Endlich Stille! So funktionieren Noise-Cancelling-Kopfhörer

Schon seit einigen Jahren erobern immer mehr sogenannte Noise-Cancelling-Kopfhörer die Verkaufsregale großer Handelsketten. Auch im Netz kommt man bei der Suche nach neuen Kopfhörern nur selten um die auch mit „ANC“ oder „ANR“ betitelten Ohrhörer herum. Dies steht für Active Noise Canceling bzw. Active Noise Reduction. Aber was hat es eigentlich mit dieser Technik auf sich? Ich möchte euch die technische Funktionsweise, Vorteile und Nachteile der Antischall-Technologie aufzeigen.

Noise-Cancelling-Kopfhörer: Gegenschall ist das Geheimnis

Eigentlich ist das Prinzip des Gegenschalls sehr einfach erklärt. Hier kommt eigentlich nur ein wenig Physik zum Einsatz. Ähnlich wie Wasser breitet sich auch der Schall in einer Wellenform aus. Diese sehen wir zwar nicht, erfassen sie aber mit unseren Ohren. In diesem Sinne bringen auch Lautsprecher oder die einzelnen Zündungen eines Autos aber auch unsere Stimmbänder die Luft zum Schwingen. Voila, schon können unsere Ohren diese Signale aufnehmen. Denn dann haben wir eine Schallwelle, die sich aufzeichnen lässt.

Handelt es sich bei der Schallwelle eben nicht um Musik, die du hören möchtest, sondern um Störgeräusche, lassen diese sich durch eine gegenläufige Schallwelle völlig ausschalten. Dafür muss der Ton mit derselben Amplitude und in der gleichen Tonhöhe dupliziert und umgekehrt werden. Der Fachbegriff für diese alternative Tonkurve nennt sich „Destruktive Interferenz“. Das Berechnen dieser Interferenz funktioniert in Computerprogrammen sehr gut, da hier keine Echtzeitberechnung vonnöten ist. Die Funktionsweise schildern die Kollegen von CNet sehr anschaulich im Video (auf Englisch).

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Umsetzung ist technisch schwierig

Theoretisch ist die Erzeugung eines exakten Ebenbilds der originalen Schallwelle sehr einfach. Praktisch kommt es aber zu großen Problemen. Das größte Hindernis ist die Rechenleistung von kleinen Prozessoren: Um den Gegenschall zu produzieren, bleiben dem Kopfhörer nur wenige Millisekunden. Der Schall bewegt sich mit etwa 340 Metern pro Sekunde vorwärts. Das Mikrofon ist aber nur maximal einen Zentimeter – tendenziell eher weniger – von der Membran entfernt, die den entgegenwirkenden Schall produzieren soll. Das heißt: in nur 0.000029 Sekunden muss der Kopfhörer das Signal invertieren und über die Membran abspielen.

Zusätzlich kommt das Anspielverhalten der Mikrofone hinzu: Nur hochwertige Mikros können ein breites Tonspektrum aufnehmen. Hier ist es wichtig, dass das Mikro im kompletten menschlichen Hörbereich anspricht und dabei ein überall möglichst gleich lautes Signal einfängt. Sollte es bei unterschiedlichen Frequenzen unterschiedlich gut anspringen, muss auch das per Software ausgeglichen werden, was auf die Rechenleistung und die Verzögerung geht.

Ein weiteres Hindernis ist die genaue Berechnung der Schallwellen, die die Kopfhörer bereits bauartbedingt filtern. Bei eng anliegenden Over-Ear-Kopfhörern ist die Filterung von hohen Tönen beispielsweise schon gut gewährleistet, während tiefe Töne meist ohne Problem ins Ohr gelangen. In-Ear-Hörer sind nicht so gut abgeschirmt und lassen sowohl hohe als auch tiefe Töne gut in die Gehörgänge eindringen. Das muss die Software bei der Berechnung berücksichtigen, sonst würde der Gegenschall bestimmte hochtönige Signale wieder lauter machen – es könnte quasi ein „Über-Cancelling“ auftreten.

Noise-Cancelling-Kopfhörer
Noise-Cancelling-Visualisierung vom Kopfhörer-Hersteller iDeaUSA

Die Abschirmung unterscheidet sich von Kopf zu Kopf, deswegen bieten manche Noise-Cancelling-Kopfhörer eine Kalibrierungsfunktion, die misst, welche Frequenz wie laut nach außen dringen. Daran wird der Ton angepasst und verbessert.

