nextReality.Festival – XR-Umsetzungen statt -Fantasien

Der SPACE Hamburg ist schon längst unser Zuhause geworden. Nicht nur zum Entspannten Coworking, sondern auch für diverse Veranstaltungen. Das nextReality.Festival war ausnahmsweise keine Veranstaltung des SPACE selbst, dafür aber von den im selben Haus befindlichen Kollegen von NextReality.

Das Festival fand  dieses Jahr zum ersten Mal in der Hamburger Speicherstadt sein neues Zuhause. Dafür nutzte es gleich drei Etagen des alten Speichers. Im uns vertrauten SPACE fand der Großteil des Bühnenprogramms sowie diverse Workshops statt. In den Räumen von NextReality und dem Forschungs- und Transferzentrums der HAW war dagegen vor allem die spannende Ausstellungsfläche des Events.

Wir haben uns am zweiten Tag auf dem nextReality.Festival getummelt und ein paar Eindrücke gesammelt.

Best Practice statt Luftschlösser

VR, AR oder XR verbindet man noch immer viel mit dem Metaverse. Das Metaverse selbst ist aber die letzten Jahre etwas untergegangen, als die KI schlagartig in die Wahrnehmung der breiten Masse rückte.

Beim nextReality.Festival erwartete ich mir daher eher eine Schlacht der bekannten Buzzwords. Doch gerade der erste Teil des Tages bestand für mich überraschend wenig aus Luftschlössern, was XR denn sein könnte. Stattdessen gab es viele Beispiele, wo XR bereits schon sinnvoll eingesetzt wird.

Den Anfang machte das THW mit einem Vortrag über ein VR-Projekt im Katastrophenschutz. Der Einsatzbereich klingt simpel. VR-Schulungen für den Aufbau von Multifunktionsgerüsten im Katastrophenschutz. Der Use-Case hat es aber trotzdem in sich: Eine hohe Ausfallquote bei einem Lehrgang den THW-Mitglieder nicht all zu oft machen, der aber einen hohen logistischen Aufwand hat – noch dazu weil die Arbeit beim THW zu 98 Prozent aus Ehrenamt besteht.

Auch Referent Dr. Leon Pietschmann ist einer dieser ehrenamtlichen Katastrophenhelfer. Der XR-Experte organisierte das kleine Team aus weiteren Ehrenamtlern mit IT-Background, die in ihrer Freizeit mal eben eine VR-Anwendung aus dem Boden stampften. Mich beeindruckte vor allem wie schnell die Umsetzung war und wie früh man sich gezielt auch die Ausbilder an Bord holte, um sie zu überzeugen, aber auch direkt in die Entwicklung einzubinden.

Darin lag laut Pietschmann aber auch ein Teil des Erfolges: Das Projekt  zu bekommen, bevor die Zweifler zu laut werden. Gelohnt hat es sich jedenfalls. Ohne den Lehrgang selbst anzufassen, halbierte die zusätzliche VR-Schulung die Durchfallquote.

Vortrag über VR-Einsatz zur Unterstützung bei der Ausbildung im Gerüstbau.
Simpler Use Case? Diese vielseitigen Gerüste bieten komplexe Möglichkeiten und sind ein idealer Anwendungsfall für eine VR-Umgebung.

Kooperative Anwendungen

Nach diesem spannenden Auftakt wechselte ich zwar die die Bühne, doch der Vibe blieb ähnlich. Fabian Jäger zeigte uns kooperative Trainings am Beispiel eines virtuellen Containerhafen. Dieser simulierte den Hafenbetrieb inklusive autonomer Fahrzeuge, ermöglicht mehrere Rollen, virtuelle Leitstände und ermöglicht dabei Prüfern eine Vielzahl von möglichen Problemsituationen zu starten. Auch hier galt: Die Anwendung so gestalten, dass sie auch ohne VR-Brille zugänglich ist, wenn ein Teilnehmer es nicht verträgt.

Anschließend ließen uns Daniel Schäfer und Sean Keogh von Headroom an den Erfahrungen mit ihrer eigene Plattform teilhaben, über die Unternehmen virtuelle Meetings und Events abhalten können. Das Metaverse dient dort als das fehlende Stück zwischen Zoomcalls – in denen die meisten bereits Kameras ausgeschaltet haben – und echten Meetings an einem physischen Ort.

Wie natürlich die soziale Komponente im Metaverse sein kann, zeigten die beiden uns an einem Beispiel, wo die Teilnehmer spontan auf die Idee kamen, einfach mal ein Selfie zu machen. Zugleich unterstrichen sie aber auch, wo die VR sogar einzigartige Möglichkeiten bietet. Entgegen eines realen Meetings kann man sich eben Mal einen Bus und einen Rollstuhl in die Anwendung holen, um etwa das Design einer Rollstuhlrampe zu diskutieren.

Interessant war auch gegen Ende der Veranstaltung der Vortrag von Tim Heitmann, der mit seinem Team virtuelle Escape Rooms für Unternehmen erstellt, die unter anderem dem Onboarding oder der Wissensvermittlung im Unternehmen dienen. So lernen die Spieler etwa wichtige Features eines neuen Produktes oder neue Mitarbeiter ihr Unternehmen noch vor dem ersten Arbeitstag besser kennen.

Selten habe ich bei einer Veranstaltung die Speaker selbst so interessiert bei den anderen Vorträgen teilnehmen sehen. Auch in den anschließenden Q&As gab es nicht selten einen fruchtbaren Austausch für beide Seiten.

