Wer in den letzten Jahren eine öffentliche Diskussion verfolgt hat, der hat früher oder später den Halbsatz gehört, “dass die Politik ein Problem hat, ihre Inhalte zu kommunizieren”. Man lastet dies gern den Politkern an, die nicht im Stammtischdeutsch sprechen. Manchmal sind auch die Verbände, PR-Abteilungen oder die Journalisten die Schuldigen. Aber so ganz klar ist der eigentliche Sachverhalt offenbar nicht. Verschwörungstheoretiker könnten auf die Idee kommen, diese Nebelschwaden um Entscheidungen und politische Machtausübung seien strategischer Natur, um das Volk unwissend zu lassen. Das Problem liegt leider tiefer.
Welt und Markt
Im Rahmen der endlosen Diskussion um den guten Qualitätsjournalismus der druckmaschinenbesitzenden Bewahrer des guten Wissens versus den guerillaähnlichen Blogger im Netz kristallisierten sich zwei Kernpunkte heraus. Es gibt eine Pflicht, die Wahrheiten und Erlebnisse so zu filtern, dass alle im Volk sie verstehen können im Rahmen des Markenkerns den jede Zeitung/Sender/Magazin darstellt. Der zweite Kernpunkt ist der Inhalt als handwerkliches Produkt. Das bedeutet, dass man nicht einfach die Erlebnisse 1:1 abfilmt oder aufzeichnet. Es muss alles dem professionellen Handwerk der Kameraleute, Radioreporter oder Zeitungsjournalisten entsprechen.
In dieser Diskussion rund um das Verbreiten der Inhalt via analoge Druckmaschine oder per Internet fiel sehr oft das Wort Content. Manche bezeichneten die atomisierten Erzeugnisse der journalistischen Profis als Information. Die Befürworter des neu erfundenen Qualitätsjournalismus – als Etikett gegen die schludrige Webwelt – kennzeichneten die hoheitliche Aufgabe der wahren Medien als das Filtern (gatekeeping) bestimmter Informationen angesichts der enormen Flut an täglich einprasselnden Geschehnissen in der Welt.
Die Freunde der digitalen Plattform stellten die einfach zu erlernende Publikationsplattform sowie das dialogische Prinzip der Blogs in den Mittelpunkt. Da man gemeinhin Medien als ein Werkzeug für die Verbreitung von Inhalten an viele Menschen betrachtet, fingen also auch die Politiker an, mit diesen neuen niedrigschwelligen Medien den Kontakt zum Volk zu suchen. Regierungschefs bedeutender Länder haben monatliche Videobotschaften im Netz, sie twittern vielleicht sogar Ideen und Ansichten ohne den Filter namens Qualitätsjournalismus direkt in die Welt.
Trotzdem behaupten alle, dass es ein Kommunikationsproblem der Politker gibt. Und ich neige zu der Annahme, dass dasselbe Problem auch den Verlagen droht. Warum?
Die Welt ist voller Geschehnisse. Manches passiert vor der Kamera oder den gezückten Bleistiften. Es ist kein Geheimnis, dass Menschen sich anders verhalten, wenn sie dabei beobachtet werden oder gar dieselbe Tätigkeit mehrmals durchführen müssen, damit der Kameramann mehrere Kameraeinstellungen davon aufzeichnen kann.
Es bleibt also die alte Frage: Wieviel von dem was Medien abbilden haben sie eigentlich selbst ausgelöst oder kreiert? Es ist sicher nicht falsch anzunehmen, das viele Menschen die Welt außerhalb ihrer Arbeitsumgebung ausschließlich durch Fernsehen, Zeitungen und Radio zu sich nehmen. Ich habe dieses Verb bewußt gewählt, denn die Menschen assimileren diese Welt in genau den Bruchteilen und Stücken, die ihnen die Journalisten ausgewählt in exakt der Form, die die Profis den Geschehnissen gegeben haben. Deshalb auch das Wort INFORMATION. Die Welt wird in Form gebracht. Dadurch wird sie zu einem Produkt, das in Bündeln (Zeitungen) oder in Strömen (Fernsehen und Radio) verkauft wird.
Zurück bliebt ein Medienkonsument in dem Gehäuse seiner privaten Welt. Die Krönung ist, dass er dann auch noch “on demand” die Welt zu sich ins Haus holt. Leider wird auf die Art der professionellen Filter (gatekeeper) die Begegnung mit der Welt ausgeschlossen. Nicht wenige Medientheoretiker bezeichnen die Arbeit der Journalisten auch als Produzenten von Welt bzw. ihren Geschehnissen eben genau deshlab, weil so professionell Ausschnitte, Perspektiven und Meinungen zu einem Ganzen komponieren.
Medien produzieren Welt
Den Leser dieser Zeilen könnte also die Einsicht beschleichen, dass nicht die Kommunikation das Problem ist, sondern die Tatsache, dass nicht nur Journalisten Welt generieren, sondern die Welt auch die Mittel der Journalisten benutzen kann, um ein Abbild von etwas zu erstellen was eigentlich in einer ganz anderen Weise existiert. Die nach außen transportierten Inhalte sollen etwas erschaffen, was noch gar nicht da ist oder niemals da sein wird (Schein). Oder sie sollen von einer vorhandenen Existenz ablenken (Täuschung). Das ist bis dato der Stand der Kritik.
