Der 13. November. Er erscheint auf der Anzeige der Bahn, die ich an dem Tag nehme und ich bekomme Gänsehaut – ganz ähnlich, wie es mir jahrelang mit dem 11. September ging, nur dass die Erinnerungen aus dem persönlichen Erleben und nicht aus Fernsehberichten belebt werden.
Diese schreckliche, kalte Nacht, in der so viele Unschuldige ihr Leben lassen mussten. Paris war in der Schockstarre und ich war mittendrin.
Was hat sich seitdem getan? Die Pariser Terrassen sind wieder voller Leben. Wer sich unweit der Tatorte auf einen Kaffee trifft, spürt nichts mehr von dem Grauen. Den Hashtag #jesuisenterrasse (zu deutsch: „Ich bin auf der Terrasse“), der nach den Attentaten kursierte, haben sich die Pariser zu Herzen genommen. Ihnen kann kein Terror die Lebensfreude nehmen.
Und auch das Bataclan hat, frisch renoviert, wieder seine Pforten geöffnet.
Doch die Touristenmassen bleiben aus. Vereinzelt sieht man sie in den Gemäuern des Louvres die Mona Lisa fotografieren oder in den endlosen Schlangen des Eiffelturms, in dem der Sicherheitscheck mehr als Ernst genommen wird. Seiteneingänge von öffentlichen Gebäuden werden wegen „Alerte Attentat“ (Alarm Attentat) weiterhin gesperrt und Haupteingänge sind nur mit Taschenkontrolle zugänglich.
Ähnlich war es bei der EM 2016, die erst freudig und dann ängstlich in Frankreich erwartet wurde. Ich arbeitete in einem deutschen Radio-Team, das teilweise schon für das Deutschlandspiel am 13. November 2015 in Paris war. Schon in der Teambegrüßung stand das Thema Sicherheit selbstverständlich ganz oben auf der Agenda. Wie verhalte ich mich in einer Notsituation? Wenn ein Kollege verletzt oder bedroht wird? Ich machte Straßenumfragen und oft kam das Gespräch – gewollt oder ungewollt – auf die Attentate. Die Ansichten waren unterschiedlich, das Thema aber durchweg omnipräsent und passte so gar nicht zu einem französischen Sommermärchen. Es musste noch nicht mal die Fussball-Elite nach Frankreich kommen, um zu zeigen, wie sehr die Attentate die Stadt auf merkwürdige Weise lähmten.
An einem Abend saßen wir ruhig draußen auf der Terrasse. Immer noch mit einem mulmigen Gefühl, denn genau in so einer Situation wurden Menschen aus dem Leben gerissen. Plötzlich platze eine Glühbirne mit einem lauten Knall. Wäre das vor ein paar Wochen passiert, hätten die Menschen sich umgedreht und gewundert, woher das Geräusch kam. Dieses Mal sprangen allen wie paralysiert auf, einige schrien sogar und rannten ins Innere des engen Cafés. Kein Gewehrschuss- nur eine Glühbirne. In solchen Situationen weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll und mir wurde bewusst, dass wir (Wahl-) Pariser lange brauchen würden, bis diese Wunden verheilt sind.
Betroffenes Schweigen, wenn ich von meiner Paris-Zeit erzähle, das mir immer den Impuls gibt, meine zweite Heimat in den Schutz zu nehmen. Denn so grausam das Erlebte war, so berührend war das gemeinsame Trauern, Aufmuntern und Unterstützen in den Tagen danach.
Ich war eine von Vielen, die zum Place de la Republique pilgerte. Dem Platz, an dem schon nach Charlie Hebdo für die journalistische Freiheit demonstriert wurde. Blumen- und Kerzenmeere zwischen weinenden Menschen, die sich gegenseitig stützten. Noch nie fühlte sich Paris so vereint an – #NousSommesUnis (#Wirsindvereint).
Das, was laut in den Medien verbreitet wurde, war jedoch nichts gegen die leise Anteilnahme vor Ort. Die riesige Schlange vor den Krankenhäusern der Freiwilligen, die Blut spendeten. Mein Bäcker, der mir am Morgen danach sagte, dass er glücklich sei, mich lebend anzutreffen. Meine Freundin, die trotz eines schweren Verlustes nicht aufgegeben hat und am Leben festhält. Meine Professoren, die verstanden, dass der Journalismus-Master gerade pausieren musste – keiner von uns Studenten war in der Lage, sachlich über Aktualität zu diskutieren. Sie setzten sich stattdessen mit uns hin und analysierten die Rolle der Journalisten und Medien. Eine großartige Transferleistung, haderten wir alle doch mit dem angestrebten Berufsbild, das durch den Sensationsjournalismus dieser Tage ins Wanken geriet.
Das, was mich meine Zeit in Paris gelehrt hat, war dieser bewundernswerte Stolz und das Durchhaltevermögen der Franzosen, die diese Stadt wieder zum Leben erweckt haben. So konnte man schon kurz nach den Attentaten lesen:
Wenn einen Trinken gehen, ein Konzert- oder Fussballspielbesuch zum Kampf wird, dann zittert, Terroristen! Denn darin sind wir gut trainiert!!
Wir geben nicht auf und wir sind stärker als das, was uns für ein paar Momente den Atem nahm. Deswegen prägen meine Erinnerungen trotz der grausamen Taten auch intensive Begegnungen, viel Menschlichkeit und bewundernswerte Stärke Einzelner.
Das macht die Stadt so langsam wieder zu dem, was sie ist: Ein riesiges Labyrinth aus Kulturstätten, wunderschönen Häusern im Haussmann-Stil, vollen Metros mit ihren modebewussten Mitfahrern und teuren, aber außerordentlich leckeren französischen Restaurants, in denen es sich wunderbar zu Kerzenschein Rotwein trinken lässt. Buchen Sie ihr nächstes Ticket in die Metropole! Es lohnt sich!
Image Solidarity with the victims of the Paris Attacks in November 2015 by Christian Michelides (CC BY SA 4.0)
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Schlagwörter: Angst, Anschlag, cafe, Charlie Hebdo, journalismus, paris, Teresse, Terror, Terrorist