Spätestens seit Bekanntwerden des neuen Startups von Ex-dapd-Chef Cord Dreyer ist das Thema Roboterjournalismus in aller Munde. Die Netzpiloten fragten Saim Alkan: Werden die Programme den Journalismus zerstören oder ihn unterstützen? // von Lars Sobiraj
Anfang April gab die Stuttgarter Agentur Aexea bekannt, dass sie mithilfe ihrer Software „AX“ ein mehrsprachiges Portal für Sportnachrichten aufziehen will. Derzeit laufen Gespräche mit möglichen Partnerunternehmen. Automatisiert sollen Sportnachrichten in bis zu acht Sprachen generiert werden.
Den individuellen Bedürfnissen der Leser werden bei der Masse an Beiträgen kaum Grenzen gesetzt. Weil Roboterjournalismus so gut wie nichts kostet, sind auch Berichte über völlig unbekannte Dorfmannschaften und unzählige Amateursportler vorgesehen. Nach eigenen Angaben könnten mit den bestehenden Servern theoretisch bis zu 3,6 Millionen Texte pro Tag erstellt werden.
Verlage und Online-Portale unter Druck
Egal ob offline oder online, den Verlagen und Portal-Betreibern weht seit einigen Jahren eine steife Brise ins Gesicht. Das Geschäftsmodell Zeitung & Zeitschrift gerät immer mehr unter Druck. Auch mit Online-Werbung Geld zu verdienen, ist heutzutage alles andere als einfach. Aexea-Geschäftsführer Saim Alkan arbeitete bereits zu einer Zeit als Journalist, als die See noch ruhig war. Als „goldene Zeiten“ bezeichnet Alkan die Anfänge des Webs, als 1999 noch ein Euro pro Wort bezahlt wurde. Später kamen diverse Textbroker und Content-Vermittler auf, die die Preise für gute Arbeit zerstört haben. Bei 2,1 Cent pro Wort ist die Tätigkeit eines menschlichen Mitarbeiters so gut wie nichts mehr wert. Schüler, Studenten, Rentner und Hausfrauen bessern sich ihr Einkommen mit Heimarbeit auf. Beim gegenwärtigen Preisniveau sind Auftraggeber nicht bereit, deutlich mehr als 2 Cent pro Wort zu bezahlen. Leben kann man davon allerdings nicht. Geld für die Rente zurücklegen, erst recht nicht. Nicht nur die Gewerkschaften kritisieren das Treiben der Textbroker. Wenn diese die Ausarbeitungen der freiberuflichen Sklaven dann für das Sechsfache und mehr an ihre Auftraggeber verkaufen, bewegt sich die Rendite „in einem kriminellen Rahmen„.
Saim Alkan hat den Wechsel der Branche live und in Farbe miterlebt. Sein Unternehmen hat bis zu 20 Personen beschäftigt, die als Autoren bei diesen Konditionen irgendwann keinen Gewinn mehr generieren konnten. Das Grundproblem sieht er darin, dass viele Geschäftspartner nicht dazu in der Lage seien, zwischen dem eigentlichen Schreiben und dem Verfassen eines Textes zu unterscheiden. „Schreiben kann jeder, der über einen Schulabschluss verfügt. Texten kann man deswegen noch lange nicht„, führt der in Stuttgart tätige Dozent, Buchautor und Herausgeber in unserem Telefoninterview aus. Heutzutage kommt beim Online-Journalismus noch die Suchmaschinenoptimierung dazu. „Es gibt mindestens 8.000 Meinungen, wie der Algorithmus von Google funktioniert.“ Kaum jemand weiß, wie SEO wirklich effektiv angewendet werden kann.
Roboterjournalismus funktioniert nur unter bestimmten Voraussetzungen
Irgendwann als klar war, dass mit handgeschriebenen Texten kein Geld mehr zu verdienen ist, kam der Stuttgarter Geschäftsmann auf die Idee, sich mit dem Thema Roboterjournalismus zu beschäftigen. Die Analyse der Daten, die der Computer in fertige Artikel verwandeln soll, könne aber nicht wie in der Sprachwissenschaft geschehen. Noch sind derartige Programme nicht dazu in der Lage, Sprache in alle Bestandteile zu zerteilen, um den vollständigen Sinn der Sätze zu erfassen und korrekt wieder zu geben. Roboterjournalismus funktioniert bisher nur auf Grundlage von einfachen Datensätzen, die strikt einem vorgegebenen Standard folgen müssen. Die Artikel sehen dann wie folgt aus: Aktie W des Unternehmens X stieg an der Börse Y um Z Prozent an. Spieler A des Fußballvereins B schoss in Minute C ein Tor. Oder: Die Temperatur in der Stadt F stieg auf den Wert G, die Sonnenwahrscheinlichkeit bewegte sich zur Uhrzeit H bei X Prozent. Wie man sieht, werden dabei kleine Informationshäppchen zu simpel gestrickten Sätzen verarbeitet. Viel mehr geht noch nicht.
