Seit ein paar Monaten schon rollt die mediale Werbewelle zur US-Präsidentschaftswahl 2016. Anfang November 2016 ist es endlich soweit: Die USA könnte mit Hillary Clinton ihre zweite weibliche Präsidentin bekommen. Moment mal, wie war das gleich? Ja, richtig gelesen. Die Vereinigten Staaten hatten bereits eine Präsidentin. Ihr Name: Edith Bolling Galt Wilson. Nun gut, die Spitzfindigeren unter den Lesern werden jetzt wahrscheinlich die Brauen hochziehen und mit missbilligender Miene verkünden: “[Name der Suchmaschine eurer Wahl] sagt aber, das war nur die Ehefrau von Woodrow Wilson!” So weit, so gut. Aber was heißt hier “nur”?
Präsident Woodrow Wilson, seit 1913 im Amt, war seit Längerem schon durch Stress und diverse Krankheiten geschwächt, hinzu kam ein Infarkt im Jahr 1919, der ihn ans Bett fesselte. Damals war er gerade dabei, die Grundsätze für den Völkerbund, den ‘League of Nations’, nach dem ersten Weltkrieg festzulegen, der für eine internationale Abrüstung und Zusammenarbeit sorgen sollte.
Monatelang befand sich das Ehepaar Wilson auf einer Reise durch die US-Bundesstaaten, um die Bevölkerung dazu zu bringen, den entsprechenden Senator zu wählen, der sich für den Vertrag einsetzte. Doch dann kam der Schlaganfall und Wilson war weitestgehend manövrierunfähig. Die Bevölkerung sollte davon möglichst nichts erfahren, denn einen schwachen Präsidenten konnte und wollte man sich in diesen unruhigen Zeiten nicht leisten.
Was macht man mit einem kranken Präsidenten?
Bisher hatte man es augenscheinlich versäumt, eindeutige Festlegungen zu formulieren, wie man vorgehen konnte, wenn der Präsident zwar am Leben war, seinen Aufgaben aber dennoch nicht nachgehen konnte. Natürlich gab es auch zu Wilsons Zeiten einen Vizepräsidenten, einen Mann namens Thomas R. Marshall. Als es ernst wurde und seine Dienste in Anspruch genommen werden mussten, lehnte dieser die ihm angetragene Vertreterrolle allerdings rundweg ab.
Manche Quellen vermuten, er schreckte vor der plötzlichen Verantwortung zurück, mit der er so nie gerechnet hatte. Andere besagen, er fürchtete sich vor dem Ruf, Wilson aus eigener Kraft von seiner Machtposition vertrieben haben zu können. Wieder andere, vermutlich auch er selbst, hielten ihn schlichtweg intellektuell für nicht sonderlich geeignet. Dies war der Moment, als Wilsons Frau auf den Plan trat.
Edith war mit Anfang Vierzig noch recht jung, für beide war es die zweite Ehe. Sie hatten sich erst wenige Monate vorher Hals über Kopf ineinander verliebt, so dass sie ihrem Mann eher aus Leidenschaft und Hilfsbereitschaft denn aus eigenem politischen Interesse zur Seite stand. Sie übernahm sämtliche Korrespondenz für ihn, unterschrieb offizielle Papiere, setzte Briefe auf – alle täglichen Aufgaben wurden von nun an von ihr erledigt.
Zwar wurde sie weder für ihre Arbeit bezahlt, noch war sie offiziell als Verantwortliche eingetragen, aber sie führte ihre Aufgaben gewissenhaft aus. Bei den Kongressmitgliedern blieb der Einfluss Ediths natürlich nicht unbekannt. Vielmehr rief er lautstarken, wenn auch inoffiziellen Protest hervor, man sprach sogar von einer “Petticoat-Präsidentschaft”, als Wilson seine zweite Amtszeit antrat.
Noch gab es kein aktives Wahlrecht
Man darf hierbei nicht vergessen: All dies geschah noch vor der Einführung des aktiven Wahlrechts für Frauen in den USA. Dieses trat erst im Folgejahr 1920 in Kraft. Es ist anzunehmen, dass es einen enormen Aufruhr unter den Konservativen und auch unter den Frauenrechtlerinnen gegeben hätte, wäre Edith Wilsons inoffizielle ‘Regierungsübernahme’ in der Öffentlichkeit weithin bekannt geworden.
Eventuell hätte dies auch zum Sturz Woodrow Wilsons selbst geführt. Stattdessen führte seine Frau nun also eine Art Schattenpräsidentschaft. Hier war sie an den Verhandlungen des Versailler Vertrages beteiligt, sie managte sogar den Streik der Stahlarbeiter, der die USA kurzzeitig lahmzulegen drohte.
Einige Zeitungen rochen den Braten, und viele berichteten sogar recht positiv über sie und ihre politischen Ambitionen. Die Gerüchte, denn nach ihnen klang die Nachricht in den Ohren der Öffentlichkeit, wurden jedoch nie offiziell gegenüber den Medien bestätigt. Dennoch vermerkte Andrew Phillips, Kurator der Woodrow Wilson Presidential Library, an, dass sich die Dinge auch in eine völlig andere Richtung hätten entwickeln können. “Edith vermittelte uns Sicherheit und stärkte uns in einer besonders schwierigen Zeit.” Bereits im Jahr 1921 schied Wilson aus dem Amt, und mit ihm seine Frau.
Die Zeiten haben sich mittlerweile deutlich gewandelt, und eine weibliche Präsidentschaft ist weder undenkbar noch unwahrscheinlich. Vielleicht hat sich auch Hillary Clinton etwas von Edith Wilsons Regierungsstil abgeschaut? Auch Clinton genießt die Unterstützung des regierenden Präsidenten, und auch die Presse ist sich mehrheitlich einig, dass sie eine geeignete Kandidatin für diesen Posten sei. Nicht heute oder im Jahr 2016 ist die Zeit reif für eine weibliche Präsidentin, sie war es schon vor fast hundert Jahren.
Image (adapted) “altered Edith Wilson portrait – Woodrow Wilson House – Washington DC – 2013-09-15” by Tim Evanson (CC BY-SA 2.0)
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Schlagwörter: Edith Wilson, frauen, Hillary Clinton, Medien, politik, US Wahlen 2016, USA, wahlen, Wahlrecht