Die beiden Autoren Ossi Urchs und Tim Cole schreiben in ihrem Buch „Digitale Aufklärung“ über die grenzenlosen Möglichkeiten des Internets für die Gesellschaft // von Julia Solinski
Die Autoren Ossi Urchs und Tim Cole, laut Informationen des Verlags ihres Zeichens „Internet-Guru“ und „Internet-Experte“, haben sich zusammengetan, um die Fraktion der Optimisten zu unterstützen. Ihr Buch berührt die wichtigsten Brennpunkte in den aktuellen Netzdebatten: Was wird aus dem Urheberrecht und der Privatsphäre? Wie verändert die ständige Erreichbarkeit unsere Arbeitswelt? Welche Bedeutung haben Datenschutz und Anonymität noch? Oder: Führt die ständige Verfügbarkeit von Informationen zu Verdummung und Kulturverfall? Lässt die Echtzeit-Kommunikation unsere Bereitschaft für langwierige politische Aushandlungsprozesse sinken? Hat der Journalismus angesichts des Ozeans freier Informationen überhaupt noch eine Zukunft?
Macht uns das Internet schlau? Ist es Werkzeug einer stillen Revolution oder Ausgangspunkt einer kognitiven Krise? Die Debatte zwischen Internet-Optimisten und -Pessimisten ist um ein Sachbuch reicher. Das Buch “Digitale Aufklärung – Warum uns das Internet klüger macht” der Netz-Enthusiasten Ossi Urchs und Tim Cole verspricht Antworten auf die brennendsten Fragen. Heraus gekommen ist eine bunte Mischung aus Technikgeschichte und Kulturphilosophie.
Solche Fragen sind Gegenstand eines über Jahre geführten Dialogs zwischen den beiden Autoren, den sie nun in Buchform gegossen haben. Herausgekommen ist eine bunte Mischung aus Technikgeschichte und Kulturphilosophie. Die Autoren warten mit Anekdoten aus der Entstehungszeit des Internets auf und erläutern anschaulich bekannte und weniger bekannte Theorien zur Entwicklung des World Wide Web. So erkläre sich nicht nur der Erfolg sozialer Netzwerke beispielsweise mit der These des amerikanischen Wissenschaftlers Robert Metcalfe von 1980, wonach der Nutzen (und Wert) eines Netzwerkes immer exponentiell zur Anzahl der beteiligten Nutzer steige.
Per Internet zur nächsten Evolutionsstufe
Das Buch bietet viele interessante Theorien und wissenswerte Fakten, jedoch werden sie im Rahmen einer allumfassenden Kulturphilosophie präsentiert. So dient zum Beispiel Metcalfes Gesetz vom exponentiellen Wachstum den Autoren über seinen Erklärungswert hinaus zur Veranschaulichung einer ganz eigenen Art von Philosophie. Mit seinem Netzwerk-Charakter gleiche das Internet den natürlich gewachsenen Organismen, entspräche also der Struktur des menschlichen Gehirns und sei daher benutzerfreundlicher, als es jede frühere Kulturtechnik jemals war. “Der Erfolg und die dynamische Entwicklung des Internets sind nicht zuletzt dadurch begründet, dass wir nun endlich dort draußen das, was wir eigentlich im Innersten schon immer waren, […] in der Welt wiederfinden”, so die Autoren auf Seite 56. Gemäß dieser Argumentation stellt das Internet nicht nur ein nützliches Werkzeug, sondern gleich die nächste Stufe der Evolution dar. Als Belege werden die indischen Upanischaden ebenso herangezogen wie die antike Philosophie des Pythagoras (S. 54).
Radikaler Technikoptimismus…
Vor dem Hintergrund eines solchen, allumfassenden Verständnisses des Digitalen verwundert es nicht, dass die Autoren auf alle Fragen zum Internet eine Position beziehen, die als radikal optimistisch bezeichnet werden kann. Das Urheberrecht? Ein längst veraltetes “Verlegerrecht”, also weg damit, und Patente am besten gleich mit (S. 187). Entgrenzung der Arbeitswelt? Freizeit ist doch ein überschätztes Konzept, genauso wie die Festanstellung (S. 139). Anonymität und Datenschutz? Die Autoren resümieren, dass “Geheimhaltung […] in einer Welt, die immer mehr von der Transparenz des Internets beherrscht wird, im Grunde nicht mehr möglich” sei (S. 210).
Während die radikale Positionierung der Autoren einerseits als Instrument der Polarisierung ihre Berechtigung hat, verwundert andererseits in einigen Passagen der Mangel an Reflexion. So kritisieren die Autoren die Entscheidung eines französischen Gerichts, die Internetseite copwatch.de zu verbieten, auf der Name, Anschrift und Fotos von Polizisten angegeben waren, die rassistischer Übergriffe beschuldigt wurden. Die Aufgabe des Staates, nicht nur Opfer, sondern auch Angeklagte zu schützen, wird von den Autoren völlig ignoriert, wenn sie ihrer Kritik mit den Worten Ausdruck verleihen, dass man sich in Paris offenbar am Vorbild Chinas orientiere (S. 215).
… und politische Allgemeinplätze
Der unglückliche Vergleich Frankreichs mit China ist nicht die einzige Passage, bei der sich die Leserin mehr Differenzierung gewünscht hätte. Auch auf die spannende Frage nach der Bedeutung des Internets für die Thematik der Politik- bzw. Politikerverdrossenheit hat das Buch mit dem Verweis auf direktdemokratische Instrumente nur Allgemeinplätze zu bieten. Wenn im Bezug auf “die Art und Weise, wie in Zukunft immer häufiger politische Meinungsbildung über digitale Medien geformt und beeinflusst werden” könnte (S. 225) ausgerechnet auf die geheim operierende Gruppe Anonymous verwiesen oder Facebook zur Agora des digitalen Zeitalters ausgerufen wird, offenbaren die Autoren ein eher exotisches Demokratieverständnis.
Trotz vieler lesenswerter Passagen und Hinweise (beispielsweise auf den Überholungsbedarf der aktuellen EU-Richtlinie zum Datenschutz) gelangen die Autoren argumentativ nicht über den Punkt bloßer Behauptungen hinaus. Zudem kann man sich bei der Lektüre nicht des Eindrucks einer gewissen Strukturlosigkeit erwehren, obwohl das erste Kapitel, in dem zehn Thesen präsentiert werden, Gegenteiliges verspricht. Manche Argumente zu einzelnen Themen sind weit über das Buch verstreut. Positionen anderer Autoren werden teilweise nur dargestellt, ohne dass die Autoren dazu Stellung beziehen. Zudem wiederholen sich einige Inhalte grundlos. Am Ende bleibt von der “Digitalen Aufklärung” nur hängen, dass mit dem Internet alles irgendwie besser werden soll – nur wie, darauf geben die Autoren keine befriedigenden Antworten.
Ossi Urchs, Tim Cole (2013): Digitale Aufklärung – Warum uns das Internet klüger macht. München: Hanser Verlag. [18,90 Euro] – auch als E-Book erhältlich.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Politik-Digital.de und steht unter CC BY-SA 3.0
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