Was aber wäre, wenn grundsätzlich das Modell in Frage gestellt würde, dass eine veröffentlichte Sicht auf einen Teil der Welt den Empfänger der Botschaft zum Zuhören, Lesen oder Zuschauen verdammt und damit von der Welt ablenkt. Denn immer dann, wenn der Mensch nicht selbst auf große Fahrt geht, und die Welt entdeckt, dann muss er oder sie still im Kämmerlein hocken und sich mit den Ausscheidungsprodukten der Profis befasssen. Die sind ästhetisch nach allen Regeln der Kunst und des Marktes geformt, also professionell. Die Medien verschleiern diese Bevormundung, beispielsweise durch einen optionalen Wahlmodus: Denn es gibt viel Sender und viele Zeitungen.
Jeder Sender und jede Zeitung kann die Geschehnisse mit eigenen Eigenschaften anreichern, sodass sie zum Markenkern passen. Es geht dabei offensichtlich nicht um Teilhabe am Weltgeschehen sondern um das Profil des spezifischen Mediums, das auf dem Rücken der Information in das Gehirn des Zuschauers und Lesers getragen wird und dort als “Nachricht aus der Welt” abgelegt wird. Auf diese Weise entsteht keine Gehirnerweichung. So entsteht eine Welt als Warenlager im Kopf der Leute. Jeder Produzent von Nachrichten kann seine Geschehnisse – je nach Wunsch des Verlegers montiert, bewertet und gefärbt – in das endlose Gedächtnis dieser Menschen schieben. Dort baut sich aus den medialen Produkten eine Welt zusammen, die natürlich mit dem wahren Geschehen draußen nur noch wenig gemein hat. Dadurch sinkt die Orientierungsfähigkeit der Menschen. Sie bekommen Angst. Schutz finden sie in den Puzzleteilen die aus den Zeitungen und dem Fernseher kommen und zufällig zum Weltbild passen, dass man schon zu großen Teil im Gehirn hat. Das erklärt auch die Treue der Leser und Zuschauer zu “ihren” Zeitungen und Fernseh/Radiosendern. Denn man kann nur das als Information erkennen, dass in gewissem Bezug zum Vorwissen steht, alles andere ist indifferent oder neudeutsch noise(Rauschen).
Es ist also offensichtlich, dass Politiker ein Problem haben, wenn sie neue Dinge in eine harmonische Welt der Medienprofile bringen wollen, die die Profis dort aber nicht vorbereitet haben. Diese Puzzleteile passen nicht. Da erscheint es schon schlau, dass Politker mittlerweile via Internet ihre Idee direkt in die Gedankenwelt der Menschen bringen wollen. Nur leider sind dort oft keine Ankerpunkte, weil die Welt in der Politiker leben nicht aus den Bausteinen bestehen, die die Journalisten in die Köpfe der Bevölkerung gepflanzt haben. So entsteht dieser enormen Graben zwischen medial verankerter Welt und dem realen Geschehen. Manchmal, wenn beides aufeinandertrifft entsteht ein öffentlich sichtbarer Hiatus Spalt, der die künstliche Herkunft der Medien offenbar macht. Das Internet ist mittlerweile Anlass für ein häufiges und andauerndes Betrachten dieser Kluft. So entstanden u. A. auch die Revolutionsbewegungen in Nordafrika. Normale Menschen haben aus ihrem eigenen Alltag berichtet und damit die Armada der professionell gelenkten aber täuschenden Medien entlarvt. Das Netz erfüllt also viel eher die Kritikfunktion, die sich die Qualitätsjournalisten auf die Fahne schreiben: Unerbittliche Transparenz und Offenheit durch Teilhabe am eigenen Erleben. Je unprofessioneller desto eher Abbild der wahren Welt. Leider wird auch das schon wieder simuliert als ästhetisches Mittel für echte Dokumentation.
Menschen produzieren Welt
Insofern ist das Web sowieso eine Höllenmaschine. Nicht erst in Nordafrika haben wir gesehen, wenn die Menschen sich selbst begegnen in den Videos, Diskussionen und Meinungen, die via facebook, youtube und twitter jedem zugänglich sind: Und zwar als Produzent wie als Konsument. Offenbar ist das das Schlimmste, was überhaupt passieren konnte. Denn jetzt kann jede Sicht eines Menschen auf seine Welt publiziert werden. Massen von Menschen schreiben, filmen und reden über das was sie erleben. Damit existiert zum ersten Mal das, was wir ein öffentliches Massenmedium nennen können. Davor gab es nur Makler, die kleine Teile der Welt gegen Gebühr verbreiteten und das jemand Einfluß auf ihr Angebot nehmen konnte. Für diese Begrenzung der Auswahl wurde sie bezahlt, weil sie es verstanden haben dies als Leistung zu verkaufen. Jetzt wird uns erst klar, dass Journalismus eigentlich bedeutet, dass wir jemanden dafür bezahlen, dass er einen möglichst offenen Blick auf die Welt ermöglicht.
Mit dem Web könnten die Menschen ihre Welt selbst gemeinsam produzieren in endlosen Diskursen. Sie bräuchten dann keine professionellen Ausschnitte aus der Welt, die sie am Stammtisch diskutieren sondern könnten direkt reden. Sie bräuchten dann wahrscheinlich auch keine professionellen Vertreter, die Meinungen theatralisch am Rednerpult solange aufrecht erhalten bis die Umfragen sich ändern. Vielleicht wird dann sogar klar, was der Unterschied zwischen Wissen und Verstehen ist.
Photo: xenia
Crosspost von multiasking.net
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Schlagwörter: Gesellschaft, massenmedien, Medien, Netztheorie, welt