Apple hat die iMac-Fans zuletzt mit der Ankündigung neuer Versionen und eines aufgebohrten iMac Pro glücklich gemacht. Wer jedoch sein Herz nicht unverbrüchlich an macOS und Apples Ökosystem verloren hat, sollte auch einmal einen Blick auf Microsofts neuen All-in-One-Rechner Surface Studio riskieren. Auf dem Papier klingt er wie flachgelegter iMac mit zusätzlicher Tablet-Bedienung. Mit Touch-Screen, Kipp-Display und dem Eingabegerät Surface Dial will Microsoft Apple die Kreativ-Klientel abspenstig machen. Doch wie verführerisch ist die Alternative wirklich? Im Rahmen eines Launch-Events in Berlin konnte ich mir ein Bild vom Microsoft Surface Studio machen.
Ein Desktop-Rechner als riesengroßes Grafik-Tablet
Die Stärken des iMac sind ein ikonisches Design, ein exzellentes und großes Display sowie viel Rechenpower in einem kompakten Formfaktor. Das Microsoft Surface Studio muss sich davor nicht verstecken. Es wirkt edel, puristisch und erstklassig verarbeitet.
Der Surface Studio besteht aus einem 28-Zoll-Display, eingefasst in einen Metall-Korpus, der an zwei Scharnieren mit dem Sockel verbunden ist. Anders als beim iMac führt das Stromkabel des Surface Studio nicht zur Display-Rückseite, sondern mündet in den Standfuß. Dadurch wirkt das Ensemble noch etwas aufgeräumter.
Das helle, scharfe und kontrastreiche Display wird nur durch einen schmalen Rahmen begrenzt und bedeckt mehr Fläche auf der Frontseite, während beim Apple-Rechner noch der markante silberne Streifen mit dem Logo zu sehen ist. Das Display ist nicht matt, sondern reflektiert. Gefühlt ist der Spiegeleffekt auf dem gleichen Niveau wie beim iMac.
Zwar ist das Surface Studio ebenso wenig höhenverstellbar wie ein iMac. Dennoch hat die Aufhängung des Microsoft-Rechners einen entscheidenden Vorteil. Die beiden Scharniere sind beweglich gelagert und ermöglichen, das Display im sogenannten Studio-Modus rund 75 Grad nach hinten zu kippen, sodass es fast flach aufliegt.
In diesem Zustand mutet der Computer wie ein sehr großes Grafik-Tablet an und erleichtert Eingaben per Finger, Digitalstift oder dem Eingabe-Puck namens Surface Dial. Dabei macht das Scharniersystem einen robusten Eindruck und ermöglicht grundsätzlich auch in halb-gekippter Position eine Display-Eingabe. Doch zu oft überwinde ich versehentlich den Widerstand und drücke das Gehäuse in Tischrichtung. Microsoft empfiehlt daher, das Display stets bis zur Endposition zu neigen.
Insgesamt finde ich diese Kipp-Feature ausgesprochen gelungen. Damit beugt Microsoft lahmen Armen vor, die sich bei einem klassisch aufrecht ausgerichteten Display ergeben würden. Ein Grund, warum Apple die Touch-Bedienung bei Desktops und Laptops weiterhin ablehnt.
Flexible Bedienung: Tippen, Touchen, Schreiben, Drehen
Mein kurzer Praxischeck mit dem Microsoft Surface Studio überzeugt mich davon, dass berührungsempfindliche Displays bei einem Tischrechner keinesfalls fehlplatziert sind. Im Gegenteil. Gerade im gekippten Zustand empfinde ich es als sehr bequem und effizient, Eingaben so vorzunehmen, wie es mir gerade am intuitivsten erscheint.
Weit voneinander entfernte Schaltflächen mit dem Finger zu aktivieren, empfinde ich zum Teil praktischer als diese mit dem längeren Laufweg des Mauspfeil zu erreichen. Zwar entstehen dabei auf Anhieb sichtbare Spuren. Doch insgesamt lässt sich die Oberflächenbeschichtung erfreulich wenig von Fingerabdrücken beeindrucken.
