Onlinejournalismus – eine Wortklauberei

Der Begriff des Onlinejournalismus bereitet mir seit geraumer Zeit Unbehagen. Es ist ein Terminus, der als Fachbegriff getarnt daher kommt, meist aber mächtig ideologisch aufgeladen wird. David Bauer von der Schweizer Tages-Woche will deshalb gar nicht mehr von Onlinejournalismus sprechen:

“Das vorangestellte «Online» modifiziert das Wort «Journalismus». Die implizite Bedeutung des zusammengesetzten Worts ist demzufolge: Der Journalismus wird modifiziert, wenn er online geht. Darin enthalten ist eine Wertung: «Onlinejournalismus» ist mehrheitlich negativ konnotiert und wird nicht selten dazu verwendet, um eine Abgrenzung zu einem Idealbild von Journalismus vorzunehmen.”

In der Tat sind es nach wie vor nicht wenige in der deutschsprachigen Journalistenzunft, die auch im Jahr 2012 unter Onlinejournalismus das Einstellen von Texten und Bildern in ein CMS verstehen. Und man kann ihnen dieses Verständnis auch nicht wirklich Übel nehmen, denn in vielen Medienhäusern ist diese Art von “Onlinejournalismus” ja nach wie vor gelebte Realität (Deshalb verwundert es nicht, dass die Jury des CNN-Awards für junge Journalisten in diesem Jahr auf eine Nominierung in der Kategorie Online verzichtet, da schlicht zu wenige preiswürdige Beiträge eingereicht wurden.)

Onlinejournalismus versus Journalismus?

So verstanden bringt uns der Begriff aber nicht weiter, denn er macht die Debatte um die Zukunft des Journalismus zur Glaubensfrage, die leider nur selten ohne gegenseitige persönliche Angriffe der Diskutanten auskommt, sachliche Argumente treten in den Hintergrund. Wer möchte, kann sich in diesem Zusammenhang ja noch mal die Debatte um das “neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus” der “Grandseigneurs der Journalistenausbildung” (Meedia) Wolf Schneider und Paul Josef Raue zu Gemüte führen.

Ich will hier nicht noch eine Besprechung des Buches absondern. Ich bin schon vor einigen Wochen zufällig am Zeitungskiosk am Flughafen über dieses aktualisierte “Standard-Werk” gestolpert. Was mir ins Auge stach, war der Titel. Auf dem Buchdeckel prangt in großen Lettern das Wort “Journalismus”, klein gedruckt folgt “und des Onlinejournalismus”.

Wahrscheinlich wollten die Autoren/der Verlag aus marketingtechnischen Gründen einfach daraufhin weisen, dass das “Standard-Werk” jetzt aktualisiert daherkommt. Dennoch finde ich diesen Buchtitel unglücklich gewählt. Auch wenn es nicht gewollt ist, suggeriert der Titel, es gebe einen Unterschied zwischen Journalismus und Onlinejournalismus. Das wird dem Mythos gerecht, der in viele Journalistenhirne einbetoniert zu sein scheint. Nämlich: Onlinejournalismus ist ein Anhängsel des echten, wahren Journalismus der Edelfedern und Grandseigneurs. Viele verstehen Onlinejournalismus als den Wurmfortsatz des Journalismus. Und der ist klein, unwichtig und meistens entzündet.

Ganzheitliches Verständnis von Journalismus

Immerhin: Dass sich etwas – und zwar strukturell – verändern muss, ist inzwischen Konsens in der Medienbranche. Problematisch finde ich jedoch, wenn wir weiterhin einer Denke verhaftet sind, die wie eh und je zwischen den Kategorien Print, TV, Radio und eben Online unterscheiden.

Solch ein Verständnis hat schwerwiegende Folgen auf strategische Entscheidungen. Es beeinflusst die Gestaltung von Ausbildungsplänen, es bestimmt Workflows in Redaktionen. Ich gehe sogar soweit, zu behaupten, dass es Innovation verhindert, überkommene Strukturen verfestigt und die kommende Journalistengeneration frustriert.

Online als frei stehende Extrakategorie zu Print, TV und Radio zu definieren macht nicht mehr viel Sinn. Die junge Generation macht keinen Unterschied mehr zwischen Online und Offline, denn sie ist immer online. Online- und Offline-Welt verschmelzen, das Internet beeinflusst heute nahezu jeden Aspekt unseres Lebens.

One Brand, All Media

Was muss man daraus für den Journalismus folgern? Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz: Onlinejournalismus ist also kein Anhängsel und keine Extrakategorie mehr, sondern ein natürlicher, integraler Teil von Journalismus. Er ist damit auch nicht ein Journalismus, der neben Radio, TV und Printjournalismus steht, sondern jeder Radio-, TV und Printjournalismus ist auch Onlinejournalismus.

Dass sich das ZDF auf Twitter jetzt @zdf nennt und nicht mehr @zdfonline ist nur folgerichtig. Auch die Süddeutsche Zeitung will nicht mehr unterscheiden zwischen Süddeutsche Zeitung und sueddeutsche.de (Ich frage mich, wie lange der Spiegel im Netz immer noch Spiegel Online sein will und nicht einfach Der Spiegel. Dass diese Unterscheidung nicht mehr viel Sinn macht, merkt man an der iPad-App, wo die Kompetenzen der Printredaktion und der Onlineredaktion immer mehr verschmelzen). Es waren eigentlich selten die Nutzer, sondern vielmehr wir Journalisten selber, die so eine gekünstelte Trennlinie zwischen der traditionellen Marke und der ausgelagerten Online-Version gemacht haben. So als ob wir uns vorauseilend entschuldigen müssten für die schlechtere Qualität des im Netz angebotenen Inhaltes.

