Der freie Radiojournalist Marc Krüger sieht in der „NPR One“-App die Zukunft des Radios. Warum erklärt er im Crosspost bei uns. // von Marc Krüger
Für einen schnellen überredaktionellen Nachrichtenüberblick kann ich bei Google News und Yahoo nachschauen oder klicke durch meine RSS-Feeds. Für neue Musik werfe ich Spotify oder Simfy an. YouTube bietet Abo-Kanäle für ein simples Berieseln oder Entdecken. Außerdem startet bald Netflix in Deutschland. Und beim Radio? Da muss ich mich immer noch für einen Sender entscheiden und nehmen was kommt? Vielleicht nicht mehr lange! Den Weg weist eine neue App.
Vor ein paar Jahren war ich begeistert von last.fm. Der Deal ging so: Ich verrate dem britischen Onlinedienst, welche Musik ich gerne höre. Dafür konnte ich bei last.fm – basierend auf meinem Geschmack – neue Musik entdecken. Ich musste nur den last.fm-Player installieren, mich einloggen und zuhören. Wenn ich ein Lied schnell weggeklickt habe, dann hat sich last.fm das gemerkt. Außerdem konnte ich auf ein Herz klicken und so deutlich machen, dass mir das Programm einen musikalischen Volltreffer geliefert hat. Ich habe oft auf das Herz geklickt.
Seit ein paar Stunden habe ich wieder das Volltreffer-Gefühl. Diesmal heißt der Dienst nicht last.fm – und es geht auch nicht um Musik, sondern um eine Radio-App:
Try NPR One, a new public radio listening experience, now available for iPhone and Android: http://t.co/mIoD0Jq37o pic.twitter.com/yRwtZNjNTx
— NPR News (@nprnews) 28. Juli 2014
Nach einer Beta-Phase hat die NPR in den Vereinigten Staaten die App „NPR One“ für iOS und Android freigegeben. NPR hieß früher mal „National Public Radio“. Es ist eine Art Mutter- oder Mantelprogramm für mehr als 900 regionale Radiostationen. Sie produziert überregionale Sendestrecken, die die kleineren Radios ganz oder teilweise übernehmen können. Einige Sendungen sind zu Marken geworden, wie zum Beispiel die „Morning Edition“ oder „All Things Considered„. Durch die NPR-Zulieferungen bieten auch die regionalen Radios USA-weite und internationale Nachrichten, Beiträge und Reportagen.
Genau das bietet die „NPR One“-App auch, verpackt in ein minimalistisches Design mit viel weiß und wenig Schnickschnack.
Zum Start der App muss man sich entweder mit einem bestehenden Facebook- oder Google-Account anmelden oder sich einen NPR-Account einrichten. Außerdem gibt es die Möglichkeit, einen regionalen „Heimat“-Sender einzustellen, etwa aus Las Vegas, Charleston oder Miami. Ein Druck auf den Play-Knopf und die App beginnt, Nachrichten, Beiträge und Interviews abzuspielen – und hört nicht mehr damit auf, bis ich auf anhalten drücke. Die App merkt sich, welche Themen oder Kategorien ich mir angehört und welche ich sofort weggedrückt habe.
Warum begeistert mich das, obwohl es nichts anderes ist als das alte last.fm-Prinzip?
Die App ist minimalistisch, intuitiv zu bedienen und bietet etwas, was es so noch nicht gibt: Ein individuelles, halbautomatisches Wortradio. Wie bei einem eingeschalteten Radiosender muss ich mich um nichts kümmern, kann nebenbei joggen, im Bus oder Auto sitzen oder kochen. Ich kann zwar entscheiden, mich aber auch überraschen lassen und Neues entdecken. Damit verbindet die App das Beste von Podcasts und Liveradio. Sie schafft etwas, was nicht einmal iTunes bisher anbietet.
Mal weiter gedacht: Was wäre, wenn alle ARD- und Deutschlandradio-Sender ihre Podcasts in einer App wie „NPR One“ anbieten würden? Wenn ich die Nachrichten von MDR Info, die Comedy von SWR3, den „Hintergrund“ vom Deutschlandfunk, den „Hörspielspeicher“ vom WDR und „Stimmt’s“ von NDR2 und dazu Feature, Kalenderblätter und Wirtschaftssendungen zusammen mit weiteren Vorschlägen nacheinander hören könnte, ohne mich darum zu kümmern? Wenn ich plötzlich neue Sendungen oder Beiträge entdecke, die ich nicht gesucht oder gefunden hätte? Was für eine großartige Möglichkeit, einmal Gesendetes (und Bezahltes) haltbar zu machen!
Die Kraft der „NPR One“-App zeigt sich genau darin: Jetzt hat es mal einer vorgemacht. Um Neues zu schaffen, kann es manchmal reichen, alte Erfolgsmodelle auf neue Bereiche zu erweitern.
@konradweber Ist viel mehr als ne NewsApp. Ist #Radio, das Programm nach Deinen Interessen macht. Supereasy zu bedienen auf den 1.Blick
— Sandra Müller (@radiomachen) 28. Juli 2014
@sethw @nprnews I feel like this app was built just for me.
— James Shotwell (@utgjames) 28. Juli 2014
Dass @NPR One auch auf Smartphones in Deutschland funktioniert, ist bekannt, ja? Hallo #Radio-Zukunft Deutschland! Wo bist Du?
— Sebastian Pertsch (@Pertsch) 28. Juli 2014
Im Radio haben wir uns irgendwie daran gewöhnt, dass es nicht so sehr vorwärts geht; das zeigt sich auch beim weiterhin analogen Rausch-Übertragungsweg UKW. Außerdem degradieren sich einige Sender zum Nebenbei- und Nicht-Stören-Programm. Die Inhalte werden zwischen Musik versteckt, selbst Radiomacher sprechen manchmal davon, dass sich die Dinge „versenden“.
Eine gemeinsame öffentlich-rechtliche oder privat-programmierte App könnte genau das schaffen: Inhalte mit einem Tastendruck finden, sie bekannter machen und in den Vordergrund rücken. Dieses Prinzip hat schon so oft funktioniert, warum sollte es beim Radio scheitern?
Sicher, die NPR-App birgt auch Gefahren. Schließlich werden durch das Login Daten gesammelt, Profile erstellt, Vorlieben ausgewertet. So könnte Nutzern immer nur das vorgeschlagen werden, was sie eh schon gut finden. Programmverantwortliche könnten außerdem auf die Idee kommen, Sendungen oder Formate einzustellen, wenn zu viele sie zu oft in der App wegklicken. Aber reicht das aus, um es nicht zumindest einmal zu probieren?
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Rundfunkfritze.
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Schlagwörter: APP NEWS, Innovation, journalismus, Medienwandel, NPR, NPR One, radio, zukunft
5 comments
Erstaunlich, dass es keine App für den BlackBerry gibt. In den Staaten ist er (noch?) sehr beliebt…
Es ist ja eh ein Radioplayer nach UK-Radioplayer-Vorbild geplant (siehe hier: http://www.radioszene.de/69891/privatsender-planen-deutschen-radioplayer.html). Wenn die ARD dort mitmacht, könnte man solch eine Funktion wie bei NPR gleich mit einbauen. Klingt nach Zukunftsmusik, die nicht durch technische Machbarkeit behindert wird, sondern eher durch das Misstrauen aller Beteiligten, dass irgend jemand dadurch benachteiligt werden könnte, weil zu wenig davon profitiert.