Warum werden Posts aus sozialen Netzwerken entfernt?

Laut einer Studie, die diese Woche von Onlinecensorship.org veröffentlicht wurde, machen Meldungen wegen Nacktheit und die Nutzung falscher Identitäten den größten Anteil von Facebooks gelöschten Inhalten aus. Onlinecensorship.org ist ein Projekt von der Electronic Frontier Foundation und Visualizing Impact, das sich für die Redefreiheit auf Social Media Plattformen einsetzt. Die im vergangenen November gestartete Internetseite Onlinecensorship.org bat Nutzer um die Zusendung von Fallbeispielen, bei denen ihre Inhalte oder Benutzerkonten bei Facebook, Instagram, Twitter, YouTube, Flickr und Google+ gelöscht wurden. Von November 2015 bis März 2016 erhielt die Seite 161 vollständige Einsendungen. Die meisten Einsendungen betrafen entfernte Inhalte auf Facebook. Es ist zwar nur eine kleine Stichprobe, aber sie ermöglicht eine Vorstellung davon, wie Nutzer, deren Accounts oder Inhalte entfernt werden, sich fühlen. Onlinecensorship.org erhielt 119 Berichte von Facebook-Nutzern. 16 befragte (13 Prozent) sagten, Facebook habe sie gebeten, einen Identitätsnachweis vorzulegen, um zu beweisen, dass ihre Profile unter ihrem richtigen Namen liefen. „Facebook wendet ein striktes Regelwerk an, das von Einzelnen verlangt, auf Facebook einen Namen zu benutzen‚ unter dem ihre Freunde oder Familie sie kennen‘„, merkt der Bericht an. „Diese Vorgehensweise ist ins Visier der Medien und von Bürgerrechtsgruppen geraten, insbesondere wegen des Einflusses, den sie auf marginalisierte Bevölkerungsgruppen haben kann.“ Zehn der Nutzer, deren Accounts aufgrund ihres Namens gesperrt wurden, gaben an, die Entscheidung angefochten zu haben. 40 Prozent derer, die Einspruch eingelegt hatten, berichteten, dass sie nie eine Rückmeldung von Facebook erhalten haben. Die Hälfte der Nutzer, die keinen Einspruch einlegt hatten, sagten aus, dass sie nichts von der Möglichkeit, Facebook um die Widerrufung der Entscheidung zu bitten, gewusst haben. Mindestens vier Nutzer sagten, ihre Benutzerkonten seien aufgrund ihrer Kommentare oder Diskussionen, an denen sie teilnahmen, wegen falschen Namens gemeldet worden. Ein Nutzer beschrieb, wie sein Account gelöscht wurde:

  • Der Benutzer postete einen kontroversen Inhalt, der die Bewegung für die Rechte Transsexueller kritisierte. Am selben Tag kontaktierte Facebook ihn und verlangte einen Identitätsnachweis. Der Nutzer vermutete, von jemandem gemeldet worden zu sein, der nicht mit seinen politischen Ansichten einverstanden war. Er kam Facebooks Aufforderung nicht nach. Nach sieben Tagen wurde sein Benutzerkonto gesperrt. Er sagte, dass die Überprüfung des Kontos mehrere Monate andauerte. Es soll angemerkt werden, dass wir ähnliche Berichte aus allen Ecken des politischen Spektrums erhielten.

Facebook gibt Nutzern, deren Konten gesperrt sind, die Möglichkeit, Identitätsnachweise einzureichen, um zu beweisen, dass sie tatsächlich unter ihren echten Namen handeln. Einige Nutzer „gaben an, dass der Wiederherstellungsprozess der Accounts oder das Anfechten von Facebooks Entscheidungen verwirrend wären, und dass Facebooks Entscheidungsprozess undurchsichtig und unpersönlich sei„. So beschrieb eine Nutzerin ihre Erfahrung:

  • Die Nutzerin, die aus einem nicht-englischsprachigen Land kommt, hat einen Namen, der unter englischsprachigen Personen eher unbekannt ist. Sie gab Facebooks Aufforderung für einen Identitätsnachweis zunächst nach. Der Identitätsnachweis, den sie vorlegte, wurde auch zuerst angenommen, jedoch hatte Facebook den Verdacht, dass der Ausweis nicht mehr gültig sei. Daraufhin verlangten sie zwei weitere Arten der Identifikation, welche sie auch zur Verfügung stellte. Trotzdem stellte Facebook ihren Account nicht wieder her. Sie sagt, Facebook hätte keine endgültige Begründung für diese Entscheidung angegeben, abgesehen von der Skepsis in Bezug auf die vorgelegten Identitätsnachweise.

Facebooks Richtlinien, was Nacktheit betrifft, waren ebenso unklar. Das Soziale Netzwerk erlaubt Bilder mit stillenden Müttern und Fotos von Kunstwerken, auf denen nackte Haut zu sehen ist. Manche Nutzer berichteten trotzdem, dass bei ihnen beide Arten von Bildern trotzdem entfernt worden seien. Einige Nutzer berichteten auch, dass Bildungsinformationen über sexuelle Gesundheit zensiert wurden:

  • [Ein] Nutzer, ein preisgekrönter Fotograf, dessen Fotografien in weltberühmten Museen ausgestellt werden, wurde mehrere Male gesperrt – jeweils für 30 Tage. Das geschah, weil er künstlerische Aktfotos veröffentlicht hatte. Obwohl der Nutzer Einspruch einlegte, wurden die Inhalte nicht wiederhergestellt. Der Nutzer sagt: „Ich betrachte meine Aktfotografien als ebenso künstlerisch wie jede Darstellung einer Zeichnung, eines Gemäldes oder einer Bildhauerei.“ Er merkt an, dass Frauen, laut der Rechtsprechung in seinem Land, in der Öffentlichkeit legal „oben ohne“ sein dürfen.

Unabhängig vom Grund für die Meldung des Accounts oder des Inhalts gaben Nutzer über verschiedene Plattformen hinweg an, den Revisionsprozess als frustrierend und undurchsichtig zu empfinden. Laut dem Bericht wurden die Accounts oder Inhalte von nur vier Nutzern, die Einspruch eingelegt hatten, wiederhergestellt. Fast 50 Nutzer erhielten keine Antwort von den Unternehmen. Aus dem Bericht:

  • Letztendlich spiegelt dies eine dringende Notwendigkeit für größere Klarheit von Seiten der Unternehmen darüber wieder, welche Optionen Nutzern zur Verfügung stehen, wenn ihre Inhalte und Benutzerkonten entfernt werden, und ein Bedürfnis nach einer Verpflichtung, ihnen zu helfen, sie wieder herzustellen. Die Berichte der Nutzer zeigen ein tiefes Misstrauen gegenüber den Unternehmen, wenn es darum geht, im besten Interesse des Nutzers zu handeln. Außerdem empfinden sie eine gewisse Frustration über das, was die Nutzer als unzureichende Mittel und zu wenig Aufmerksamkeit gegenüber diesem Thema erhalten.

Der komplette Bericht kann hier nachgelesen werden. Dieser Artikel erschien zuerst auf “Nieman Journalism Lab” unter CC BY-NC-SA 3.0 US. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.


Image (adapted) „Censored“ by Paul Sableman (CC BY 2.0)


schreibt für das an der Harvard Universität angesiedelte Nieman Journalism Lab über Innovation in der Medienbranche. Davor arbeitet er für die Nachrichtenagentur Reuters und berichtete über den wirtschaftlichen Niedergang von Detroit.


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