Die erste Facebook-Generation und die Tücken der Online-Identität

Obwohl es Hinweise darauf gab, dass die jungen Leute das Interesse an der Plattform verloren hätten, befindet sich Facebook mit 1,5 Milliarden Benutzern noch immer im Zentrum der sozialen Medien. Die Seite wurde im Jahr 2004 ins Leben gerufen und damit werden die, die im kommenden Jahr mit 13 in das klassische Teeniealter kommen, die erste Generation sein, für die Facebook schon immer existiert hat.

Jetzt können wir auf den Langzeitnutzen von Facebook blicken: Die Plattform genoss eine unerreichte Langlebigkeit und kontinuierliches Wachstum. Diejenigen, die in ihren frühen Teenager-Jahren beitraten, sind nun Mitte zwanzig und sind mit Facebook „erwachsen geworden“, während sie ihr Leben mit Texten, Bildern, Videos und Geolocations wie „check-ins“ dokumentiert haben. Wir haben diese jetzt Zwanzigjährigen zwei Jahre lang interviewt, um zu erforschen, wie sie das Aufwachsen auf Facebook dokumentiert haben.

Ihre Facebook-Profile sind sozusagen ein Archiv ihres Lebens. Als unsere Teilnehmer durch ihre vergangenen Facebook-Posts gescrollt haben, erzählten sie uns von Erlebnissen, über die sie gepostet hatten: Klausurergebnisse, neue Beziehungen, Trennungen, Jobverlust, Reisen und vieles mehr. Teils banal erscheinende Mitteilungen erinnerten sie an komplexere Geschichten, die einem nicht direkt offenbart wurden. Das Foto einer Teilnehmerin, auf dem sie auf dem Sofa ihres Vaters schläft, erinnerte sie an eine schmerzhafte Trennung. Für einen anderen zeigten die Lücken in seiner Timeline die Geschichte seiner Geschlechtsumwandlung, was dazu geführt hat, dass er einen neuen Account angelegt hat.

Während unsere Teilnehmer tiefer in ihre Vergangenheit eingetaucht sind, haben sie über Punkte in ihrem Leben nachgedacht, solche bei denen sie eine wichtige Entscheidung getätigt haben, wie der Schulabschluss, der Karrierestart und der Beginn einer eigenen Familie. Manche waren in ihrem letzten Jahr an der Universität und haben nach Jobs gesucht.

Heute sind Facebook-Profile fast so wichtig wie Lebensläufe. Und genauso, wie man einen Lebenslauf ab und an ausbaut und poliert, räumen junge Leute ihre Profile auf – sie priorisieren Geschichten über das Reisen oder Freiwilligenarbeit und verzichten auf die Posts, in denen man die peinlichen Details einer Nacht mit Freunden öffentlich gemacht hat, indem sie diese auf privat stellen oder ganz löschen. Damit soll ein professionelleres, wohl überlegtes und erwachseneres Profil und damit auch eine Identität erschaffen werden.

Das Beste nach vorne stellen

Für viele ist Facebook von einer Plattform, auf der das sorglose Studentenleben dokumentiert wurde, zu einem Platz geworden, an dem man seine professionelle Identität zeigt. Potentielle Chefs und Personaler sind schon seit einiger Zeit routiniert dabei, die sozialen Profile zu untersuchen – ein Phänomen, mit dem wichtige Fragen rund um die Privatsphäre entstehen. Facebook bietet mit Workplace nun sogar seine eigene, auf Arbeit ausgerichtet Facebook-App an. Das zeigt deutlich, dass Facebook mit seinen Services in alle Richtungen unseres Lebens mitgehen will.

Zwei Teilnehmer unserer Studie waren Medizinstudenten im letzten Jahr. Sie wurden in einem Jobsuche-Seminar trainiert, wo ihnen mitgeteilt wurde, dass Anwerber sehr oft Internetsuchen bezüglich der Bewerber durchführen, Facebook-Profile miteingerechnet. Dies brachte beide dazu, ihre Profile aufzuräumen und darüber nachzudenken, wie viele der Jahre wohl von potentiellen Arbeitgebern interpretiert werden würden.

Der Soziologe Anthony Giddens benutzt den Ausdruck des „“reflexiven Selbstprojekts“, um zu erklären, dass die persönliche Identität nicht in Stein gemeißelt ist, sondern es sich dabei um ein andauerndes Projekt handelt, an welchem wir immer arbeiten. Dieses Konzept kann man teilweise auf soziale Medien wie Facebook, Instagram und Twitter anwenden, weil es zeigt, wie diese Dienste in das Leben junger Leute integriert sind, genauso wie in deren professionelle Entwicklung.

Sie können ihre Vergangenheit durch das Aufpolieren ihrer Facebook-Profile überarbeiten – indem sie Bilder oder Beiträge löschen, die nicht länger mit ihnen zusammenhängen, oder nicht das repräsentieren, was sie darstellen wollen. Ganze Ereignisse, die als wichtig erschienen, können entfernt werden, da sie heute eher als jugendliche Naivität gewertet werden, während sich Prioritäten, Netzwerke und Identitäten ändern.

