Heute um 10 Uhr ist die re:publica 2011 gestartet mit 270 SprecherInnen in 3 Tagen in 107 Eventslots. Die einzige deutsche Web-Konferenz mit nennenswerter nationaler Relevanz wächst und wächst. Es kann sein, dass sie den Nerv der Zeit trifft. Es kann aber auch sein, dass die Konferenz immer besser und attraktiver wird. Wahrscheinlich ist beides. Seit einiger Zeit ist der Themenschwerpunkt digitaler Aktivismus zentral. Das hat gute Gründe, denn seit in Afrika das Netz wirklich politisch eingesetzt wird, was seit circa 2008 der Fall ist, haben auch wir ehemaligen Trendsetter der digitalen Welt gemerkt, dass da was geht. Ja, was geht denn da?
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Zum einen ist da natürlich die Monitoringfunktion via Web a la ushahidi, die sich letztlich gerade auch in Haiti bewährt hatte. Leider müssen wir feststellen, dass genauso wie beim Tsunami in Südostasien noch mindestens Hunderte Millionen Spendengelder ungenutzt auf den Bankkonten liegen, weil es an der Umsetzung hapert. Es steht zu befürchten, dass Korruption und bürokratische Verschleppung in beiden Fällen den allergrößten Teil der Spendenwilligkeit torpedieren.
Damit sind wir beim zweiten Punkt des digitalen Aktivismus: der Partizipation. Hier gibt es nicht nur mit campact sogar nationale Beispiele der funktionalen Verschränkung von online und offline Aktivitäten. Die Partizipation kann sogar durch das einfach Versenden von Informationen bzw. Links ganze Heerscharen aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus aufrütteln wie es unlängst in Tunesien und Ägypten geschah. Dann aber kam eine neue, alte Funktion dazu:
Das Web als neue Form der Presse. Denn in den diktatorisch geprägten Ländern sind die Massenmedien gleichgeschaltet. Zuverlässige Informationen werden dort als im Netz gesucht. Diese besondere Auffassung der Informationen im Web macht nicht nur den lokalen Regimes Probleme sondern auch den alteingesessenen Medien in den westlichen Ländern zu schaffen. Insofern ist es verständlich, wenn sie nach Subventionen für ihre dahinsiechenden Geschäftsmodelle rufen. Denn sie haben sich an die hohen zweitstelligen Gewinnmargen gewöhnt und bekommen schon Herzattacken, wenn sie sich mit zehn bis zwölf Prozent Margen begnügen müssten.
Insofern ist es nur natürlich, dass auf der re:publica auch Finanzierungsmodelle der Medienproduktion diskutiert werden. Denn manche Journalisten merken, dass sie die Verleger eigentlich gar nicht mehr brauchen. Das sehen die Leser und Zuschauer aktuell nur bedingt so. Aber genau dieser Stelle könnte sich in den nächsten Jahren am meisten ändern, wenn das Web in den Fernseher wandert. Denn dann wird das Volk das riesige Angebot wahrnehmen und die Navigatoren werden die Sieger sein.
Das Volk kann und soll auch am hiesigen politischen Willensprozess teilnehmen. Leider beobachtet es seit einigen Jahren, dass Gesetze von denen verfasst werden, die es begrenzen soll. Das Volk sieht auch, dass gewählte Politiker lächerliche Auffassungen von allgemeiner Willens- und Meinungsbildung haben und daher nur in kleinen Zirkeln Beschlüsse fassen, die nicht selten sogar an Gremien vorbeiführen. Insofern entwickelt sich der westliche Staatsapparat immer mehr in Richtung Herrschaft der Einfluss(Reichen), also eine Plutokratie. Die Politiker kommen zumeist aus der Mittelschicht und wechseln direkt aus ihren Ämtern in die Spitzen von Verbänden oder gar Industrieunternehmen. Es wäre an der Zeit, das Web zu nutzen, um diese prädemokratischen Prozesse zu diskreditieren. Leider haben wir aber die Transparenzdiskussion bekommen. So hüpfen junge Menschen umeinander und ereifern sich um Privatsphäre und Transparenz der Bürger. Die Politiker, die deutlich höher im öffentlichen Interesse (und in dessen Diensten) stehen sind noch immer besser geschützt als jeder facebook-Nutzer. Leider.
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Schlagwörter: 2011, republica, rp11