Nach der Wahl: die Netzpolitik muss 2.0 werden

Deutschland hat gewählt, aber was bedeutet dies für die Netzpolitik? Es scheint in unserer Gesellschaft ein Verständnis für die Bedeutung als Querschnittsthema zu fehlen. In den Wahlprogrammen wurden Forderungen formuliert, in den Wahlkampfreden kamen die Themen vor, der Überwachungsskandal war Thema im Wahlkampf, aber nun wirkt es so, als ob neben Mindestlohn, Bürgerversicherung, Steuererhöhungen und anderen Klassikern des politischen Diskurses kaum noch Raum ist, um über die netzpolitischen Weichenstellungen für die nächste Legislaturperiode zu streiten.

Das ist fatal. Die Digitalisierung der Gesellschaft nimmt stetig zu, die Art und Weise, wie wir arbeiten verändert sich, die Kreativwirtschaft wächst und im Bildungsbereich sorgen immer neue Bildungsangebote im Netz und auf Tablets für Aufsehen. Im Deutschen Bundestag gab es in den vergangenen vier Jahren eine Enquete-Kommission zu Internet und digitale Gesellschaft, aber das kann nur der Anfang einer politischen Entwicklung gewesen sein. Dankenswerterweise hat jetzt Mathias Döpfner, der Chef der Springer AG, gefordert, ein Kreativministerium zu schaffen, um sich verstärkt um Internet, Digitalisierung und Urheberrecht kümmern zu können. Das geht schon in die richtige Richtung, verkennt aber die Vielschichtigkeit der Herausforderung der Digitalisierung unser Lebensbereiche, die sich eben nicht nur auf die Kreativwirtschaft beschränkt.

Aber es wird höchste Zeit, dass man Internet und digitale Gesellschaft als ein Querschnittsthema annimmt und ähnlich wie Europa auffasst: es betrifft alle Lebens- und Arbeitsbereiche und muss bei der zukünftigen Entwicklung unseres Landes immer mitbedacht werden, wenn wir die Chancen nutzen wollen, die sich durch die Digitalisierung bieten. Die Kreativwirtschaft ist so groß und vielfältig, hat aber kaum politischen Einfluß, obwohl sich genau hier der Wachstumsmotor der Zukunft entwickelt.

Wir müssen jetzt in eine neue Phase der Netzpolitik eintreten, von mir aus Netzpolitik 2.0, bei der wir das Gestalten der Zukunft in den Vordergrund nehmen und uns nicht mehr nur darauf verständigen, welche Entwicklungen wir nicht wollen und daher ablehnen. Ein Ministerium für Internet und digitale Gesellschaft wäre ein richtiger Schritt in die richtige Richtung, aber es muss sich dann auch eine begleitende Debatte entwickeln, die, ähnlich wie beim Thema Europa vor vielen Jahrzehnten, dafür sorgt, dass breite Teile der Gesellschaft involviert werden und die Relevanz des Themas für unsere Zukunft erkennen.


Image (adapted) „People“ by ThisParticularGreg (CC BY-SA 2.0)

arbeitet als COO des next media accelerator (http://nma.vc) in Hamburg. Er bloggt auf lumma.de und ist seit 1995 eigentlich nicht mehr offline gewesen. Er ist Mitglied der Medien- und netzpolitischen Kommission des SPD Parteivorstandes und Co-Vorsitzender des Vereins D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt. Unter @Nico findet man ihn auf Twitter. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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3 comments

  1. Naja, es liegt ja der Beschluss für einen Internet-Ausschuss im Parlament vor. (Weiss jemand da was Aktuelles?) – Wie es ja so auf den Berliner Dächern zwitschert, soll das ja nicht ohne einen Counterpart auf Regierungsseite einhergehen.

    Wenn Friedrich, oder welch Unfähiger aus einer #GroKo ihm ins Innenministerium folgen wird, diesen Part übernimmt, sollte klar sein, dass es heftigen Widerspruch im Parlament geben muss.
    Netzpolitik als Querschnittsthema darf nicht mehr mainly in den Händen des Innenministeriums verbleiben. Realistisch läuft es imho auf einen Koordinator/StS im Kanzleramt hinaus, die anderen Ministerien (Außen-, Wirtschaft-, etc.) werden sich mit Händen und Füßen wehren ihre digitalen Kompetenzen völlig abzugeben. Einige kennen das ja von diesem „Social Media“: Silos aufbrechen und partizipativ koordinieren.