Konkurrierende Versionen der Identität

Dieses Ausradieren zieht neue Fragen nach sich. Werden wir in ein paar Jahrzehnten diejenigen, die mit Facebook aufgewachsen sind und sich nun für öffentliche Posten bewerben oder ein höheres Amt anstreben, vielleicht anders bewerten – vor allem bei dem, was wir als professionelle Identität und die Beziehung mit dem jüngeren Ich ansehen? Werden sich zukünftige Premierminister für ein Selfie schämen, das im ersten Monat der ersten Beziehung gemacht wurde? Werden zukünftige Firmenchefs wegen eines respektlosen Posts von vor vielen Jahren als unfähig gelten? Wäre das überhaupt empfehlenswert?

Sportler und Politiker werden wegen Sachen, die sie auf sozialen Medien von sich geben, oft bloßgestellt oder sogar ruiniert. Der Athlet Louis Smith und der Fußballer Joey Barton waren nach fragwürdigen Posts in der Bredouille. Cheerleader Caitlin Davies‘ Karriere war ruiniert, nachdem ein Foto von ihr auf Facebook geteilt wurde, auf dem sie beleidigende Graffitisprüche auf einen bewusstlosen Mann gemalt hatte.

Das Problem ist, dass diese Posts, von denen es tausende gibt, und die das soziale Profil eines Zwanzigjährigen ausmachen, Mitteilungen sind, die in der Vergangenheit geschrieben, geteilt und oft vergessen werden – bis sie jemand wieder ausgräbt, der durch diese Profile scrollt. In einem anderen Fall trat Paris Brown, der erste Kommissar für Jugendkriminalität in Großbritannien, ab, nachdem rassistische und homophobe Kommentare auf Twitter entdeckt wurden, die er als Teenager gepostet hatte.

Könnte es sein, dass diese Art von Kontrolle zunimmt, wenn komplette Lebensläufe in sozialen Medien dokumentiert und dann ausgegraben und genauer betrachtet werden? Oder wird sich vielleicht unsere Einstellung dazu ändern und werden diese Posts als das gesehen werden, was sie sind – Augenblicke aus der Vergangenheit?

Es wird definitiv interessant, zuzusehen, wie sich diese Sachen auf neue Generationen auswirken wird – ob es nun das sorgfältige Bearbeiten von Facebook ist, oder die vergessenen Beiträge, die wieder aufpoppen und ihre Autoren verfolgen. Was zum Beispiel würde ein Kind denken, das durch die Timeline seiner Eltern scrollt, die mit sozialen Medien groß geworden sind? Könnten sich die bearbeiteten, aufpolierten Lebensversionen vor die eigentlichen Erinnerungen stellen und dadurch zu erlebter Geschichte werden, egal, wie sorgfältig sie betreut und geformt wurden?

Dieser Artikel erschien zuerst auf „The Conversation“ unter CC BY-ND 4.0. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image „Teen girl texting“ by Summer Skyes 11 (CC BY 2.0)


The Conversation

ist Dozent für Soziologie an der Universität von Tasmanien. Seine Forschungen befassen sich damit, wie junge Leute mit dem Internet aufwachsen. Außerdem ist er ein Mitglied der australischen Gesellschaft für Soziologie.


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2 comments

  1. Die große Enttäuschung wartet auf die jungen Menschen, sobald sie verstehen, dass ihre Facebook-Profile gegen sie benutzt werden können. Die Geschichte mit dem Profil-Check von Bewerbern für eine Arbeitsstelle ist schon lange bekannt. Wie es hier berichtet wird (http://blog.betriebsrat.de/gesundheitsschutz/kontrolle-von-kranken-mitarbeitern-das-sind-die-methoden/ ), breitet sich eine neue Tendenz aus: wenn ein Mitarbeiter unter dem Verdacht von Blaumacherei steht, greifen die Arbeitgeber zu seinem Facebook-Profil. So wurden es bereits viele unzuverlässige Arbeitnehmer erwischt und gefeuert.

  2. Genau darum dreht es sich schon länger in unserer „brave new“ Arbeitswelt. Um die Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle getrimmt auf social and political correctness via social media.
    Aber heißt das in der Tat, daß sich die teils selbsternannten, teils vom HR-Business beauftragten Blockwarte alles erlauben dürfen? Misstrauische Bespitzelungen plattformenübergreifend mit inbegriffen?
    Und heißt das andererseits, daß der Verdacht auf Blaumacherei, wie @Herzl erwähnt, den Tatbestand von Blaumacherei erfüllt?
    In meinen Augen verweisen derartige Trends zunächst einmal darauf, daß etwas mit dem Compliance-Management in solchen Unternehmen nicht stimmt und der Haussegen bei miserablem Betriebsklima gewaltig schief hängt.
    Die Fragen, die sich dann als erstes stellen dürften, dürften sich darum ranken: Woher rührt das Mißtrauen? Was wird verschwiegen, unterdrückt und nicht bzw. auf diese Art nur indirekt kommuniziert?
    Worin liegen die Probleme im Hinblick auf stressen and strains? Auf Sachebene z.B. mit Nicht bzw. nur schwer erfüllbare Anforderungen? Auf Personenebene?
    Schwache Vorgesetzte? Schwache Mitarbeiter? Untergründige Feindschaften? Persönliche Prägungen, wie Eifersucht, Neid bis hin zum Hass?

    Und noch @Herzl: Der Praxisschock kommt so oder so. Was sich früher über „Hörensagen“ und Erfahrungen innerhalb des Betriebs verdichtete, kann jetzt über „social media“- Plattformen besser kontrolliert und als argumentative Waffe genutzt werden. Nur ändert das wenig an den eigentlichen Ursachen. (s.o.), denen man durchaus – auch arbeitsrechtlich-nachgehen könnte.

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