Auch der Luftdruck ist ein Faktor. Schallwellen sind abhängig von unterschiedlichen Drücken, Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit etwas schneller oder langsamer als die oben genannten 340 Meter pro Sekunde. Damit der Gegenschall genau passt, berücksichtigt die Software vieler Geräte auch diesen Aspekt.

Beste Filterung bei gleichbleibender Frequenz

Noise-Cancelling-Kopfhörer kann trotz all der in ihr verbauten Technologie aber auch nicht immer Wunder vollbringen. Während Geräusche im Flugzeug oder in der Bahn häufig fast komplett verschwinden, haben einige Kopfhörer Probleme mit wechselnden oder schnell auftretenden, lauten oder schrillen Frequenzen. Das offenbart sich beispielsweise beim Geschrei von Kindern. Auch Ping-Pong-Bälle auf der Tischtennisplatte werden nicht perfekt gefiltert. Tiefe, männliche Stimmen sind weniger zu hören als hohe Töne. Das hängt auch wieder mit der Reaktionszeit des Prozessors zusammen, der den Gegenschall berechnet.

Natürliche Endgegner: Wind, Wasser und Verkehr

Noise-Cancelling-Kopfhörer haben aber auch klare Nachteile, die vor allem draußen auftreten. Am schlimmsten hat es Wind auf die Technologie abgesehen. Starke Böen pusten in das Mikrofon, was unschöne Störgeräusche produziert. Dadurch hört ihr dann das typische Windgeräusch, was ihr von Handyvideos kennt. Dadurch wird die aktive Geräuschunterdrückung völlig unnütz und es lohnt sich eher, die Funktion zu deaktivieren. Ein sogenannter Popschutz könnte das Problem eindämmen – allerdings sinkt dann die Gesamtaufnahmequalität, selbst im Indoor-Einsatz.

Durch das offene Mikrofon ist der Einsatz von NC-Kopfhörern im Regen auch ein absolutes No-Go. Nur ein Tropfen Wasser könnte reichen, um die empfindliche Elektronik nachhaltig zu stören. Ein Mikrofon mit Wasserschaden nimmt die Außenwelt falsch auf und würde dementsprechend auch für ein fehlerhaftes Noise Cancelling sorgen.

Im Straßenverkehr solltet ihr solche Ohrhörer sowieso nicht verwenden. An einer Hauptstraße verschwinden Autogeräusche fast komplett, nur die Sirenen des Notarztes oder der Feuerwehr lassen sich noch gedämpft wahrnehmen. Durch das Wegfallen des Hörsinnes müsst ihr euch mehr auf die Augen verlassen. Das, was hinter euch oder sogar auch nur seitlich passiert, bekommt ihr gar nicht mehr mit. Die Gefahr, in einen Unfall verwickelt zu werden, steigt enorm. Das zeigen auch mehrere Verkehrsunglücke in den letzten Jahren. Seid beim Einsatz von NC-Technologie beim Teilnehmen am Straßenverkehr also besonders vorsichtig!

Gesundheitliche Vorteile inklusive

Tatsächlich ist die Verwendung von geräuschreduzierenden Technologien für den Körper gesund. Denn hohe Geräuschlevel erhöhen den Ausstoß von Stresshormonen. Zusätzlich könnt ihr mit Sicherheit im Flieger oder der Bahn mehr entspannen und vielleicht sogar einschlafen. Für mich persönlich war eine so stille Umgebung eine Offenbarung.

Ich arbeite in einem Coworking-Space, in dem meistens Musik im Hintergrund läuft und viele Gespräche stattfinden. Mit den aufgesetzten Kopfhörern – selbst ohne abgespielte Musik – ist die Arbeit direkt viel angenehmer zu erledigen. Fast keine Störgeräusche gelangen durch die aktive Geräuschreduzierung. Mit meinen Kopfhörern kann ich sogar leiser Musik hören, als die Umgebungsgeräusche eigentlich sind. Das schont das Gehör und ist viel entspannter als andere Kopfhörer gezielt lauter zu drehen, damit Gespräche nicht mehr zu meinen Ohren vordringen. Der Gesamtschallpegel ist geringer und meine sowieso schon geschundener Hörsinn kann ein wenig entspannen.