    Dass Döpfner nun mit „Kreativministerium“ vorstürmt, zeigt, dass auch er nicht sicher ist, wie es laufen wird. Döpfner und seine Freunde bauen deswegen vor, dass ein Internet-Koordinator/StS viel viel von den Interessen von denen auf den Tisch gelegt bekommt. Je mehr davon auf den Tisch kommt, desto weniger haben die erwartungsgemäß wenigen Beamten Zeit für anderes, gar am Ende noch übergreifendes netzpolitisches Agieren.

    in short: Auf Bundesebene muss in den nächsten Wochen erstmal mit Argusaugen geschaut werden, wie sich Parlament und Regierung zusammenrütteln.

    Kultur, Bildung, Wissen – Stark in den Händen der Bundesländer und betroffen von internationalen Absprachen. Wenn Netzpolitik, jenseits klassischer politischer Kampflinien, hier, an der SUBSTANZ der Gesellschaft das Internet in seiner emanzipatorischen Nutzung langfristig etablieren will (und damit auch die Form des Webs mitzugestalten), heisst es nun arbeitsteiliger und dennoch professionell koordinierter voranzugehen.

    Und es gilt auch, sich der Realität einer asymmetrischen Multi-Stakeholder-Gesellschaft zu stellen. Im Macht-Dreieck Staat-Wirtschaft-Zivilgesellschaft stehen letztere oft mit der kleinsten faktischen Gestaltungsmacht dar. Das liegt einerseits an Geld, Zeit und anderen fehlenden Ressourcen, aber es liegt auch am Fehlen eines kollegial und arbeitsteilig geführten „Kampfes“.

    Es werden keine Strukturlösungen vom Himmel fallen, es wird auch im Dritten Sektor den Bedarf geben transparent miteinander umzugehen. Ohne dies wird es kein Vertrauen geben.
    Und nochmals: koordinierte Arbeitsteilung. Welcher „netzpolitisch“ Bewegte greift sich zusammen mit wem welche gesellschaftliche Gruppe, die zwar vom Web beeinflusst und betroffen ist, aber bei Netzpolitik an Beach-Volleyball denkt? und wie wird das koordiniert?

    Und last, but not least – Wo laufen die Bruchlinien? Wir werden keine Engeln durch das Netz. Es gibt nicht „die“ Webbegeisterten. Es gibt Leute, die wollen mehr Konsum mit dem Web erzeugen, andere wollen einen anderen Konsum. Einige wollen den Einzelnen mehr bereichern, andere denken mehr an das Allgemeinwohl. Einige sind libertär, andere vernünftig. ;)

    Das ist eine Gesellschaft, keine Schicksalsgemeinschaft. Wer offen sagt, was er will, wird die pluralistische Debatte voranbringen und Entscheidungen erzeugen. Wer weiter intransparent wirken will, sollte wissen, dass diese Zeiten vorbei sind.

    Oh, und eins noch. Wie soll man eigentlich eine aufklärerische, emanzipatorische Netzpolitik gestalten, wenn die NSA, deren Businessfreunde und die Verfassungsverräter in der deutschen Regierung das Internet kaputt gemacht haben?

    Wer ein Bürger ist, der stehe auf für das Netz. Wer weiter negiert, dass diese wunderbare, die Menschen verbindende Sache Internet, von diesem elenden ignoranten Gesindel kaputt gemacht wird, sollte wissen, dass er auf der falschen Seite steht. Die Sklaven, die bei ihren Herren bleiben, wählen auch die falsche Seite. Für eine freie digitale Welt muss man nicht nur dolle Politik machen wollen, sondern in Momenten grundlegender Gefahr auch bereit sein, weiterzugehen.

    So, und jetzt ihr.

  2. Das Medium ist die Botschaft? Ich interpretiere die Botschaft so, dass ich eine aufgeklärte(re) Rückbesinnung erwarte (Renaissance) – weniger entfremdend, als wieder verbindender Lebensart & -weise mit starkem regio-lokalen, lebenspraktischen Bezug! Natürlich unterstützt durch ältere Tools (Kalender & Uhr) und neuere (digitale) Werkzeuge.

    Ob ES wie beim Geld – erst eines Schul’Projekts wie dem des Chiemgauer Regionalgelds bedarf – um ein digitales Netz mit starkem regio-lokalen, lebenspraktischen Bezug auf Basis von Schulen (notwendigerweise NSA-Frei;-) zu bauen – um zu zeigen, was freie Mittel auf friedlichen Wegen im Digitalen bedeuten?

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