Die perfide Strategie der Populisten – Wer nicht „zum wahren Volk“ zählt, gilt als Verräter

Erfolgreiche Populisten unterschiedlicher Couleur sind Meister der Inszenierung und bauen auf die Reflexe einer Öffentlichkeit, die in immer kürzeren Intervallen auf die theatralische Regie der Populisten reagiert. Schaut man in das Hauptwerk „Strategeme“ des Sinologen Harro von Senger, der die berühmten 36 Strategeme der Chinesen aus drei Jahrtausenden darlegt, ist dieses Vorgehen kein neues Phänomen. Etwa das Strategem Nummer Sieben: „Aus einem Nichts etwas erzeugen“ – etwas aus der Luft greifen; etwas Erfundenes als Tatsache ausgeben (neudeutsch: Fake-News); Gerüchtefabrikation; Verleumdungs- und Lügenkampagne („Merkel muss weg“); Diffamierungstaktik; Aufbauschungsmanöver. Man könnte es auch philosophischer in den Worten von Lao Zi ausdrücken: „Die Dinge in der Welt entstehen aus dem Seienden, das Seiende entsteht aus dem Nichtseienden.“

Populistische Gedankenkonstrukteure im David-Goliath-Modus

Was die populistischen Gedankenkonstrukteure dabei bedienen, folgt einer psychologischen Funktion: Sie reduzieren die Komplexität der Wirklichkeit und schaffen eine einfache Struktur im Kopf. Als Projektionsfläche der Vereinfachung dienen Sündenböcke und Dämonen, die man für alles Böse, Unverständliche und Ungerechte verantwortlich macht. Die Identität der eigenen Gruppe erzielt man dabei mit dem David-gegen-Goliath-Erzählmuster. Für zufällige Ereignisse, für unvorhersehbares Handeln, für menschliche Fehler oder komplizierte Verfahren ist dabei kein Platz. Stets gibt es nur eine einzige Ursache, die als Beweis für das dunkle Spiel eines übermächtigen Gegners herangezogen wird. Jeder Gegenbeweis wird als Fälschung tituliert, jeder fehlende Beleg ist ein Indiz für eine absichtliche Unterschlagung. Mit dieser Teflon-Strategie wollen sich Populisten unangreifbar machen.

Moralischer Alleinvertretungsanspruch

In der nationalistischen Variante, die wir bei den Populisten in Europa und den USA erleben, kommt noch eine weitere Taktik hinzu: Sie behaupten: „Wir sind das Volk.“ Sie meinen jedoch: „Wir – und nur wir – repräsentieren das Volk.“ Nachzulesen in dem lesenswerten Essayband „Was ist Populismus“ von Jan-Werner Müller. Damit werden alle, die anders denken, als illegitim abgestempelt, „ganz unabhängig davon, mit wie viel Prozent der Stimmen ein offizieller Volksvertreter ins Hohe Haus gewählt wurde“, so Müller.

Populisten seien zwangsläufig antipluralistisch; wer sich ihnen entgegenstellt und ihren moralischen Alleinvertretungsanspruch bestreitet, gehört automatisch nicht zum wahren Volk. „Das mag wie eine Banalität klingen, ist aber von entscheidender Bedeutung in Auseinandersetzungen mit Populisten, die behaupten, den Willen des Volkes zu repräsentieren und zu vollstrecken – in Wirklichkeit jedoch eine symbolische Repräsentation des angeblich ‚wahren Volkes’ instrumentalisieren, um demokratische Institutionen, die dummerweise nicht von Populisten dominiert werden, zu diskreditieren“, führt Müller weiter aus.

Populismus ist demnach eine ganz bestimmte Politikvorstellung, die ein imaginäres Volk als moralisch rein und homogen definiert und gegen unmoralische, korrupte und parasitäre Dunkelmänner und Dunkelfrauen in verschiedenen Institutionen in Position bringt. Wer diese anmaßende Vereinnahmung des „Volkes“ in Frage stellt, wird kurzerhand vom „einzig wahren Volk“ abgetrennt. Das reicht von der Lügenpresse bis zur „Volksverräterin“ Merkel.