XR zum anfassen

Beim nextReality.Festival konnte man sich aber nicht nur über XR austauschen, sondern es auch tatsächlich in Aktion erleben. Dafür gab es immerhin die große Ausstellungsfläche des Festivals.

Am prominentesten war dabei der Bereich des Tower Tags, eine VR-Mischung aus Laser Tag und Paintball, bei der jeweils zwei Teams gegeneinander antreten. Jede Spielstation war dabei an einer Säule aufgebaut, die den VR-Gegenstück der Säulen auf den Plattformen entsprachen, die man im Spiel nach und nach für sein Team beanspruchen muss. Ein spannendes Spiel, das sowohl als Teilnehmer als auch als Zuschauer Unterhaltung bietet.

Interessant waren aber auch die Projekte des nextReality.Contests, die sich sowohl in Pitches als auch mit ihren interaktiven Demos auf der Ausstellungsfläche präsentieren konnten. Die VR Experience „Fate of the Minitaur“ schickt einen als Menschenopfer in das Labyrinth des Minotaurus und lässt den Spieler diesen Teil der griechischen Mythologie so immersiv wie noch nie erleben. Wir selbst konnten leider nicht reinspringen, aber die Präsentation machte schon echt Lust darauf. Hier ein kleiner Anschmecker:

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Spannend waren aber auch Projekte wie VRescue, über das Training für die Notfall-Medizin kostengünstig in die Virtual Reality geholt wird. Auch wenn für die Ausbildung gedacht, kann einem solche App mit genügend Erklärung auch als Laie einen spannenden Einblick in die Notfallmedizin geben.

Dass es nicht immer die VR-Brille sein muss zeigte uns außerdem eine interessante simple Smartphone-App für den Physikunterricht. Sticker sorgen dafür dass die App die Elemente eines Steckbaukastens für Stromkreise identifizieren und den Strom im Kamerabild sichtbar macht. Neben dem Lernaspekt selbst auch ein schönes Beispiel wie Schulen den Schülern Medienkompetenz vorleben können.

XR Pitch Battle

Zum Abschluss fand der XR Pitch Battle der Moin Filmförderung statt, bei dem die 5 Finalisten des Wettbewerbs sich in 5-Minuten-Pitches live vor Publikum und Jury präsentieren konnten.

Um die 10.000 Euro Förderung als Preis traten XR-Entwickler*innen aus ganz Europa an, von denen 4 trotzdem extra nach Hamburg angereist sind, um ihre Projektideen vorzustellen. Für mich persönlich waren die Projekte zum Teil ein bisschen zu avantgardistisch, doch zwei Pitches haben es mir dann doch angetan.

Zum einen war da ein Spiel, bei dem es darum geht, dass der Hauptcharakter eine Karte findet, die einen Weg zeigt, wie er endlich seine isolierte Heimatinsel verlassen kann. Um das zu schaffen braucht er aber die Hilfe der anderen Inselbewohner. Während der skizzenhafte Bleistift-Stil der Grafik und die geplanten Features einfach richtig Lust auf das Spiel machten, war ich mir aber nicht sicher, ob das Spiel nicht auch ohne VR fast genau so funktionieren würde.

Da rückte die letztliche Gewinnerin die immersiven Elemente doch noch stärker in den Fokus. Ihre Idee sollte die Datensammelwut von elektrischen Geräten verdeutlichen, indem man die Welt aus der Sicht eines Saugroboters erlebt. Mit geschicktem Storytelling soll sich die Erfahrung von einer sehr groben Sicht auf den Grundriss der Wohnung immer mehr öffnen, bis der Roboter gewissermaßen mehr über die dort lebende Familie erfährt als die einzelnen Familienmitglieder selbst.

Neben der Egoperspektive des Roboters sind auch noch andere Blickwinkel geplant wie die Draufsicht der Wohnung inklusive der Informationen, die der Roboter über die Wohnung gesammelt hat. Dass der Pitch auch beim Publikum Eindruck hinterlassen hat, merkte man bereits an den vielen interessierten Detailfragen in der Q&A-Session während die Jury sich beriet. Auf die Umsetzung freue ich mich schon jetzt.

Ein XR-Festival das begeistert

Es ist fast schon etwas schade, dass auf dem NextReality.Festival erwartungsgemäß vor allem Besucher waren, die schon öfter eine VR-Brille auf der Nase gehabt haben. Aus meiner Sicht war der Programm-Mix nämlich ideal, um auch jene abzuholen, die bislang noch keine große Berührung mit dem Thema hatten. Es gab viele Möglichkeiten sich selbst eine Brille aufzusetzen und sehr bodenständige Beispiele, wo die Technologie bereits erfolgreich genutzt wird.

Auf der anderen Seite merkte man am Interesse der Speaker an den anderen Vorträgen aber auch, dass die Branche unter sich noch ganz viel voneinander lernen kann und auch will. Und gerade jetzt scheint ein perfekter Zeitpunkt dafür. Mit der Apple Vision Pro und der Meta Quest 3 auf dem Markt und ihren aktuell verstärkten Marketing-Kampagnen, könnte die Technologie kurz vor einem neuen Kapitel stehen. Wir freuen uns schon auf die nächsten Entwicklungen und natürlich auf das nächste nextReality.Festival.


Images by Stefan Reismann

Das Internet ist sein Zuhause, die Gaming-Welt sein Wohnzimmer. Der Multifunktions-Nerd machte eine Ausbildung zum Programmierer, schreibt nun aber lieber Artikel als Code.


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