The Truman Show Revisited – Überwachung in Sotschi

Der Journalist Andrej Soldatow und der Blogger Alexej Sidorenko redeten gestern Abend in Berlin über die Überwachung der olympischen Winterspiele in Sotschi. // von Janina Gera

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Im Film The Truman Show sitzt Truman Burbank alias Jim Carrey in einer komplett überwachten Kapsel. Kameras, Mikrophone und deren gleichzeitige Sichtung zeichnen das Leben des Protagonisten. Jeder weiß um sein Schicksal, doch trotzdem findet man Gutes daran – das Gemeinwohl der Zuschauer vor dem Fernseher. Wer im Februar bei den Olympischen Spielen in Sotschi ist, darf sich ähnlich fühlen. Im Kreml wurde entschieden, sich in Sachen Überwachung nicht lumpen zu lassen. Das Gute daran: Die Abwehr von Terroristen?

Andrej Soldatow und Alexey Sidorenko kennen sich gut aus mit den digitalen Überwachungsmaßnahmen in Russland. Soldatow ist einer der wichtigsten Experten auf diesem Gebiet, besonders bekannt ist der Journalist für die Seite agentura.ru, die Aktivitäten des russischen Geheimdienst dokumentiert. Sidorenko bloggt zu Online-Redefreiheit, er berichtet regelmäßig zu Themen der Pressefreiheit in Russland für Reporter ohne Grenzen und analysierte für RuNet Echo die russische Online-Welt. Gestern Abend erklärten die beiden die außergewöhnliche Situation bei den Olympischen Winterspielen in einem Vortrag (organisiert von Reporter ohne Grenzen) in Berlin.

Soldatow machte deutlich, dass „man sich im Klaren sein muss, dass alle Unterhaltungen für den Geheimdienst komplett transparent und für drei Jahre zugänglich sind.“

Überwachung auf allen Kanälen

In The Truman Show wird deutlich, dass kein Schritt und kein Wort geheim bleiben können. So ist das auch bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi, nur betrifft es nicht nur eine Person, sondern alle vor Ort und auf allen Kanälen.

Überwachung von:

  • Festnetz
  • Mobiltelefonen
  • Internetaktivitäten
  • Bewegungsprofilen

Durch:

  • Metadaten-Erfassung
  • Kameras
  • Drohnen
  • Schallmessgeräten
  • Deep Packet Inspection (Schlüsselwort-Filterung)

„Why do I need Facebook when I have FSB book?“

Diese Worte hat hat Sidorenko Putin in den Mund gelegt. Der FSB (Federal Security Service) ist der russische Inlandsgeheimdienst und kümmert sich um die Sicherheit der Olympischen Spiele. Interessant dabei: der verantwortliche Vorsitzende ist nicht bekannt für seine Anti-Terror Aktivitäten, sondern für seine Vergangenheit im Spionageabwehrdienst. 2010 wurden die geänderten Sicherheitsmaßnahmen für Sotschi 2014 bekannt gegeben. Die wichtigste Neuerung sollte die Aktualisierung von SORM sein, Russlands bedeutendstem Überwachungssystem. Neben Festnetz- und Mobiltelefonie, können damit auch Internetaktivitäten erfasst werden. Das System sammelt also Informationen wie Logindaten, Bewegungsprofile und Audio-Aufnahmen und speichert sie für drei Jahre.

Zugriff auf die Überwachung haben weder die Überwachten noch die Telekommunikationsbetreiber, sondern lediglich der FSB. Soldatow machte deutlich, dass „es einen großen Unterschied zwischen der westlichen und der russischen Herangehensweise an Überwachung gebe„. Der FSB sei „aufdringlicher, flexibler und effizienter„. Denn Sicherheitsverantwortliche des FSB müssen – anders als in westlichen Ländern – keinen Kommunikationsbetreiber beauftragen, sondern können mit einer einmaligen gerichtlichen Verfügung abhören. Diese Verfügung muss lediglich einem Vorgesetzen der FSB vorliegen.

