Eine Betrachtung der aktuellen Ereignisse rund um die Readers Edition, von Wilhelm Ruprecht Frieling
Wie installiert ein frisch gebackener Unternehmer ein neues Projekt im Web? Die »Underpants Gnomes« in der satirischen US-Comedy-Serie »South Park« zeigen es in Folge 217 mit ihrem dreistufigen Business-Plan:
- Sammel Content
- ???
- Mache Profit!
Keiner der Wichtel, und das ist der Gag, weiß allerdings, worin die entscheidende zweite Stufe des Geschäftsplans besteht. Jeder geht davon aus, der andere werde es wohl wissen, bis die Blase schließlich platzt. Der »dreistufige Geschäftsplan« gilt seitdem als Parodie auf Web-Unternehmer, die planlos umher irren und wichtig tönen.
In Berlin führen die Unterhosenwichtel derzeit die »Readers Edition« in die berüchtigte »Phase zwei«. »20 Millionen Mitarbeiter« wollte die Netzeitung als Betreiberin des Online-Portals gewinnen, als sie im Juli 2006 startete. Nach einem halben Jahr hatten kaum 150 Autoren mehr als jeweils vier Artikel veröffentlicht, der Rest kam von Leserbriefschreibern. Qualitätsniveau und Zugriffszahlen sanken kontinuierlich. Das Projekt erlebte seine erste heftige Krise.
Die norwegische Betreiberin Orkla Media wollte daraufhin das konzeptionslose Projekt loswerden. Sie koppelte die Readers Edition ab, übertrug zum 1. Januar 2007 ihrem bisherigen Netzeitung-Chefredakteur Michael Maier die Titelrechte, und schlug damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Maier hatte übrigens vor seinem Wirken bei der Netzeitung die Auflage des »stern« in den Keller gefahren und war daraufhin von Gruner+Jahr–Chef Gerd Schulte-Hillen fristlos gekündigt worden. Ein außergerichtlicher Vergleich kostete den Hamburger Verlag nach Archivunterlagen der »Zeit« mehr als 1,25 Millionen Mark.
In einem Kommentar zur Übernahme der Readers Edition erklärte der nunmehr selbständige Unternehmer Michael Maier als Geschäftsführer einer neu gegründeten Briefkastenfirma namens »Blog Form GmbH« den verwunderten Lesern und Mitarbeitern Anfang Januar: »Wir werden uns der Readers Edition jetzt sehr intensiv widmen und wollen sie ausbauen. Als Portal für Bürgerjournalismus, aber auch als ein publizistisches Unterfangen, in dem Stimmen zu Wort kommen können, die etwas zu sagen haben.« Inzwischen wird erkennbar, wie dies funktionieren soll.
Maier, der sich derzeit für einige Monate in die USA zurückgezogen hat, ließ jetzt ohne Vorankündigung alle alt gedienten Moderatoren, das sind die ehrenamtlichen Gründer und Mitarbeiter des Projekts, fristlos feuern. Er hielt es weder für nötig, dies selbst zu tun, noch dankte er den bisherigen Gratissklaven oder bot auch nur ein versöhnliches Wort an. Die Kündigung erfolgte durch freie Mitarbeiter und wurde damit begründet, die bisherigen Wasserträger seien »nur mäßig hilfreich« gewesen.
Die rüde Vorgehensweise des neuen Gutsbesitzers in seinem angeblich basisdemokratisch orientierten Portal führte zu tumultartiger Empörung in der Blogosphäre, auf deren Aktivisten das Readers Edition-Projekt bisher fußte. Die Ex-Moderatoren begannen, ihre Erfahrungen offen zu legen und das System, das »wie ein maligner Tumor die Idee des Citizen Journalism befiel« (Moderator Florian Siebeck) zu kritisieren. Dazu zählt auch der inzwischen für Die Welt tätige Projektgründer Peter Schink, den Maier wohl aufgrund seiner Bekanntheit nicht öffentlich »absägen« wollte. Der Gründungsvater erklärte seine Tätigkeit für die RE mit sofortiger Wirkung für beendet.
Die über Nacht gebildete neue Mannschaft aus zwei »Chef-Moderatoren« und einem neuen Helfer bemüht sich nun, möglichst viele Beiträge einzustellen, um den Eindruck von Aktivität zu erwecken. Dazu zählen Original-Pressemeldungen, die unter dem Namen der Chefmoderatorin veröffentlicht werden ebenso wie dilettantische Aufsätze, die jeder Schülerzeitungsredakteur ablehnen würde. Der Trend ist klar: Es geht darum, die »Readers Edition« für Werbepartner zu öffnen, die bereit sind, viel Geld auszugeben, um ihre Botschaften in die Welt des Web 2.0 zu sülzen. Im Ergebnis entsteht voraussichtlich eine Sammlung mit PR-Inhalten, die durch redaktionelle, leicht unterhaltende Beiträge aufgelockert wird. Das wiederum liegt im Trend, denn die Industrie erkennt durchaus, wie schnell die Blog-Szene wächst. So scheint klar, wohin sich die einst als Nachrichtenportal gegründete Readers Edition bewegt: In eine PR-Schleuder. Die Unterhosenwichtel wissen halt, wie es gemacht wird.
Wilhelm Ruprecht Frieling ist als Autor, Blogger und Verleger tätig.
Er schreibt Reportagen und Geschichten für deutsche und amerikanische Magazine und ist u.a. Autor des „Wörterbuch der Verlagssprache“.
Frieling unterstützte als Autor von Beginn an die »Readers Edition« der Netzeitung und bekleidete dort lang die Position als von den Lesern gewählter „Bester Autor“
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4 comments
Paradoxerweise kann aber eben der massive Protest in der Blogosphäre zu einem Erfolg für die „Rest Edition“ werden.
Die Zugriffszahlen nach Alexa schießen gerade durch die Decke, was von M&M dann bei potenziellen Geldgebern als Erfolg ihrer neuen Strategie ausgegeben werden kann.
Auch der Technorati Rank steigt kontinuierlich, da immer mehr Blogs auf die Resterampe verweisen und dies dann auch in den Blogcharts wenigstens für ein halbes Jahr seinen Niederschlag findet.
Totschweigen ist sicherlich nicht angesagt – aber keine Verlinkungen mehr auf RE Seiten.
moin, noch gehöre ich zu den re-autoren. doch mich erreichen immer mehr negative meldungen. nebenbei arbeite ich an einer idee. in einem blog spannende blogs vorstellen, damit nicht alle nebeneinander herschreiben. schönen tag noch heinz-peter tjaden