Das Display ist so sensibel, dass sich auch schmale Schriftfelder gut mit der Fingerspitze treffen lassen. Nur die filigranen Schieberegler in Lightroom punktiere ich lieber mit Microsofts Digitalstift Surface Pen.
Mit dem Stylus Notizen in OneNote festzuhalten, ist eine Freude. Der Surface Pen reagiert schnell und präzise. In Microsoft Word verfügt der Surface Pen zudem über ein praktisches Zusatzfeature. So kann ich ganze Satzteile im Fließtext oder in einer Tabelle durch bloßes Durchstreichen löschen oder markieren. Die groben Streichgesten werden präzise ins Schriftbild umgesetzt.
Positiv überrascht mich die Erkennungsleistung. Der Handballen meiner breit aufliegenden linken Schreibhand wird zuverlässig ignoriert, sodass er die Schrifteingabe nicht unterbricht. Zudem kann ich auch gleichzeitig problemlos die zweite Hand auf dem Bildschirm ablegen. Praktisch: Brauche ich den Surface Pen nicht, arretiere ich ihn an den magnetisierten Flanken des Displays.
Neben Stift und Finger kann ich das Microsoft Surface Studio natürlich ganz klassisch mit Maus und Tastatur bedienen. Beide gehören wie bei einem iMac zum Lieferumfang. Das bisschen Tradition ist auch gut so. Schließlich ist die altehrwürdige Kombination aus Alt- und Tab-Taste immer noch der schnellste Weg, um zwischen geöffneten Programmen zu wechseln.
Surface Dial: Das Runde gehört aufs Eckige
Den größten Wow-Effekt aller Eingabemethoden vermittelt das Kontrollrad, das den Namen Surface Dial trägt. Ich kann es wahlweise auf oder neben dem Display platzieren. Liegt es auf dem Bildschirm, schmiegt sich das eingeblendete Schnellmenü kreisrund um das Puck-Gehäuse. Je nachdem, mit welcher Hand ich das Dial bedienen möchte, kann ich die Bediensymbole rechts oder links vom Dial-Gehäuse einblenden lassen.
Mit dem druckempfindlichen und drehbaren Puck kann ich standardmäßig in Bildern rein- und rauszoomen oder durch große Word-Dokumente blättern. Zusätzlich ermöglichen mir die Windows-Systemeinstellungen für alle kompatiblen Programme persönliche Lieblingsfunktionen oder Tastenkombinationen als Aktionen mit dem Surface Dial zu verknüpfen.
Neben den Systemprogrammen von Windows und den Anwendungen von Microsoft Office verstehen sich zum Beispiel auch die Apps der Adobe Creative Cloud mit Surface Dial. Damit lässt sich sehr angenehm durch Bildmaterial in Premiere Pro, Lightroom oder Bridge blättern. Die Kooperation mit Adobe ist ein kluger Schachzug von Microsoft, da das Unternehmen für die am häufigsten von Kreativ-Profis genutzten Programme steht.
Einziges Manko: Leider packt Microsoft dieses Highlight nicht standardmäßig in den Karton des Surface Studio. Ebenso wie Apple den Digitalstift Pencil und das iPad Pro separat verkauft, lässt sich Microsoft das Surface Dial mit rund 110 Euro extra bezahlen.
Premium-Preis, nicht durchgängig High-End-Hardware
In drei nicht-aufrüstbaren Konfigurationen erhältlich, werden für das Surface Studio im herstellereigenen Shop jeweils 3.549 Euro (Intel Core i5, 8 GB RAM, 2 GB GPU, 1 TB Hybrid-Festplatte), 4.149 Euro (i7, 16 GB RAM, 2 GB GPU, 1 TB Hybrid-Festplatte) oder satte 4.999 Euro (i7, 32 GB RAM, 4 GB GPU, 2 TB Hybrid-Festplatte) fällig. Surface Pen, Tastatur und Maus sind jeweils inklusive. Im Gegensatz zur Apple Magic Mouse unterstützt der beigelegte Microsoft-Nager aber keine Touch-Gesten. Zudem setzt Microsoft noch auf Intel-Prozessoren der sechsten Generation, während die iMacs 2017 mit der Nachfolger-Generation arbeiten.