In Wahrheit geht es um „Nur wir vertreten das Volk“

Hinter dem Spruch „Wir sind das Volk“ steckt eigentlich die Botschaft „Nur wir vertreten das Volk“. Dieser Alleinvertretungsanspruch der Populisten und deren Verhältnis zur Demokratie macht die Gemengelage so gefährlich. Sie sind kein nützliches Korrektiv in einer Demokratie, um den vermeintlichen Abstand zwischen Politik und „Volk“ wiederherzustellen. Wer so denkt, ist schon auf der semantischen Leimspur der Populisten unterwegs. Populisten interessieren sich nicht für plurale Willensbildung, für das langwierige Bohren dicker Bretter bei der Bewältigung von Problemen; ihre Kritik gilt auch nicht dem Prinzip der politischen Repräsentation. Ihre Agitation richtet sich gegen die amtierenden Repräsentanten, die angeblich nicht die Interessen des „Volkes“ vertreten.

Da niemand sagen kann, wo die Interessen eines jeden Einzelnen liegen, sind populistische Demagogen wie Erdogan oder Orbán an Teilhabe, Offenheit und Pluralität überhaupt nicht interessiert. Sie geben sich als die Kenner des wahren Volkes aus und hebeln jeden aus, der sich ihnen in den Weg stellt. Wer sich den Populisten nicht anschließt, wird ausgeschlossen. Wer Volk sagt, meint in Wahrheit Ent-Individualisierung und sogar Ent-Menschlichung, die bis zur Inhaftierung und Beseitigung aus dem öffentlichen Leben reichen kann. Populisten sind keine Problemlöser, sie nutzen Probleme, um das politische System zu destabilisieren.

Klugheitsstrategien im Umgang mit Populisten

Wer das durchschaut, sollte klüger vorgehen – im Journalismus, im politischen Diskurs und in seinem Verhalten im Social Web. SZ-Onlinechef Stefan Plöchinger liefert in einem Journalist-Gastbeitrag eine kluge Gegenstragie. Die wichtigste Haltung sei, nicht den Durchlauferhitzer für populistische Phrasen zu spielen. Man sollte nach Auffassung des Notiz-Amtes auf die Pöbeleien von Hofer, Strache, Petry und Co. nicht wie ein Pawlowscher Hund reagieren und auf das Strategem Nummer Sieben hereinfallen. Wer News fälscht, haarsträubende Behauptungen aufstellt und täglich Ressentiments absondert, hat keine Geschichten verdient. „Wir Journalisten brauchen wohlüberlegte Taktiken gegen die ständige Eskalation, statt die Populisten-Strategie weiter blind zu bedienen – weil blinde Journalisten keine Journalisten sind“, schreibt Plöchinger.

Was noch wichtiger ist: Gesicht zeigen und sich nicht hinter irgendwelchen Redaktionsmauern verkriechen. Immer wenn Journalisten greifbar werden und nicht nur als „die Medien“ sichtbar sind, wenn wir in unserer Arbeit so etwas wie Ombudsleute für Leser, Hörer, Zuschauer und dem journalistischen Beruf werden, dann entsteht nach Meinung von Plöchinger auch Vertrauen in den Journalismus. Das Niveau der digitalen Debatte kann zudem nur steigen, wenn jeder Journalist endlich auch versteht, im Digitalen erfolgreich unterwegs zu sein – ohne diese ewige Offline-Online-alles-wird-schlimm-Attitüde. 


Image „natural“ by Unsplash (CC0 Public Domain)


ist Diplom-Volkswirt, lebt in Bonn und ist Wirtschaftsjournalist, Kolumnist, Moderator und Blogger. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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