Mediathekenumschau vom 10. November

In der Mediathekenumschau heute: Antisemitismus in Deutschland und das ZDF und der MDR fassen die ganz heißen Themen an.  // von Hannes Richter

Es ist so eine Sache mit den Mediatheken: Für viele Digital Natives sind sie schon Fernsehersatz – alles ist überall abrufbar. Doch nur auf Zeit: Gerade die öffentlich-rechtlichen Programme sind oft nach einer Woche wieder offline. Verlängertes Fernsehen statt digitales Archiv. Bevor sie verschwinden, fischen wir die besten Perlen aus der TV-Flut.

ANTISEMITISMUS HEUTE: Wie judenfeindlich ist Deutschland?

ARD +++ Sendung vom 28. Oktober: Gestern war es wieder soweit: Zum Jahrestag der sogenannten „Reichskristallnacht“ wurde deutschlandweit den Opfern des Naziterrors gedacht, der sich in dieser Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 in einer konzertierten Aktion Bahn brach. Viel wird gewarnt in diesen Tagen, doch meistens bleiben die Mahner in der Vergangenheit. Die drei Reporter Kirsten Esch, Jo Goll und Ahmad Mansour reisen durch Deutschland und machen sich auf die Suche nach dem alltäglichen Antisemitismus unserer Tage. Dabei finden sie nicht nur die erwartbaren Ausprägungen am rechtsextremen Rand (ein Chemnitzer Restaurantbesitzer  musste umziehen, weil sich vor seiner Tür mit Davidstern beschmierte Schweineköpfe fanden). Am stärksten ist die Dokumentation, wo sie in die Mitte der Gesellschaft geht und das Judenbild in der Bevölkerung untersucht, sei es anhand der beschämenden Briefe deutscher Universitätsprofessoren an den Zentralrat der Juden oder der Reaktionen auf  die Politik Israels im Nahen Osten. So schlägt sie einen weiten Bogen von Schweineköpfen vor der Tür zu den Vorurteilen in den Köpfen der Menschen. Und ohne es zu sagen von 1938 ins Jahr 2013.

UNGEWOHNTE PERSPEKTIVE: RauschGIFT

ZDF kultur +++ Sendung vom 8. November, danach immer Freitag: Das könnte ein spannendes Projekt werden: Das ZDF tut sich mit den Leuten von Vice zusammen und lässt sich eine Doku-Reihe über Drogen produzieren. Der Lack am coolen Image der Hipster-Postille bröckelt zwar langsam schon wieder ab. Die Methode, auf einen Sack voller Klischees erstmal journalistisch mehr schlecht als recht rauf zu hauen, führt bei mir dazu, dass Artikel oft schon weil sie von Vice kommen nicht mehr ernst genommen werden. Beim Thema Drogen hat sich das Magazin allerdings einen guten Ruf aufgebaut. Das liegt vor allem an einer ungezwungenen Herangehensweise, die auch mal im Klamauk enden kann. Von anderen Medien unterscheiden sich die Artikel und Videos durch eine gewisse Augenhöhe. Man nimmt den Machern ab, dass sie sich eher für die Konsumenten und ihre Geschichten interessieren als belehren zu wollen. Die für ZDF neo produzierte Serie Wild Germany war ein Beispiel dafür. Für die neue Reihe RauschGIFT wollen die Vice-Leute nun in jeder Folge eine Droge und ihre Konsumenten vorstellen und dabei „ein realistisches Bild von den positiven und negativen Aspekten“ zeichnen. Beim Heroin, dem Thema der ersten Folge war das noch recht einfach. Den Folgen des Konsums, besonders der häufig damit verbundene soziale Abstieg, lässt sich kaum etwas positives abgewinnen. Interessant wird es, wenn besser akzeptierte  oder zumindest von viel mehr Menschen konsumierte Drogen wie Marihuana oder Ecstasy ins Spiel kommen. Den Spagat, Usern ohne Vorurteile zu begegnen und gleichzeitig die Gefahren zu thematisieren, hat übrigens die BBC schon einmal hinbekommen. Natürlich wurde ihr in britischen Medien danach vorgeworfen, das Problem zu verharmlosen. Doch „wirklichkeitsfremde Darstellungen“ haben offensichtlich nichts dazu beigetragen, junge Leute von Drogen fernzuhalten, wie Produzent Julius Theiß in einer Vorankündigung bei Vice fest stellt. Es ist an der Zeit, andere Methoden zu probieren, um für einen verantwortungsvollen Umgang mit Rauschmitteln zu werben. Solche Filme könnten ein Anfang sein.

AUFKLÄRUNG MIT BEIPACKZETTEL: Make Love

MDR und SWR +++ Sendung vom 3. bzw. 6. Oktober, danach immer Sonntag (MDR) und Mittwoch (SWR): Schon der zweite Tipp heute, für den interessierte Leser länger aufbleiben müssen. Wie, aus nachvollziehbaren Gründen, die oben empfohlene Reihe ist auch „Make Love“ in der Mediathek nur nach 22 Uhr abrufbar. Hier sind die Gründe allerdings nicht so nachvollziehbar. Mit ihrer angenehm ungezwungenen Reihe über alles, was mit Sexualität zu tun hat, richtet sich die Sexologin Ann-Marlene Henning zwar eher an Erwachsene („Wie sag ich’s meinem Kind?“), aber die Verbannung aus dem Internet zur Tageszeit wirkt schon skurril, wenn das Hauptmerkmal des Formats ein offener Umgang mit Aufklärung und anderen Psst-Themen ist. Sei’s drum, das einschalten lohnt sich. Die Frau, um die alles gebaut ist und die es tatsächlich schafft, mit ihrer gewinnenden Art jede Situation unverkrampft zu meistern (ja, sie sitzt wirklich bekleidet neben einem nackten, aufeinandersitzenden Paar), ist inzwischen schon mehrfach porträtiert worden und hat schon den ein oder anderen Talkmaster ertragen müssen. Auch, dass der ach so biedere MDR sich mal ganz unprüde zeigt, wurde thematisiert. Deswegen möchte ich hier vor allem noch auf die Webseite hinweisen. Begleitendes Material online gut aufbereitet ist ja sonst die Stärke vieler arte-Reihen. Ähnlich liebevoll aufbereitet es auch hier, aus Ausschnitten aus den Filmen (nach 22 Uhr, versteht sich), Zusatzinfos und auch Links zu Interviews und Talkshowauftritten einen echten Mehrwert für am Thema interessierte Zuschauer zu schaffen. Und das sind ja irgendwie wir alle.

wanderte schon früh zwischen den Welten, on- und offline. Der studierte Kulturarbeiter arbeitete in der Redaktion eines schwulen Nachrichtenmagazins im Kabelfernsehen, produzierte Netzvideos und stellte eine Weile Produktionen im Cabaret-Theater Bar jeder Vernunft auf die Beine, bevor er als waschechter Berliner nach Wiesbaden zog, um dort am Staatstheater Erfahrungen im Kulturmarketing zu sammeln. Er baute später die Social-Media-Kanäle der Bayreuther Festspiele mit auf und schoss dabei das erste Instagram-Bild und verfasste den ersten Tweet des damals in der Online-Welt noch fremden Festivals. Seitdem arbeitete er als Online-Referent des Deutschen Bühnenvereins und in anderen Projekten an der Verbindung von Kultur und Netz. 


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