Dafür ist der Computer aber in der Lage, die Informationen in Rekordzeit zu verarbeiten. 3 Millionen Texte wurden alleine letztes Jahr an die Kunden der aexea GmbH ausgeliefert. Bei dem Stundenlohn kommen menschliche Konkurrenten nicht mehr mit. Deren Aufgabe soll es ja auch nicht sein, die bestehenden Daten in kleinteilige Sätze zu verwandeln. Journalisten haben aufgrund ihrer Erfahrung, ihres Wissens und ihrer Ausbildung vielmehr die Aufgabe, Dinge zu bewerten und Hintergrundberichte zu verfassen. Wenn einem Redakteur die Recherchearbeit abgenommen wird, hätte er wieder mehr Zeit für seine eigentliche Tätigkeit, glaubt Alkan. Roboterjournalismus ist gedacht als Arbeitsentlastung für Redaktionen. Die Tätigkeit der Mitarbeiter soll ergänzt aber nicht von Computern ersetzt werden.
Nur wer innovativ ist, bleibt an der Spitze!
Als sich Springer-Chef Mathias Döpfner in der F.A.Z. an den Google-Vorstand Eric Schmidt wendete, musste Saim Rolf Alkan unvermittelt lachen. Was macht es bitte für einen Sinn öffentlich vor Googles Marktmacht zu warnen, wenn man selbst kaum bis keine Innovationen vorweisen kann? Was hat der Springer-Konzern denn in den letzten Jahren Innovatives getan? Fast scheint es so, als hätten sie lediglich ihren Bild Chefredakteur Kai Diekmann für ein Jahr ins Silicon Valley geschickt, aus dem er offensichtlich wohl erholt mit Dreitagesbart zurückkam. Von Google kann man halten, was man will. Aber an neuen Ideen und dem Mut sie umzusetzen, hat es dort in den letzten Jahren nicht gefehlt.
Der Aexea-Geschäftsführer sieht den Kollegen Computer als Jobenrichment und nicht als Konkurrenten des Menschen an. Washington Post und The Guardian US bekamen ihren Pulitzer Preis für investigativen Journalismus. Sie bekamen ihn, weil sie die Aussagen von Edward Snowden ausführlich überprüft und anschließend unzensiert veröffentlicht haben. Wenn einem der Computer mehr Arbeit abnehmen würde, könnte für die eigentliche Tätigkeit der Redakteure wieder mehr Zeit vorhanden sein. Vielleicht führen Kostenreduzierungen durch Roboterjournalismus auch dazu, dass Redaktionsmitglieder nicht länger wie der verlängerte Arm von PR-Agenturen verheizt werden. Als einen Totengräber sollte man diese neue Form der Texterstellung zumindest nicht ansehen, glaubt Saim Alkan. Auch bleibt abzuwarten, ob durch diese neuartige Software jemals ganze Artikel oder sogar Bücher erstellt werden können. Bleibt zu hoffen, dass die manuelle Tätigkeit eines Menschen nie ersetzt werden kann. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Teaser & Image by Gerd Altmann (CC0 1.0)
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Schlagwörter: Aexea, journalismus, Medienwandel, Roboterjournalismus, Saim Alkan
9 comments
Also die meisten Artikel auf den Newsseiten der großen Plattformen sind doch nur irgendwelche Agenturmeldungen (Die leich umgeschrieben wurden). Das umschreiben von vorgefertigten Agenturmeldungen, das wird in Zukunft auch die künstliche Intelligenz ganz gut hinbekommen.
Was bleibt ist dann vor allem der Lokaljournalismus sowie der Investigative. Im Mittelbau wird die Entwicklung vielen leuten den Arbeitsplatz kosten, denn die Datenabtipper werden dann überflüssig.
Döpfner warnt in der F.A.Z. vor Google. Und kurz darauf sekundiert Siebenhaar im Handelsblatt. Wer ist morgen der nächste in der Eimerkette der Mahn-Roboter?
@Pirat: Bis vor wenigen Jahren waren Agenturmeldungen dröge, staatstragend und unverständlich formuliert (nicht alle, aber die meisten). Erst in den Nullerjahren wurden viele Meldungen verstndlicher. Solange selbt simple Polizeimeldungen mit Sprachschändungen wie „der später Verunfallte befuhr mit seinem Kraftfahrzeug die L 563 zwischen den Gemarkungen“ aufwarten, braucht es noch die Übersetzer im Mittelbau. Leider agieren dort zunehmend Unqualifizierte bzw. Praktikanten. Dann doch lieber Roboter.
»Wenn einem der Computer mehr Arbeit abnehmen würde, könnte für die eigentliche Tätigkeit der Redakteure wieder mehr Zeit vorhanden sein.«
Mit Verlaub, diese Vorstellung ist naiv. Als ob die bloße Existenz einer Technologie an den strukturellen Entwicklungen der letzten Jahre irgendetwas ändern könnte. Das einzige, wofür der Computer sorgen kann: Dass (noch) mehr Raum für weitere Einsparungen vorhanden ist.
Und die Entwicklung sorgt zudem dafür, dass sich der Arbeitsplatz der Redakteure weiter verändern wird. Wenn einem der Computer langweilige Recherchearbeiten bei großen Datenbeständen abnehmen wird, wäre das ja durchaus positiv zu bewerten.