Ralf Groene hat in der analogen Welt den Beruf des Werkzeugmachers erlernt. Jetzt entwirft er digitale Werkzeuge – als Chefdesigner von Microsoft. Hinter der erfolgreichen Reihe der Surface-Computer stecken viele kluge Köpfe. Seiner hat großen Einfluss darauf, wie das Surface Book oder das Surface Studio aussehen und wie sie sich anfühlen und bedienen lassen. Look und Feel der Surface-Reihe haben neben dem neuartigen Bedienkonzept einen großen Anteil daran, dass Microsoft-Produkte wieder „cool“ sind und beim Thema Design in der Tech-Welt zum Teil mehr Buzz erzeugen als die ikonischen Apple-Rechner iMac und MacBook.
Nachdem sich Ralf Groene mit seinen Produktdesigns für HP, Dell und anderen Tech-Herstellern einen Namen im Silicon Valley gemacht hat, ist der gebürtige Deutsche bei US-Konzern Microsoft nun so bedeutend wie Jony Ive bei Apple. Über seine Rolle im Design-Prozess bei Microsoft und über seine Vision sprach ich mit ihm in Hamburg.
Netzpiloten: Ralf Groene, Sie haben vor dem Design-Studium den Beruf des Werkzeugmachers gelernt und die Surface-Geräte sehen mit ihrem Metall-Look wie – ziemlich stylische – Werkzeuge aus. Ist der Zusammenhang zu weit hergeholt?
Ralf Groene: Nein, das ist überhaupt nicht weit hergeholt. Vieles, was ich damals über Materialeigenschaften und Metallbearbeitung gelernt habe, wende ich bei den Surface-Geräten an. Das fängt schon damit an, dass wir die unterschiedlichen Versionen der Prototypen mit klassischer Frästechnik erstellen, damit es schneller geht. Außerdem ist mein Anspruch an die Hardware, dass sie sich so wenig wie möglich aufdrängt. Das fängt immer mit dem Material an. Daher habe ich mich zum Beispiel beim Surface Book für ein Gehäuse aus Magnesium eingesetzt, weil man es so dünnwandig fertigen kann, dass das Gehäuse selbst in den Hintergrund rückt.
Wie viel Entscheidungsfreiheit haben Sie als Designer denn bei der Produktentwicklung?
Bei Microsoft stammt vom Design-Team immer die Vision für das spätere Produkt. Die legen wir ganz zu Anfang mit meinem Chef, Corporate Vice President Microsoft Devices Panos Panay, fest. Anschließend werden die Ingenieure in den Prozess geholt. Gemeinsam entwickeln wir das Design als Product Maker weiter – aber nach den Vorgaben der vorher festgelegten Vision.
Was ist ein Product Maker?
Damit ist gemeint, dass wir bei der gemeinsamen Produktentwicklung im Team nicht zwischen Designern und Ingenieuren unterscheiden.
Das ist praktisch, um die Silo-Denke aufzubrechen. Aber ich höre auch heraus, dass es dennoch einen Primat des Designs gibt. Sie und ihre Design-Spezialisten geben die Richtung vor, nicht die Ingenieure, das Marketing oder der Vertrieb. Richtig?
Ja, das stimmt grundsätzlich so. Der Vorteil bei diesem Ansatz ist, dass man so weit wie möglich vorwärts denken kann. Und dass sollte der Anspruch eines Tech-Unternehmens sein. Aber natürlich bringen wir unsere Vision gleichzeitig in Einklang mit der Gesamtstrategie von Microsoft.
Wie muss man sich die Ausbalancierung von Design-Ideen und Firmenstrategie bei Microsoft vorstellen?
Wir nutzen ein ganz bestimmtes Setting dafür. Die entscheidenden Meetings finden in einem Roadmap-Raum statt, wie wir ihn nennen. Dort stehen mehrere Produktstationen gestaffelt hintereinander. Auf der ersten stehen die aktuellen Produkte, auf der danach die Prototypen der nächsten Generation. Dann kommen experimentelle Konzeptstudien und schließlich Entwurfsskizzen. Diese Visualisierung hilft uns dabei, zu erkennen, wo wir stehen und wo wir hinwollen. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse entscheidet die Firma über die Investitionen in das Produkt.
Mit welchen Argumenten überzeugen Sie Ihre Chefs?
Indem wir ihnen eine nachhaltige Perspektive aufzeigen. Wir richten unser Augenmerk darauf, was Anwender in Zukunft von Software erwarten und wie sie in Zukunft mit digitalen Werkzeugen mehr erreichen können. Wie? Das ist die Frage, die mich antreibt. Wir sind alle noch viel zu analog.
Was meinen Sie mit „noch viel zu analog“?
Das, was Sie gerade jetzt machen, wenn Sie mit Stift und Notizbuch das Interview mitschreiben.
Sie rennen bei mir offenen Türe ein. Ich möchte das seit langem digitalisieren. Aber alle Lösungen, die ich ausprobiert habe, können die Geschwindigkeit und Genauigkeit von Papier nicht ersetzen.
Ich stimme Ihnen zu. Es ist wirklich schwer, das natürliche Schreibgefühl in eine digitale Lösung zu übersetzen. Aber es muss das Ziel sein, diese Hürde zu überwinden. Die erste Phase des kreativen Prozesses beginnt meist analog – ob mit Notizen oder mit einem Modell. Erst in einem Folgeschritt geht man an den Computer und übersetzt die Ideen nochmal neu in eine digitale Fassung. Dieser Medienbruch hält auf. Das Surface Studio ist ein Beispiel dafür, wie wir versuchen, auch diesen ersten Teil des Kreativprozesses gleich in die digitale Phase zu überführen.
