Ödipedia – Theater für Prosumenten

antigone.pngBei Regisseuren von Theaterstücken ist es verbreitet, die teilweise jahrhundertealten Vorlagen in ihrer Inszenierung an die Gegenwart anzupassen, sei es durch Mittel der Sprache, der Bühnengestaltung oder gar durch eine Veränderung der Handlung. Da ist der Schritt von Benedict Roeser, Regisseur der Theatergruppe Antigone2.0, nur konsequent alle Interessierten an der Entwicklung eines neuen Theaterstücks Ödipedia mitwirken zu lassen. Nun kann jeder, in einem eigens für das Stück angelegten Wiki, Änderungen an den Originaltexten vornehmen und sich an der Diskussion beteiligen. Als Grundlage dienen Sophokles‘ Tragödien „König Ödipus“ und „Ödipus auf Kolonos“.

Die Realität finden

Zum Entwicklungsprozess gehört eine Forschungsphase, in der die Herausbildung von Wissen und Realität thematisiert wird. Somit werden durch Fragen wie „Gibt es nur WAHR und FALSCH oder auch etwas dazwischen?“, „Wie subjektiv ist Wahrheit?“ oder „In wieweit können wir sogenannten Experten vertrauen?“ eine kritische Auseinandersetzung mit Wissenserwerb und Medienkompetenz gefördert. In gewisser Weise ist die Verwendung des Wikis nicht nur ein arbeitstechnisches Konzept, sondern der konkreter Forschungsgegenstand, dessen Ergebnisse sich in der endgültigen Inszenierung manifestieren.

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Manipulation als kreativer Prozess

Die Qualität von nutzergeneriertem Inhalt ist schon seit längerem beim Vorzeigeprojekt Wikipedia ein zentraler Diskussionsgegenstand und wird von Kritikern gern hervorgehoben. Wie die Manipulation des Wikipediaartikels über die republikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin oder frühere Beispiele von DAX Konzernen zeigen, gibt es Interessensgruppen und Firmen, die die Wikipedia als Marketinginstrument missverstehen und ihre Glaubwürdigkeit untergraben. So setzt das Konzept zur Ödipedia an einem zentralen Problem der Wissensgesellschaft, in der die Bedeutung der Worte „es steht geschrieben“ ihre Gültigkeit verloren hat, an.

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[Quelle]

User generated Theater

Dem neuen Stück, für das jetzt schon geprobt und geschrieben wird und dessen Uraufführung im April 2009 zu erwarten ist, ging das Werk Antigone2.0, nachdem auch die Theatergruppe benannt ist, voraus. Schon dabei ging es um einen Einbezug des Publikums in das Geschehen auf der Bühne. So wurden den Zuschauern Laptops ausgehändigt, mit denen sie in einen auf die Bühne projizierten Chat das Geschehen kommentieren konnten. Unter anderem wurde dieses Schauspiel zum LinuxTag2008 aufgeführt.

Nach Benedict Roeser nimmt das Theater auf das Internet Bezug und umgekehrt, dabei gibt er zu bedenken, dass es für die Macher des jeweilig anderen Mediums meist nur eine inhaltliche Rolle spielt. Daher sieht er im 2.0 ein gesellschaftliches Phänomen, das sich auf jeden Lebensbereich übertragen lässt und somit als Potential zur strukturellen Erweiterung des Theaters verstanden werden sollte.

Literaturempfehlungen:

  • 1. Glesner, Julia: „Theater und Internet. Zum Verhältnis von Kultur und Technologie im Übergang zum 21. Jahrhundert“ transcript Verlag, Bielefeld.
  • 2. Münker, Stefan und Roesler, Alexander (Hrsg.): „Mythos Internet“ (suhrkamp,Frankfurt am Main)
  • 3. Leeker, Martina: „Maschinen, Medien, Performances. Theater an der Schnittstelle zu digitalen Welten“ (Alexander Verlag, Berlin)
  • 4. Sandbothe, Mike: „Theatrale Aspekte des Internet“

studierte Soziologie, Psychologie und Betriebswirtschaft an der TU-Chemnitz. Sie ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Social Media. Privat bloggt Doreen unter http://www.finsblog.de über alles Mögliche und Unmögliche.


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