Filterung der Internet-Kommunikation

Der Internet-Provider Rostelecom ist für die Installation des kostenlosen Wi-Fi in der Sotschi-Gegend während der Spiele verantwortlich. Die Verbindung ist mit einer Geschwindigkeit von 10MBit schneller als bei allen anderen Olympia-Veranstaltungen zuvor. Der Betreiber ist darüber hinaus aber auch dafür verantwortlich ein System zu installieren (DPI- Deep Packet Inspection), das es ermöglicht die Internetaktivitäten nach Schlüsselworten zu filtern. Über die Identität des Users hinweg, kann DPI Personen auf dem Inhalts-Level (zum Beispiel der Wörter) ausfindig machen, ein System das ursprünglich für die Werbeindustrie entwickelt wurde.

Einmal akkrediert – für drei Jahre abgespeichert

Darüber hinaus hat Russlands Premierminister Dmitry Medvedev hat ein Dokument unterzeichnet, das es erlaubt die Metadaten von Organisatoren, Sportlern und ausländischen Journalisten zu erfassen. Dies beinhaltet: Detaillierte Persönlichkeitsdaten und Ausgaben für Kommunikationsdienste, inklusive Daten zu Verbindungen und Online-Traffic. Das „Safe Sotschi“ Projekt bringt der Stadt außerdem 5500 Video-Kameras. 309 werden vom FSB koordiniert.

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Zala 421 Drohnen werden von der Polizei eingesetzt: Dieses Modell hat eine Wärmebildkamera, kann Personen einem Kartennetz zuordnen und Video- und Standbilder übermitteln. Auch der FSB kümmert sich um den Einsatz von Drohnen des Typs Gorisont-Air S-100. Zusätzlich will der FSB mit zwei Schallortungsgeräten den Küstenraum überwachen. Soldatow belächelt das und sagt, dass er nicht nachvollziehen kann, von wem eine Gefahr durch Militär-U-Boote aus dem Schwarzen Meer ausginge.

Soldatow äußerte sich außerdem zu Kooperationen zwischen Sicherheitsagenturen in den USA, Großbritannien und Russland. Hierbei ginge es nicht nur um geteilte Informationen zu Terrorismus. Ein wichtiger Aspekt dieser Kollaboration sei, dass Russland über westliche Krawallmacher und Protestaktionen im Vorfeld der Olympischen Spiele informiert sein will.
Sidorenko verneinte jedoch, dass die Erfassung von Metadaten und das Filtern nach Schlüsselwörtern in besonderer Weise homosexuelle Besucher, Sportler oder Organisatoren betreffe. Russland habe kein Interesse daran, weitere Imagekonflikte zu kreieren. Vor allem, dann, wenn sie in Zusammenhang mit unterschiedlichen Wertevorstellungen entstehen.

Genauso wie Truman Burbank sich in seiner abgeschotteten Welt nur unter seiner Bettdecke verstecken kann, ist es Besucher nicht möglich, sich gegen die Überwachung zu wehren. Man könne die Daten laut Sidorenko lediglich „für eine gewisse Zeit unzugänglich machen bevor sie gecrackt werden„. In einem VPN (Virtual Private Network) oder BGP- (Border Gateway Protocol)- Tunnel und einem ausgeschalteten Computer bei den Sicherheitskontrollen.


Teaser & Image by Franziska Senkel


studiert Publizistik und Kommunikationswissenschaften: Momentan als Masterstudentin an der Freien Universität Berlin, davor an den Universitäten Wien, Aarhus (DK) und Lund (SE). In ihren Arbeiten beschäftigte sie sich mit interkultureller Kommunikation und dem Problemfeld "Journalismus in der Online-Welt". Neben der Universität arbeitete sie in Print-, Online-, und TV-Redaktionen. Mitglied des Netzpiloten Blogger Networks.


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