Da ist es umso erstaunlicher, dass die Apple-Rechner zum Teil einen deutlichen Preisvorteil bieten. So ist ein mit der Bestausstattung des Microsoft Surface Studio vergleichbarer iMac in 27 Zoll im Webshop von Apple für 3.619 Euro zu haben. Abgesehen davon ermöglichen die aktuellen iMacs noch leistungsstärkere Konfigurationen mit mehr Arbeits- und Grafikspeicher sowie höherer Prozessortaktung zu Preisen von bis zu 6.200 Euro. Zudem ist die Auflösung der 5K-Retina-Displays in jedem Fall höher. Dass mit 4.500 x 3.000 Bildpunkten aufgelöste Surface Studio reicht nicht ganz heran. Absolute Rechenpower- und Pixel-Junkies (mit großzügigem Budget) ziehen also einen Apple-Rechner dem Microsoft Surface Studio vor.
Microsoft Surface Studio zeigt, wie ein iMac 2017 aussehen müsste
Microsoft bietet mit dem Surface Studio eine zukunftsweisende Version eines All-in-One-Rechners für professionelle Einsatzbereiche. Die klassische PC-Bedienung mit Touch- und Stift-Funktionen zu vereinen, ist zeitgemäß konsequent. Illustratoren, Fotoretuscheure, Technische Zeichner und Produktdesigner dürften sich über diese flexiblen Möglichkeiten freuen. Das Zeichnen auf Microsofts Tablet Surface Pro hat bereits unter Kreativ-Profis Gefallen gefunden. Die Weiterführung dieses Prinzips auf einem größeren Display wie beim Microsoft Surface Studio ist nur logisch.
Wer bisher wegen der schieren Größe auf eines der riesenhaften Grafik-Tablets von Branchenprimus Wacom gesetzt hat, dürfte sich jetzt über die Aussicht auf einen deutlich aufgeräumteren Schreibtisch freuen. Mit der Neigefunktion des Studio-Modus hat Microsoft das Konzept sinnvoll zu Ende gedacht. Damit erweist sich der Rivale im Bereich des Desktop-Computing sehr innovationsfreudig, während Apple sich im Wesentlichen darauf beschrenkt, von Zeit zu Zeit die Rechenhardware zu aktualisieren. iMac-Nutzer, die mit Windows 10 genauso gut leben können wie mit macOS, sollte das Micrsoft Surface Studio mal ausprobieren.
Leider macht Microsoft aber ähnliche Fehler wie Apple zuletzt beim MacBook Pro 2016 und kombiniert eine halbherzig zusammengestellte Rechenhardware mit einem unverschämt hohen Preisetikett. Möglicherweise versucht Microsoft hier auszunutzen, dass die Angebote mit ihren unterschiedlichen Spezifikationen und Wahlmöglichkeiten nicht exakt vergleichbar sind und daher einen Preisvergleich erschweren. Ein krasser Aufpreis von bis zu rund 1.500 Euro dürfte die Scheu vor dem Systemwechsel aber selbst für die als spendierfreudig geltenden Apple-Nutzer nicht gerade senken.
Einstieg: Surface Studio mit i5, 8 GB RAM, 1 TB Hybrid bei Gravis (Provisons-Link)
Goldene Mitte: Surface Studio mit i7, 16 GB RAM, 1 TB Hybrid bei Gravis (Provisions-Link)
High-End: Surface Studio mit i7, 32 GB RAM; 2 TB Hybrid bei Gravis (Provisions-Link)
Dieser Artikel erschien zuerst auf Applepiloten.
Images by Berti Kolbow-Lehradt
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