“One brand, all media”, heißt auch für die Deutsche Welle die Devise, die sich vor ein paar Tagen von einer verwirrenden Anzahl von Absendern (DW-TV, DW-RADIO, DW-WORLD) verabschiedet hat. Es gibt nun nur noch eine DW, eine Marke für alle Medienangebote.

Alte und neue Logik

Hier geht es um mehr als um Marketing und semantische Kosmetik. Jeder Journalist – egal ob er vorrangig für eine TV-Sendung, ein Radioprogramm oder eine Tageszeitung arbeitet – muss heute die digitalen Verbreitungskanäle berücksichtigen. Dass diese eigentlich simple Erkenntnis noch nicht in allen Journalistenköpfen angekommen ist, habe ich kürzlich bei einem Seminar erlebt, das ich für Printjournalisten abhielt.

Über zwei Stunden machten wir ein Brainstorming zu neuen Formaten für die Website. Es ging darum, wie man mehr Interaktivität mit den Lesern hinbekommen könnte. Am Ende war eine große Tafel vollgeschrieben mit tollen Ideen. Dann kommentierte ein Redakteur: “Das ist natürlich ein bisschen viel für unseren Onliner.” Er kam offensichtlich gar nicht auf die Idee, dass auch er, der Zeitungsjournalist, mal etwas für die “digitale Welt” produzieren könnte. In seiner Denke muss alles, was mit dem Internet zu tun hat, irgendwie von der Onlineredaktion erledigt werden.

Zu diesem Schluss kommt man zwangsläufig, wenn man der alten Logik der Kategorisierung in Print,TV, Radio und Online folgt. An diesem Beispiel sieht man m.E. sehr gut, wie so auch viel Innovation ausgebremst wird. Denn an Ideen mangelt es nirgends. Nur wenn es an die Umsetzung geht, stößt man oft an die Kapazitätsfrage: “Wir können doch jetzt nicht die Onlineredaktion verdoppeln”, heißt es dann immer wieder. Nein, muss man ja auch nicht. Es würde genügen, wenn die Print-, TV- und Radio-Journalisten begreifen, dass sie selbst mit Hand anlegen müssen. Onlinejournalismus ist heute – wenn wir bei den Kategorien bleiben wollen – eine Überkategorie. Für jedes Print, TV oder Radioprodukt muss die Umsetzung im Netz von vorneherein mitgedacht werden, nicht erst, wenn alles schon produziert ist.

“Everything old is new again”

Journalismus im Netz beschränkt sich eben nicht auf das Umarbeiten von für die klassischen Vertriebskanäle produzierten Inhalten. Wenn wir Journalisten allesamt mal anfangen würden, Onlinejournalismus nicht nur mit der Eingabe von Content in ein CMS gleichzusetzen, sähen viele das Internet nicht mehr als bedrohliche Ödnis , sondern als das, was es ist: eine Erweiterung des kreativen Gestaltungsraums von Journalisten.

Es geht darum, Journalismus weiterzumachen wie bisher, nur ohne Scheuklappen. “Everything old is new again”, heißt es in der digitalen Strategie des Economist, der von vielen – zu Recht – als leuchtendes Beispiel im Medienwandel gesehen wird. Und weiter: “It is actually a tsunami that demands urgent re-examination of everything that constitutes a media business.”

Das Denken bestimmt unser Handeln. Der digitale Wandel wäre wesentlich einfacher zu gestalten, wenn wir endlich die absurde Unterscheidung zwischen Journalismus und Onlinejournalismus ad acta legten. Immerhin: Wolf Schneider hat das offenbar schon getan. Als er im Interview mit meedia gefragt wird, ob der Print- dem Onlinejournalismus überlegen sei, antwortete er: „(..) tendenziell lässt sich der Online-Journalismus nicht vom Print-Journalismus unterscheiden. Mathias Müller von Blumencron mit seinem Spiegel Online, das ich regelmäßig lese, ein Schüler von mir, hat ihn unter anderem auf eine Höhe gehoben, mit der man durchaus leben kann.“

 

Autor: Steffen Leidel ist DW-World.de-Experte für Bolivien, Kolumbien, Venezuela und Peru mit den Schwerpunktthemen Entwicklungspolitik, Armutsbekämpfung, Drogenpolitik sowie Erdölwirtschaft und Energiepolitik. Außerdem ist er Experte für Europa in Sachen Migration (speziell Spanien).

Er betreibt zusammen mit Marcus Bösch den Gemeinschaftsblog „lab“ von wo aus wir diesen Crosspost mit freundlicher Genehmigung Steffen Leidels veröffentlichen durften.

Die Netzpiloten nehmen immer mal wieder Gastpiloten mit an Bord, die über ihre Spezialthemen schreiben. Das kann dann ein Essay sein, ein Kommentar oder eine kleine Artikelserie.


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