Sind Newsletter eine Geheimwaffe gegen die Informationsflut? Zwei journalistische Influencer und ihre Direct-Mailings im Vergleich. Vor dem Hintergrund des Siegeszugs sozialer Medien und Messenger-Dienste wird seit einiger Zeit der Tod der E-Mail diskutiert. Zumindest bemühen sich die Nutzer eifrig darum, ihre Inbox mit diversen Strategien und Tools schneller zu leeren, als der digitale Postbote neue Briefe bringt. Ungeachtet dessen bleibt das Format des Newsletters beliebt. Nun ist auch der Journalist Dirk von Gehlen mit einer regelmäßigen Aussendung am Start. Und zum Vergleich wird hier ein Blick auf das ganz anders gestrickte Angebot seines amerikanischen Kollegen Alexis Madrigal geworfen.
Zum Jahreswechsel diagnostizierte die britische Wired „The return of the newsletter“ und auch im Jahresrückblick auf 2014 von Tobias Schwarz spielte das Thema eine Rolle. Nun erschienen erstmals die „digitalen Notizen“ des Leiters „Social Media/Innovation“ bei der Süddeutschen Zeitung. „Digitale Notizen“, so lautet auch der Titel des privaten Blogs von Dirk von Gehlen, in dem er seit 2007 „interessante Merkwürdigkeiten aus der Medienwelt“ behandelt. Ende 2014 hatte der Autor des durch eine Crowdfunding-Kampagne finanzierten Buchs „Eine neue Version ist verfügbar“ folgende Vorgabe formuliert: „Monatlich gibt es einen Einblick in die aktuelle Debatte um Digitalisierung und Medienwandel„. Erkenntnisziel sei der distanzierte Blick abseits des Tagesgeschäfts: „Was bleibt von all den Neuigkeiten und Veränderungen? Welche Schlüsse kann man daraus ziehen? Welche Muster kann man erkennen?„
Inhalt auf Einladung
Allerdings lässt sich der kostenlose Newsletter nur auf Einladung lesen. Diese gab es für die Interessenten am abgeschlossenen Buch-Crowdfunding ebenso wie in begrenzter Anzahl für Leser des Blogs. Für weitere Verbreitung sorgt das Schneeballprinzip mit dem registrierte Empfänger Einladungen erhalten und weitergeben können. Der Verteiler umfasste bei der ersten Lieferung so über 700 Empfänger. Diese erwartet in den Januar-Notizen nach einer Einleitung eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen journalistischen (Geschäfts-)Modellen digitaler Medien entlang einiger aktueller Aussagen von Beteiligten aus der Branche (u.a. Andy Carvin, dessen Kritik auch bei den Netzpiloten schon Thema war). Von Gehlens Fazit: „Datengetriebene Medien haben keine Probleme damit, auch Werbekunden Zugang zu ihren Daten zu geben – und diese so nicht für die reine Reichweite, sondern für das Wissen über die Nutzerinteraktion zahlen zu lassen.“ Der letzte Teil des Newsletters erfüllt dann eine klassische Informationsfunktion, denn es werden überwiegend eigene Artikel verlinkt. Insofern liegt der Inhalt des Brief(ing)s irgendwo zwischen Blogpost und Archiv digitaler Lebensaspekte des Autors.
Täglich fünf faszinierende Sachen
Alexis Madrigal dürfte einem größeren Publikum durch seine Tätigkeit beim US-Magazin „The Atlantic“ bekannt sein, wo er vor allem (digitale) Technologie-Themen bearbeitete. Seit Ende 2014 fungiert er für den TV-Kanal „Fusion“ als Verbindung zum Silicon Valley. Madrigal versendet seinen Newsletter schon länger und begründete sein Interesse an diesem Format mit einer Kritik des in den sozialen Medien dominierenden Modus der Produktion und Rezeption von Inhalten: „The Stream is fun and fast, but don’t you miss the sense of an ending?“ Demgegenüber akzentuierte er: „My newsletter is finite (always less than 600 words) and it comes once a day. It has edges. You can finish it.“ Obgleich hier ebenso wie bei von Gehlen das Motiv des Innehaltens anklingt, wird es ganz anders umgesetzt: Werktäglich liefert Madrigal „five intriguing things“ (5IT ist deshalb der Titel seines Newsletters). Dabei handelt es sich in der Regel um Zitate aus (nicht immer aktuellen) Texten, die online verfügbar sind. Im Gegensatz zur Praxis von Presseschauen werden die Quellen erst ganz am Ende genannt und auch die Autoren nicht immer erwähnt. Inhaltlich erwartet die Abonnenten dann eine Wunderkammer der modernen Welt, die von Geek Dads, Makers, Robotern, Drohnen usw. usf. bevölkert ist.
Serielles Storytelling
Technisch wird die Aussendung mittels des Anbieters Tiny Letter realisiert. Dabei handelt es sich um die simple sowie komplett kostenfreie Variante des Dienstes von Marktführer MailChimp (dieser hat Tiny Letter bereits vor einiger Zeit aufgekauft). Interessant ist, dass sich Tiny Letter als „Email for people with something to say“ positioniert und unter anderem mit Madrigal auf der Startseite bewirbt. Hier rücken Newsletter in die Nähe eines eigenständigen Content-Kanals, der auf serielles Storytelling abzielt. Ähnlich liest sich auch die Ankündigung einer „Mini-Serie“ bei der Plattform „Medium.com“: Die Leser sollen den Newsletter abonnieren, um vor anderen Interessenten die nächste Episode zu Gesicht zu bekommen. In der Kombination von exklusivem Inhalt und Marketing fungieren Newsletter so als relevante journalistische Kommunikationsangebote für die digitale Gesellschaft.
Image (adapted) „HTC Wildfire Mail Icon“ by DigitPedia Website (CC BY 2.0)
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Schlagwörter: Alexis Madrigal, Dirk von Gehlen, email, Newsletter, Social Media
1 comment
Das neuerdings Newsletter als Artikel-Distribution wieder mehr genutzt werden, ist kein Zufall. Sie unterscheiden sich sowohl vom klassischen Marken-Angebot einer Zeitung als auch von der Awareness-getriebenen Social-Media-Zirkulation, weil sie das Leser-Interesse und die Relevanz in den Mittelpunkt stellen. Wenn die Zeitungen einmal merken würden, dass dieser gedankliche Ansatz eigentlich viel mehr der heute nötigen und möglichen Kundenorientierung entspricht, dann könnten sie das Newsletter-Prinzip auch ökonomisch ziemlich handfest in ihr Geschäftsmodell integrieren. Im Letter werden ja auch Artikel gebündelt, nur eben nach dem Prinzip, wie man es als Netzleser heute lieber hat, wonach man sich vielleicht sogar sehnt. „All the news that fits to print“ – das ist Überflussproduktion, auf dem Feld ist jede Online-Zeitung heute nur eine Welle im Ozean der Redundanz. „All the news you want to hear about“ – das gibt mir derzeit niemand. Auch die Aggregatoren hängen alle auf dem alten Bauchladenprinzip fest. Aber Bauchladen ist das Internet per se … Newsletter stellen dazu das Gegenteil dar. Eigentlich eine ziemlich hochwertige Dienstleistung …