Die Schein-Debatte – wozu brauchen wir noch Bargeld?

Vor einigen Wochen fand das Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos statt. Das Forum, seit 2008 existent, zieht im Normalfall nur Wirtschaftsexperten oder Interessierte an, die sich die Laune durch neoliberale Weltanschauungen und Nachrichten aus der Weltwirtschaftskrise mit meist düsteren Prognosen verhageln lassen möchten – doch in diesem Jahr hat nichts die Gemüter so erhitzt wie die Aussage von John Cryan, dem Chef der Deutschen Bank. Als sich dieser deutlich gegen Bargeld aussprach, brach in den Feuilletons ein Sturm der Entrüstung aus. Cryan hält das Konzept für völlig antiquiert und prognostizierte eine Zukunft völlig ohne Bargeld.

Und die Frage scheint berechtigt. Brauchen wir überhaupt noch dieses ganze Bargeld? Laut Cryan ist es teuer herzustellen, aufwändig zu verwalten und ohnehin überflüssig: Wir shoppen und zahlen längst online und auch in den Läden begleichen wir größere Beträge mit EC- oder Kreditkarte. Durch die Revolution der Smartphones befindet sich Mobile Payment sogar in den Supermärkten immer weiter auf dem Vormarsch. Im Dezember haben die deutschen Sparkassen die App “Payone” aufgekauft, mit der man sein Girokonto mit dem Telefon verwalten kann – hier fällt selbst die Handhabung der zugegeben nicht sonderlich ästhetischen Plastikkarte weg.

So praktisch das alles sein mag, ich muss zugeben, mir fällt es etwas schwer, mich auf die Debatte einzulassen und mir vorzustellen, in einer Welt ohne Geld zu leben – zumindest ohne bares Geld. Meiner Kollegin Annika Kremer ging es vor ein paar Tagen übrigens ganz ähnlich. Die Vorstellung ist also keinesfalls neu. So haben verschiedene europäische Regierungen schon des Öfteren laut darüber nachgedacht, eine Bargeldobergrenze von etwa 5.000 Euro einzuführen. Gut, nun ist es nicht sonderlich wahrscheinlich, dass ich in meinem Leben je mit mehreren tausend Euro in der Tasche durch die Stadt spazieren werde, doch fühle ich mich trotzdem merkwürdig eingeschränkt. Hätte ich das Geld, dürfte ich es nicht mit mir führen. Das Gleiche gilt auch für die Überlegung, den 500-Euro-Schein abzuschaffen. Der Gedanke dahinter ist: Wer so etwas bei sich trägt, ist entweder ein russischer Oligarch oder ein Drogen- oder Waffendealer – auf jedem Fall ist ihm nicht zu trauen. Das kann ich nicht für gut heißen.

Aber ich bin unentschlossen. Ist E-Cash nicht doch praktischer und zukunftsfähiger? Wer schleppt schon gern das  ganze Kleingeld mit sich herum? Die Praxis gibt mir Recht: Momentan läuft ein Experiment in der nordrhein-westfälischen Stadt Kleve: Die meisten Geschäfte haben beschlossen, von Februar 2016 an auf die 1- und 2-Cent-Münzen zu verzichten. Nach der ersten größeren Medienwelle vor einigen Wochen scheint es ganz gut zu funktionieren – und man wird es wohl beibehalten.

Ist damit der Abschaffung des Bargeldes Tür und Tor geöffnet?

Klopfen wir mal die einzelnen Argumente ab:

  • Für E-Payment spricht eindeutig der Fakt, dass es einfach praktischer ist. Ich wohne in einer Ecke von Berlin, in der man schon ein wenig laufen muss, um an einen Bankautomaten zu gelangen. Wie oft habe ich es verflucht, noch extra einen Umweg machen zu müssen, damit ich die zu erstehende Ware bar bezahlen konnte. In solchen Momenten wünscht man sich, sein Feierabendbier mal eben mobil zahlen zu können. Mancherorts geht das auch, aber noch nicht flächendeckend. Und das ist etwas anstrengend.

  • Mobiles Geld kann einem auch nicht aus der Hosentasche fallen oder anderweitig verloren gehen. Okay, dieser Punkt liegt nahe: Wer schon einmal einen größeren Schein verloren hat, weiß wovon ich rede. Bis vor Kurzem hat mir meine Oma, trotz Warnung meinerseits, auch gern mal Geld im Briefumschlag geschickt – warum auch nicht, kostet ja nur ein wenig Porto und spart den Weg zur Bank, das mühsame Ausfüllen des Überweisungsträgers – bis einmal ein Brief nicht ankam. Dann hat man den Salat.

