Seit geraumer Zeit „schmücken“ sie schon die Handgelenke der Technik-Enthusiasten von nah und fern, überwachen unseren Schlaf und zählen unsere Schritte. Nicht etwa der dystopische Big Brother, nein – Gadgets wie Smartwatches oder Fitness-Armbänder sind schon längst im öffentlichen Interesse und Gebrauch angekommen.
Das sogenannten „Wearable“ ist kein gänzliches neues Konzept. So zählt beispielsweise der Walkman schon seit dem Jahr 1979 zur tragbaren Technologie, Hörgeräte und andere technische Hilfsmittel sind bei vielen Mitmenschen im täglichen Gebrauch. In jüngster Zeit hat sich das Konzept aber vor allem durch Unternehmen wie Google mit seinem als gescheitert geltendes Experiment Google Glass oder durch den Technologie-Platzhirsch Apple und deren Apple Watch wieder verstärkt ins öffentliche Interesse befördert.
Subtilität ist einer der primären Faktoren für das Durchsetzungsvermögen von tragbarer Technologie und ein Aspekt, an dem schon die Google Glass durch ihr ausgeprägtes Design scheiterte. Denn das ist der Key-Aspekt: Wearables müssen auch wirklich von jedem getragen werden wollen – nicht nur vom fancy IT-Enthusiast aus dem Silicon Valley. Und deshalb soll jetzt auch unsere Kleidung intelligent werden.
SKARV – das erste Social Wearable
In der Kölner Filiale der Multimedia-Agentur denkwerk habe ich den SKARV ausprobiert. Der SKARV ist ein smarter Schal, der durch zwölf ultraflache Vibrationsmotoren Impulse an den Hals des Trägers abgibt und so menschliche Berührung simulieren soll. Gesteuert wird das Ganze mit einer eigens entwickelten iOS-App.
Mit ihr kann man die Impulse in Mustern abgeben, was ich dann auch am eigenen Leib testen durfte. Zugegeben, ich war anfangs skeptisch – ein Schal, der so etwas Intimes wie eine Berührung nachstellen soll, kann und soll es so etwas geben? Und wozu brauchen wir tragbare Technologien mit solchen Funktionen überhaupt?
Beim SKARV wird ganz auf das soziale Miteinander gesetzt. Deshalb geht es nicht einfach nur um ein „Ego Wearable“, das unsere körpereigene Fitness und unseren Schlaf misst, sondern um ein sogenanntes „Social Wearable“. Ein ziemlich dehnbarer Begriff, wie ich finde. Für die denkwerker soll der Schal das Teilen von Inhalten und Emotionen mit Freunden und Familie in den Vordergrund stellen.
Von der Idee zum Produkt
Jeden Sommer wird der sogenannte „Summer of Thinx“ veranstaltet. Hier werden Praktika an eine Handvoll internationaler Bewerber vergeben, die an einem Projekt arbeiten, das dann schließlich von denkwerk verwirklicht wird. So ist während des zweiten Summer of Thinx im Jahr 2015 der SKARV entstanden. „Thinx soll keine Gadgets auf den Markt bringen, sondern ist ein Tool mit viel Raum zum Experimentieren.“, erzählt mir Motion Director Gregor Kuschmirtz. Er und seine Kollegin Alina Schlaier, Creative Director im denkwerk Köln, sind es auch, die mich empfangen und herumführen.
Hergestellt wird der SKARV im Textiellab in Holland, wo auch schon Adidas und Gucci ihre Innovationen getestet haben. Der Schal wird hier aus nachhaltigem Garn im 3D-Verfahren gestrickt. Im fertigen Schal befindet sich dann ein Tunnel, in den die Motoren und der Akku eingesetzt werden können und sich so von hinten um den Hals legen. Der Akku wird dann per Micro-USB geladen und die Kommunikation zwischen Schal und Smartphone läuft über Bluetooth.
Wie tragbar ist das Wearable?
Der Schal unterscheidet sich vom Tragegefühl nicht von einem herkömmlichen Schal. Die eingenähte Tasche mit den Motoren ist tatsächlich sehr unscheinbar und kann sowohl von außen nicht gesehen, als auch von innen fast nicht gefühlt werden. Ich hatte von den Impulsen auch direkt eine Intensität wie bei einem dieser Teleshopping-Massagegeräten erwartet – also eher unangenehm – aber war von der tatsächlichen Subtilität der Impulse überrascht. Die denkwerklerin mit dem Smartphone hat also Befehle an die App abgegeben – die Motoren sind im Interface als Kreis dargestellt und können dadurch gesteuert werden – die dann direkt an den Schal per Bluetooth übertragen wurden.
Alina betonte zudem, dass rund 20 Prozent der SKARV-Tester den Sinneseindruck aber ablehnen, eine solch menschenähnliche Berührung sei zu befremdlich. Für mich war die „Berührung“ durch den Schal tatsächlich angenehm und nicht störend oder ähnliches. Ob man die Impulse tatsächlich für eine menschliche Berührung halten könnte, bezweifle ich aber. Das Wissen, dass es von Motoren ausgeht, schwingt dann doch immer mit.
Wann tragen wir alle schlaue Schals?
Ich war von der unauffälligen Erscheinung des SKARV überrascht und beeindruckt. Der Tragekomfort ist hoch und auch von außen würde man nie auf die Idee kommen, ein Wearable vor sich zu haben. Auch den Ansatz eines „Social Wearable“ finde ich grundsätzlich spannend, aber nicht unbedingt durchsetzungsfähig. Vielfältige Möglichkeiten für den Einsatz der im SKARV verbauten Technologie gibt es aber definitiv. So könnte sie beispielsweise im Gaming Verwendung finden – über die Motoren könnten in Multiplayer-Spielern Impulse wie Richtungen oder andere Team-Kommandos übermittelt werden. Möglichkeiten gäbe es auch bei der Navigation – man stelle sich einen Gürtel oder Schuhe mit ähnlichen Motoren wie im SKARV vor, die Richtungsimpulse der Navigations-App auf dem Smartphone abgeben, ohne dass man dieses aus der Tasche holen müsste.
Noch ist der SKARV ein Prototyp und geht noch nicht in die Massenproduktion. Ich könnte mir durchaus vorstellen, ihn zu kaufen, aber nicht als „social“ sondern doch lieber als „Ego-Wearable“, um mich und meine Aktivität zu messen oder mir im Alltag behilflich zu sein. Vielleicht ist die Gesellschaft – und ich selbst natürlich – noch zu leistungs- und nutzungsorientiert, um auf eine so einfühlsame Konzeptidee anzuspringen. Es bleibt spannend, wie die Modeindustrie das Konzept der smarten Kleidung aufgreifen wird. Alina meint dazu: „Die Fashion-Industrie wird in fünf oder zehn Jahren ihr blaues Wunder erleben, weil sie die komplette Digitalisierung verschlafen!”. Der intelligente Schal wird uns vielleicht beim Aufwachen helfen – oder zumindest sanft wachstreicheln.
Images by Lisa Kneidl
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