklärt bekommen hätte. Alternativ hätte es auch eine Einführung in die Entwicklungen getan, die gegenwärtig unter dem Label „Post-Internet Art“ gehandelt werden – als Werke, die zwar das Netz zur Voraussetzung haben, ohne dieses aber aktiv und medienspezifisch zu thematisieren.
„Art and the Internet“ entscheidet sich gegen all diese potentiell fruchtbaren Optionen, und liefert einen undurchdachten Überblick über Kunst, die irgendwas – was genau wird nie präzise thematisiert – mit dem Internet zu tun hat. So finden sich hier kurze und oberflächliche Beschreibungen von Schlüsselwerken der Netzkunst neben Darstellungen von Arbeiten, die sich in irgendeiner Form auf das Netz beziehen. Wer mehr über die Netzkunst der 90er Jahre erfahren wird, wird um einige Schlüsselwerke – wie den „Toywar“ von Etoy – betrogen; wer eine Einführung in die „Post-Internet Art“ wünscht, wird das Buch ebenfalls unzufrieden aus der Hand legen.
Falscher Fokus: Titel statt Thema
Wie konnte das geschehen? Schlichte Ahnungslosigkeit scheidet aus, da Mitherausgeber Quaranta es eigentlich besser wissen müsste, wie er durch seine Publikationen bewiesen hat.
„Management by Comittee“ – das kommen wir dem Problem schon näher. Irgendwie drängt sich der Verdacht auf, dass hier die Buchhandelsvertreter des Verlags mit der „Big-Data“-Erkenntnis von ihren Angebotstouren durch die Buchhandlungen zurückgekehrt sind, dass ein Buch mit diesem Titel verkäuflich sein müsste – das Internet ist halt ein Riesenthema. Details – wie der Inhalt – scheinen dann bei der Gestaltung des Buchs, eine Art Coffeetable-Book, eine sekundäre Rolle gespielt zu haben.
So vergurkt dieses Opus auch ist, so hat es doch eine Qualität: es erinnert uns daran, dass seit längerer Zeit über Netzkunst – Bücher wie „Internet Art“ von Rachel Greene aus dem Jahr 2004 oder „New Media Art“ von Mark Tribe und Reena Jana aus dem Jahr 2007 liegen doch schon einige Zeit zurück – nichts Substantielles in Buchform mehr zu diesen Thema veröffentlicht wurde. „Art and the Internet“ mag an seinem im Titel formulierten Anspruch scheitern – idealerweise könnte und sollte es als Erinnerung dienen, dass es zum Thema Kunst und Internet noch einiges zu sagen gibt. Wenn auch nicht in dieser Publikation.
Joanne McNeil, Domenico Quaranta, Nick Lambert (Hrsg.): Art and the Internet, London 2013 (Black Dog Publishing), US 29,95$
Teaser & Image by Ace0fredspades (CC BY-ND 3.0)
Artikel per E-Mail verschicken
Schlagwörter: Art, buch, Internet, Kunst, Management by Comittee