Am vergangenen Mittwoch strahlte die ARD einen Beitrag zur Leiharbeit bei Amazon aus. Daraufhin war ein neuer Shitstorm geboren, den Nico Pliquett hier einmal analysiert.
Den Valentinstag 2013 werden die Mitarbeiter des Onlinehändlers Amazon.de so schnell nicht vergessen. Statt mit Liebe sind sie auf Facebook mit Beschimpfungen, Wutausbrüchen, Kündigungen, Nazi-Vorwürfen und negativer Kritik konfrontiert. Nach der Ausstrahlung eines kritischen Beitrags in der ARD brach über Amazon.de ein Shitstorm herein.
In dem TV-Beitrag wurden in der Nacht des 13. Februar unter anderem die Arbeitsbedingungen ausländischer Leiharbeiter und die Beschäftigung von mutmaßlich Rechtsradikalen im Sicherheitsdienst bei Amazon.de thematisiert. Viele Facebook-Nutzer warteten das Ende der Sendung gar nicht erst ab, sondern machten ihrem Ärger über die geschilderten Zustände auf der offiziellen Fanpage von Amazon.de bei Facebook umgehend Luft.
Bis gestern Abend sind auf der Fanpage allein 937 Postings in Form von Status Updates, Fotos, Links und Videos von Facebook-Nutzern zu dem TV-Beitrag abgesetzt worden. Dazu kommen noch einmal über 2.000 Kommentare. Um zu verdeutlichen, welche Ausmaße der Shitstorm angenommen hat: Amazon.de hat mit 2,8 Millionen Fans eine gewaltige Fanbase in Deutschland aufgebaut – aber die gegenwärtigen Aktivitätswerte auf der Fanpage wurden bislang nur mit aufwändigen Kampagnen etwa zum Weihnachtsgeschäft erreicht.
Amazon.de wird mit Vorwürfen überschüttet, Mitarbeiter wie Sklaven zu halten, Nazis zu beschäftigen, Accounts werden gelöscht, das Unternehmen sieht sich massiver Kritik und Beschimpfungen ausgesetzt. Immer wieder werden Rufe nach einer Stellungnahme laut. Ausgewogene, ruhige Beiträge sind die Ausnahme – eine sachliche Diskussion scheint gegenwärtig unmöglich.
Vermutlich wegen dieser angespannten Stimmung hält sich Amazon.de mit einer Stellungnahme zum Thema zurück und schweigt auf Facebook. Ob das die richtige Lösung ist, wird sich zeigen. Besonders gesprächig im Umgang mit den Fans war Amazon.de allerdings noch nie: Die Antwortrate der Seite auf Beiträge von Fans liegt bei 0 Prozent. Ins Reich der Legenden gehört allerdings die Vermutung Amazon.de-Mitarbeiter hätten sich auf Facebook verabredet, verstärkt positive Kommentare abzusetzen, um dem Shitstorm etwas entgegen zu setzen. Im Internet kursieren Screenshots, die ein entsprechendes Vorgehen belegen sollen.
Angebliche Mitarbeiter von Amazon: Ich schreibe jetzt einfach mal ein paar nette Dinge.
Tatsächlich lassen sich weder über Google, noch Bing oder die Facebook-interne Suche die entsprechenden Profile finden. Das ist zumindest ungewöhnlich. Es ist davon auszugehen, dass es sich um einen gut gemachten, aber für Amazon.de üblen Fake handelt, der die negative Erwartungshaltung vieler Menschen ausnutzt, von Unternehmen in kritischen Situationen prinzipiell getäuscht zu werden.
Aus der Sicht vieler Seitenbetreiber auf Facebook ist das Vorgehen von Amazon.de unter den Augen der Öffentlichkeit interessant. Inzwischen kündigte das Unternehmen gegenüber der Nachrichtenagentur dpa eine Prüfung der Vorwürfe an. Zur Situation auf Facebook gab es keine Stellungnahme.
Dort wurde stattdessen in den Mittagsstunden des 14. Februar ein eher albernes Posting zu den Zootieren aus dem Film Madagaskar 3 veröffentlicht. Das brachte viele Fans, die auf eine Erklärung des Unternehmens gehofft hatten, erst Recht in Aufregung.
Während die Facebook-Nutzer bislang kein Feedback des Unternehmens erhalten, steigen die Kennzahlen der Amazon.de Fanpage. Binnen Stunden nach Ausstrahlung des ARD-Beitrags generierte die Seite 11.985 Fans. Der mit Abstand höchste Wert seit Jahresbeginn. Gleichzeitig zieht die Anzahl der Sprechen darüber an. Da dieser Wert von Facebook zeitversetzt ausgeliefert wird, wird diese Anzahl in den nächsten Tagen mit Sicherheit explodieren.
Entwicklung der Fanzahlen bei Amazon.de auf Facebook: mit Abstand der höchste Wert seit Jahresbeginn nach Ausstrahlung der Sendung.
Entwicklung der Interaktionen bei Amazon.de auf Facebook: Über 2.000 Kommentare, 937 Beiträge auf der Timeline.
Hier zeigt sich wieder einmal, dass die beiden prominentesten öffentlichen Kennwerte einer Fanpage für sich allein gestellt kaum Aussagekraft über den Zustand eines Facebook-Auftritts haben. Die Fanzahlen steigen, weil den Nutzern wenig anderes übrig bleibt, als Amazon.de zu liken, wenn sie in ihren Newsstreams aktuell über den Stand der Ereignisse informiert werden möchten. Und je mehr Beiträge auf der Amazon Fanpage von Nutzern veröffentlicht, kommentiert, geliked oder mit Freunden geteilt werden, desto schneller wächst auch der Wert der Sprechen darüber.
Das Problem: Auch dieser Shitstorm wird vorüber gehen – was bleibt, sind die Zahlen, die einen wachsenden, viel besprochenen Unternehmensauftritt ausweisen und tausende neuer Fans, die Amazon ein Like geschenkt haben, obwohl sie inhaltlich das Gegenteil zum Ausdruck bringen wollten.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im socialBench-Blog.
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Schlagwörter: amazon, ard, doku, H.E.S.S., Leiharbeiter, Nazis, reportage, Shitstorm
4 comments
Für ein Unternehmen dieser Größenordnung ist das Krisenmanagement erbärmlich schlecht. Man mag es kaum glauben, wie unprofessionell das abläuft.
Vielen Dank, bitte weiterberichten
lg Dominik