Apropos, Surface Studio. Das Bedienerlebnis von Studio-Modus und Surface Dial hat mir im Test gefallen. Aber aus der Perspektive des Fotografen möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich über den SD-Kartenschacht auf der Rückseite zu beschweren. Er ist sehr schwer zu erreichen.
Ja? Verlegen Sie Ihn doch mit einem USB-Adapter nach vorne. (lacht)
Diesen ästhetisch katastrophalen Tipp können Sie als Designer doch nicht empfehlen!
USB-Dongles sind hässlich, das stimmt. Im Ernst. Produktdesign ist immer ein Kompromiss zwischen Ästhetik und Funktion. In Bezug auf die Anschlüsse wollten wir beim Surface Studio, dass der Standfuß „architektonisch leise“ aussieht. Aber vielleicht verlegen wir den Kartenschacht in einer nächsten Generation auf die Vorderseite des Standfußes oder in den Bildschirm.
Oh, diese Reaktion hätte mir jetzt nicht zu träumen gewagt.
Doch, das ist gutes Feedback. Die Herausforderung ist ja immer, dass, wenn wir ein Produkt entwickeln, wir uns natürlich ab einem gewissen Punkt einfach nur vorstellen können, was der Nutzer mit dem Produkt macht. Daher hat prinzipiell jedes Pionierprodukt Design-Fehler. Design-Entscheidungen können sich immer als verbesserungswürdig herausstellen. Das passiert und ist normal. Man darf dann nur nicht so arrogant sein, sich dies nicht einzugestehen.
An welches Manko denken Sie dabei?
Ein Beispiel ist das Surface Dial, das unerwartet viele Anwender für den Transport in ihre Hosen- oder Jackentasche stecken. Das führt dazu, dass sich das Surface Dial in der Tasche bewegt und mitunter ungewollte Befehle sendet. In der nächsten Version werden wir voraussichtlich einen kleinen Ein- und Ausschalter einbauen. Niemand hat bei der Entwicklung vorausahnen können, dass das nötig sein könnte.
Trotz solcher kleineren Aspekte hat die Surface-Reihe seit 2012 in punkto Design-Innovation ein Image erlangt, das sich mit dem von Apple-Rechnern messen kann. Gleichzeitig gelten immer noch Apple-Geräte als Referenz. Was macht Apple richtig?
Apple hat einen Vorsprung von rund 30 Jahren in hervorragendem Produktdesign. Beim ganzheitlichen Zusammenspiel von Software und Hardware hat Apple geradezu eine lehrbuchartige Leistung hingelegt, wie sie auch Produktdesigner-Ikone Dieter Rams propagiert hat. Die Arbeit von Steve Jobs und Jony Ive ist für jeden Produktdesigner eine Inspiration.
Was können Apple-Designer vom aktuellen Microsoft-Design lernen?
Es wäre unangemessen, ihnen Ratschläge zu erteilen. Ich glaube auch, dass wir uns in unterschiedliche Richtungen bewegen. Für mich zählt, wie man sich mit Software auf einem beliebigen Device am besten kreativ ausdrücken kann, und zwar nicht nur mit derzeit üblichen Desktop- oder Mobilrechnern. Ich denke da zum Beispiel an Mixed Reality wie mit der HoloLens oder die moderne Arbeitswelt, in der Menschen etwa mit dem Surface Hub an verschiedenen Orten mit ihrem Screen auf die gleiche Oberfläche zeitgleich zugreifen. Ein ganzheitliches Design-Erlebnis, das Software und Hardware kombiniert und gleichzeitig unabhängig von einem bestimmten Device funktioniert, wird die zukünftige Herausforderung für Produktdesigner im Electronics-Bereich sein.
Ralf Groene, vielen Dank für das Gespräch.
Über Ralf Groene: Von Wolfsburg ins Valley
Mit Computern hatte der gebürtige Wolfsburger in seiner Jugend nichts am Hut. Vielmehr schraubte er lieber an Fahrrädern und Mopeds, bevor er Mitte der 1980er bei VW in die Lehre ging und den Beruf des Werkzeugmachers erlernte. Erst während seines Produktdesign-Studiums in Kiel entdeckte Ralf Groene, welche Möglichkeiten Computer und Zeichensoftware für die digitale Kreation eröffnen. Davon komplett fasziniert, steckte er sein ganzes Lehrlingsgeld in einen Macintosh Classic und eine Lizenz des Adobe-Illustrator-Vorläufers Freehand. Ein Schlüsselerlebnis war ein Praktikum bei einer Designagentur in New York, wo Ralf Groene die damals noch rare Gelegenheit erhielt, mit CAD-Software Produktverpackungen als 3D-Modell auf schrankgroßen Bürorechnern zu entwerfen.
Nach dem Studienabschluss zog Ralf Groene 1997 in die USA und heuerte bei Design-Agenturen im Silicon Valley an. Also genau an dem Schauplatz und in der Zeit, als sich Computer von beigen Office-Werkzeugen in lifestylige Wohnzimmer-Technik mit WWW-Zugang zu entwickeln begannen. Ab diesem Zeitpunkt interessierte ihn nicht nur, was man mit Computern erschaffen kann, sondern auch, wie sie sich ästhetisch in den Alltag einfügen. Seine Designs für Computer von Dell, HP und anderen machten schließlich auch bei Microsoft Eindruck, wohin er 2006 als Produktdesigner wechselte. Seit 2015 ist der heute 49-Jährige Ralf Groene Head of Industrial Design, Microsoft Devices im Hauptquartier des Windows- und Surface-Konzerns in Redmond.
Dieses Interview entstand in Kooperation mit Microsoft.
Images by Microsoft
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