  • Zahlen per Smartphone geht einfach schneller. Ob mit MyWallet, Vodafone Wallet oder ApplePay – kontaktloses Bezahlen wurde von den Firmen als Technologie der Zukunft entdeckt. Immer mehr Apps und Services kommen auf den Markt, die unsere Konten und Smartphones zusammenrücken lassen. Der neueste Streich: Zahlen per Selfie, also per Gesichtserkennung. Somit dürfte das Bild von der Oma, die an der Kasse ihre Münzen aus der Geldbörse fischt, so langsam aber sicher der Vergangenheit angehören. Wieso auch nicht? Smartphones für Senioren gibt es schließlich auch schon.

Noch mehr Datenprofile? Mein Kopf sagt nein.

Das klingt alles nach einer rosigen, digitalen, userfreundlichen Zukunft, und vielleicht wird es so auch eines Tages werden. Und doch bleiben die Zweifel, ob das alles eine gute Idee sein soll:

  • Spätestens seit der NSA-Affäre unterhalten sich die Nerds über Verschlüsselungen, der Tor-Browser war eine Zeit lang total in und alle hatten Angst um ihre Daten. Obwohl ich durchaus Onlinebanking per SMS-TAN nutze, würde ich momentan keine Bezahl-App installieren. Die Daten, die man über mich anhand meines Bewegungsprofils herausfinden kann, reichen aus, finde ich.

  • Was passiert bei technischen Problemen, Verlusten oder einem Systemabsturz? Wenig liest man darüber, was im Notfall getan werden kann, und wenn ich mir vorstelle, dass mich nur jemand bestehlen muss, um an mein komplettes Konto zu kommen (in dem Fall wären dann eben sowohl mein Kontozugang als auch mein Handy und damit mein Kontakt zur Außenwelt verschwunden), gruselt es mich etwas.

  • Wer hält uns vom Shoppen ab? Nicht zu unterschätzen ist zudem der Kontrollverlust beim Einkaufen. Ich beobachte das oft an mir: Habe ich nur eine begrenzte Menge Bares dabei, wäge ich viel bewusster ab, was ich wirklich brauche. Zücke ich die EC-Karte oder bestelle anderweitig, werde ich viel risikofreudiger – und im schlimmsten Fall kaufe ich irgendeinen Blödsinn, den ich weder brauche noch mir wirklich leisten kann. Bargeld appelliert an meinen Verstand, E-Cash flüstert mir zu: Du darfst! Am Ende des Monats rächt sich das oft genug.

  • Bargeld ist ästhetisch. Zu guter Letzt möchte ich noch eine Lanze für das künstlerische Design brechen: die Kaltnadelradierungen, die wir auf den Scheinen aus aller Welt finden, faszinieren viele bis heute. Wer oder was aus welchen Gründen auf den Scheinen abgebildet wird, ist oft genug Gesprächsthema, denn die Motive stellen unsere Kultur dar. Politiker, Dichter und Denker, Wissenschaftler oder, wie heute mit dem Euro, symbolische Brücken, haben unser Weltbild und unser Verständnis von einer Moderne geprägt, die weltoffen, lernbereit und neugierig ist. E-Cash kann das alles nicht. Hier geht es nur um den nackten Wert, und das ist schade.

Nach Abwägung der Fakten bin ich sicher: Das Bargeld muss bleiben, auch wenn es verstaubt wirkt. Zwar hat E-Cash unschätzbare Vorteile, aber ganz abschaffen möchte ich eine alternative Idee, die trotzdem gleichwertig behandelt wird, dennoch nicht. Und das gilt nicht nur für eine mögliche Karriere als Millionärin, bei der ich am Liebsten mein Bares mit mir spazieren tragen können will – es geht schlicht um meine Entscheidungsfreiheit.


Image “Mobile Payment” by Richard Tanzer Fotografie (CC BY -SA 3.0)


ist freischaffende Autorin und Redakteurin bei den Netzpiloten. Sie ist Historikerin, Anglistin, Kinonerd, Podcasterin und Hörspielsprecherin. Seit das erste Modem ins Elternhaus einzog, treibt sie sich in allen möglichen Ecken des Internets herum. Sie twittert als @keksmadam und bloggt bei Die Gretchenfrage. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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