Noise-Cancelling-Kopfhörer für verschiedene Budgets

Besonders zwei Firmen haben sich rund ums Thema Noise Cancelling einen Namen gemacht: Bose und Sony. Es gibt aber auch Newcomer für kleines Budget, die ich kurz vorstellen möchte.

Bose und insbesondere das Modell QC-35 II gelten in Sachen Noise Cancelling als Referenz. Image by Bose

Bose

Bose war die erste Firma, die Noise Cancelling für den Normalnutzer anbot. Die Technologie kommt eigentlich aus der Raumfahrt und wurde von Bose adaptiert. Derzeit gibt es zwei verschiedene Modelle von Bose, welche für euch in Betracht gezogen werden sollten: Die QC-25 und QC-35 II. Der Hauptunterschied liegt darin, dass der QC-25 nur mit Kabel genutzt werden kann. Der QC-35 unterstützt auch Bluetooth und NFC für eine schnelle Verbindung. Natürlich gibt es weitere kleine Differenzen, die aber nicht besonders erwähnenswert sind. Der Akku beider Kopfhörer hält rund 20 Stunden. Für die kabelgebundene Version QC-25 werden derzeit rund 170 Euro fällig (Provisions-Link). Der kabellose QC-35 II ist für 330 Euro erhältlich (Provisions-Link). Ob sich der große Aufpreis für Bluetooth lohnt, ist an dieser Stelle euch überlassen.

Sony

Der Newcomer ist ganz klar Sony. Die Produktpalette des Herstellers ist riesig, doch zwei Kopfhörer stechen aus dem Portfolio hervor: Die MDR-1000X und WH-1000XM2. Beide unterstützen Bluetooth und verwenden dabei das verlustfreie Bluetooth-Audio-Protokoll apt-X HD und DSEE HX. Der MDR-1000X ist seit Mitte 2016 im Handel und punktet mit einer Gestensteuerung sowie einer Akkulaufzeit von 20 Stunden. Version 2, der WH-1000 XM2, trumpft etwas auf. Der Akku hält 30 Stunden, eine zusätzliche App erlaubt die exakte Steuerung des Tons mit Equalizer, räumlichen Verzerrungen und der Optimierung der Rauschunterdrückung. Das Design ist fast identisch zur alten Version. Für den Sony MDR-1000X werden 250 Euro fällig (Provisions-Link). Der Sony WH-1000XM2 kostet etwa 300 Euro (Provisions-Link).

Sony Noise-Cancelling-Kopfhörer
Mika-Baumeister testet den Sony WH-1000 XM2 mit Noise Cancelling.

Bluedio

Der in Deutschland unbekannte Hersteller Bluedio macht Noise Cancelling erschwinglich. Mit den beiden beliebtesten Modellen Bluedio T4s für 45 Euro (Provisions-Link) und Bluedio F2 für 65 Euro (Provisions-Link) sind sie deutlich unter dem Preispunkt des Premium-Segments anzutreffen. Logisch, dass darunter die Klangqualität leidet. Der Bass ist nicht so überzeugend wie bei Bose- oder Sony-Kopfhörern. Auch das Noise Cancelling ist nicht ganz so rund und rauscht mehr. Die Kopfhörer sind etwas schwerer, was auch an der Verwendung von echtem Metall statt angemaltem Plastik liegt. Dennoch: Für den kleinen Geldbeutel und den Einstieg in die Welt der Noise-Cancelling-Kopfhörer sind die Bluedio-Geräte perfekt geeignet.

Es gibt noch viele weitere NC-Modelle zur Auswahl. Wir haben für euch unter anderem bereits die Modelle B&O Beoplay H9, Plantronics Backbeat 2 SE, JBL Reflect Aware, Sennheiser PXC 550 Wireless, Denon AH-GC20 und Parrot Zik 3 ausprobiert.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Netzpiloten Apple.


Images by Sony, iDeaUSA, Bose, Mika Baumeister


studiert Technikjournalismus in Bonn und schreibt schon seit einiger Zeit über allerlei technischen Krimskrams: Seien es nun Smartphones, Gadgets, Drohnen, VR-Brillen oder Anwendungen aller Art. Prinzipiell macht er mit jedem Artikel sein Hobby einen Tacken mehr zum Beruf.


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