Netlabels, Teil II: Headphonica und Aaahh Records

Anfang Januar dieses Jahres versprach ich hier, Netlabels, die „aus der Masse herausragen„, vorzustellen. Heute geht es weiter – mit einem Kollektiv aus Berlin und experimentellen Sounds aus Halle. Neben Jamendo, Soundcloud oder Bandcamp, auf den Musikerinnen und Musiker ihre Werke selbst veröffentlichen und promoten können, gibt es immer noch – oder immer wieder – zahlreiche Netlabels, die mit viel Liebe zur Kunst und zum Detail „handgemachte“ Klänge unters digitale Volk bringen. Alle veröffentlichen bemerkenswerte Musik – unter Creative Commons-Lizenzen und meist ohne obligatorisch dafür Geld zu verlangen. In meiner Kolumne stelle ich sie in unregelmäßigen Abständen vor.

Headphonica

Wie die meisten Netlabelbetreiber sind auch die Menschen hinter Headphonica ein bisschen verrückt – im positivsten, künstlerischsten Sinn: Seinen Start – und auch seinen Namen – verdankt das Netlabel aus Halle und Weimar einer Compilation, deren Tracks ausschließlich mithilfe von als Mikrofon zweckentfremdeten Kopfhörern aufgenommen wurden. Nach diesem ersten Release im Jahr 2006 war die experimentelle Ausrichtung schnell klar. Bis heute begleitet dieses Attribut die meisten Veröffentlichungen, daneben spielen aber auch eine beabsichtigte Rohheit und Unfertigkeit eine tragende Rolle.

Zum Beispiel bei Jan Gründfelds „A Trace“ – definitiv eines meiner Lieblingsalben auf Headphonica. Fragmentarische Field Recordings, Akustikgitarren und zurückhaltender Gesang dominieren die zerbrechlichen Arrangements und erzeugen eine Intimität von verstörender Schönheit.

Oder Phonotrashs „Elsewhere“: Eine durchgeknallte Band interpretiert die klassische Rockbesetzung „Bass, Gitarre, Drums“ neu: Ein altes und entsprechend klingendes E-Drumset, eine E-Gitarre mit Billig-Effektgeräten und ein E-Bass mit ebenso trashigen Effekten nebst Bassgitarrensynthesizer erzeugen – live eingespielt! – eine Art Retro-SciFi-Garagenrock, den es so bisher nicht gab. Am ehesten noch mit dem frühen Console vergleichbar, haben die drei Slovenen so doch ihren ganz eigenen Stil geschaffen, irgendwo zwischen Chiptunes und Can. Das Ganze ist geprägt von einem „starken D.I.Y. Ethos“ – alles wurde selbst aufgenommen und gemischt –, ist witzig, aber nicht zu ironisch, klingt rau und hat einfach Potenzial.

Wenig fertige Konsumprodukte“ und „divergent“ bezeichneten die Labelbetreiber ihre Veröffentlichungen entsprechend einmal in einem Interview mit dem Phlow Magazin.

Aaahh Records

Für Aaahh Records reicht die bloße Bezeichnung Netlabel nicht. Vielmehr handelt es sich um ein Kollektiv im engen Sinn, denn hier sind Künstler und Labelbetreiber noch enger miteinander verwoben, als das bei den meisten anderen Netlabels ohnehin schon der Fall ist.

Aaahh Records wurde 2008 in Bielefeld von Christian Grasse, Jochen Dreier und Henning Cordes gegründet und ist heute neben Berlin hauptsächlich im Netz zuhause. Eine der ersten Veröffentlichungen stammt von der Kölnerin Julia Kotowski, besser bekannt als Entertainment for the Braindead. Mit ihrem ruhigen und dennoch vielschichtigen LoFi-Folk avancierte sie schnell vom Geheimtipp zum gefragten Live-Act und – ganz abseits von Musikbusiness und Mainstream und damit nicht vergleichbar mit Acts wie Zoe.Leela – zu so etwas wie einem Aushängeschild der Netlabelszene. Beachtliche zwölf Alben und EPs veröffentlichte sie seit 2007 – darunter die „Postcards“-Serie und das auf Aaahh erschienene „Roadkill„, vielleicht ihr bisher markantestes Werk.

Im Laufe der Zeit hat sich Aaahh Records gewandelt – etwas weg vom klassischen Netlabel hin zum – ich erwähnte es bereits – Kollektiv, bei dem die Hörerinnen und Hörer eine zentrale Rolle spielen. Es ging nie darum, besonders viel zu veröffentlichen, daher prägen eher wenige, sehr bedachte und qualitativ hochwertige Releases den Backkatalog. Nun allerdings – und davon zeugt auch der kürzliche Relaunch der Website – stehen die Veröffentlichung von Singles und insbesondere die Organisation kollaborativer Events wie „Braaahhlitz“ im Mittelpunkt: Ende August 2014 wird das Festival in dem kleinen Dorf Bralitz 50 Kilometer östlich von Berlin zum dritten Mal stattfinden. Bemerkenswert, weil hier die Grenzen zwischen Musikern, Label- und Festivalmachern sowie Gästen nicht nur verschwimmen, sondern schlicht nicht vorhanden sind. In Zusammenhang mit der Örtlichkeit, fernab der Großstadt und mitten im Grünen, schafft das Kollektiv so eine kreative Atmosphäre, in der nicht nur schöne Live-Musik entsteht. Es finden auch Aufnahmesessions statt, die später in Form von Compilations (Braaahhlitz 2012, Miss You EP, Denmaaahhrk) veröffentlicht werden.

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Man kann sich vorab bereits auf den Festival-Newsletter eintragen, damit man sofort erfährt, wo und wie es Tickets gibt – diese sind auf 250 begrenzt und, wie auch in 2013, via ‚Zahl was du willst’ erhältlich„, sagt mir Christian Grasse. Auf meine Frage hinsichtlich einer potenziellen, nun ja, Hippieromantik entgegnet Christian lachend: „Das ist natürlich Definitionssache – ich würde das eher als „Crowd-Romantik“ verstehen„.

Frisch veröffentlicht wurde gerade die Single „The Preacher don’t care“ der Madrider „The Dark Colours Since 1685“, die es ordentlich krachen lässt – schließlich führt das Quartett seinen mit dem selbstbetitelten Debut begonnenen, energiegeladenen Garagenpunkrock konsequent fort.

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Image (adapted) „20130824-braaahhlitz-1200.jpg“ by Simon Bierwald (CC BY 2.0)


schreibt die monatliche Kolumne 'Netzmusik' für die Kölner Stadtrevue und hilft das Kölner Netaudio-Label 'Der kleine grüne Würfel' zu betreiben. Beruflich beschäftigt er sich mit der Kommunikation von Wissenschaft und Technologie im Rahmen der Weltraumforschung und ist für die für Online-, Social- und Cross-Media Kommunikation beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) zuständig. Privat bloggt Marco auf Superpolar.org.


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